Kräftige Arme, kräftiger Händedruck. Die Körpersprache des leicht bullig wirkenden Mannes lässt beim Besucher keine Zweifel offen: Hier ist einer, der zupackt.

Und wie er zupackt: Mitten in der tiefen Krise seiner Branche hat Rudolf Stämpfli, Mitinhaber des traditionsreichen Berner Druckerei- und Verlagsunternehmens Stämpfli, rund 50 Mio Fr. in einen Neubau in der Nähe der Psychiatrischen Universitätsklinik Waldau investiert. Ein Bekenntnis zur Branche? «Ja, falls es ein solches Bekenntnis überhaupt noch braucht», sagt Stämpfli mit Blick auf die über 200-jährige Geschichte des Familienunternehmens.

Als «obrigkeitlicher Drucker» hatte Daniel Gottlieb Stämpfli 1799 in der historischen Altstadt den Grundstein für eine Berner Erfolgsgeschichte gelegt. Seit 1815 geben die Stämpflis den «Hinkenden Boten» heraus, eine der ältesten regelmässig erscheinenden Publikationen der Schweiz. 1877 zügelte der Firmensitz an die Hallerstrasse im Länggass-Quartier, in unmittelbare Nähe von Universität und Bahnhof. Fortan gehörte der Name Stämpfli zur Länggasse wie die berühmte Chocolat Tobler.

Nach Tobler verlässt nun auch Stämpfli die Länggasse und zieht an den Stadtrand. Kann man eine solche Tradition einfach aufgeben? Es sei wie mit einer Lederjacke, die mit dem Alter immer schöner und bequemer werde, sagt Rudolf Stämpfli. Ohne Not werfe man ein solches Stück nicht weg. Doch sei das Unternehmen im Quartier, das sich in jüngster Zeit zu einem durchmischten Wohnquartier mit viel Leben auf den Strassen entwickelt habe, fast zu einem Fremdkörper geworden. Zudem hatte es zunehmend mit Platzproblemen zu kämpfen: Die Entwicklungen in der Druckereibranche verlangten laufend Anpassungen und neue Räumlichkeiten. Dafür gab es in der Länggasse keinen Platz mehr, zumal die Stämpfli Holding mit ihren 270 Angestellten in den vergangenen vier Jahren ihren Umsatz um über 35% auf 47 Mio Fr. gesteigert hatte.

*Arbeitnehmer sollen sich wohl fühlen*

Im Neubau haben der 47-jährige Stämpfli und sein um vier Jahre jüngerer Bruder Peter ihre Unternehmensphilosophie umgesetzt. Der neue Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbands schwärmt von der Offenheit der Räume. Der Blick schweift ins Grüne, Durchblicke vermitteln den Eindruck von Weite. «Wir legen Wert auf Öffnung, auf Ästhetik, auf sorgfältige Gestaltung, dies alles mit dem Ziel, Lebensräume für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schaffen.» Stämpfli bringt seine Vision auf den Punkt: «Arbeitsort ist Lebensort, an dem sich die Menschen, die bei uns und mit uns tätig sind, wohl fühlen.» Wer am Sonntagabend an den Montag denke, solle sich darauf freuen können, dass er hier arbeiten dürfe.

Stämpfli ist sich bewusst, dass er es als Mitinhaber eines blühenden Familienunternehmens leichter hat als Manager von börsenkotierten Firmen, solchen Visionen nachzuleben: «Dank der Verbindung von Eigentum und persönlichem Einsatz ergibt sich eine sehr hohe Identifikation mit dem Unternehmen. Um seine Zukunft zu sichern, orientiert man sich in erster Linie an langfristigen Zielsetzungen und nicht an kurzfristiger Gewinnmaximierung.» Man spürt: Stämpfli ist gerne sein eigener Herr und Meister. Denn niemand kann ihn zwingen, «mit Blick auf eine bestimmte Analystenkonferenz etwas zu unternehmen, um alle zufriedenzustellen».

Der promovierte Betriebswirtschafter ist sich aber auch bewusst, dass er die heutige Freiheit dem umsichtigen Wirtschaften früherer Generationen zu verdanken hat. Tradition empfindet er deshalb nicht als Fesseln oder, um mit Jean Jaurès zu sprechen, «als Verpflichtung, die Asche aufzubewahren, sondern die Kohle am Glühen zu halten». Nur wer ein solides Fundament habe, sei auch in der Lage, modernste oder gar avantgardistische Projekte zu realisieren.

*Stämpfli ist Kein schönschwätzer*

Zum Fundament einer verantwortungsbewussten Wirtschaft zählt Stämpfli auch die christlich-humanistischen Grundwerte unserer Gesellschaft. Unternehmensethik ist ein regelmässiges Thema in der firmeninternen Zeitschrift «Marginalie». «Die Wirtschaft ist ein Teil der Gesellschaft, weshalb die Grundwerte auch für sie gelten. Wenn sich die Wirtschaft von diesen entfernt und sich nur noch nach Kennzahlen orientiert, verliert sie ihr geistiges Fundament und läuft Gefahr, brutal abzustürzen», sagt er.

Solche Sätze brechen nicht einfach aus Stämpfli heraus. Er denkt lange nach, bevor er etwas sagt, kein Schnell- oder Schönschwätzer. Berner Behäbigkeit ist es auch nicht, «denn ich denke und handle nicht so, weil ich Berner, sondern weil ich Rudolf Stämpfli bin.» Er mag das Patronale, das ihm eigen ist, auch nicht als besondere Berner Eigenschaft abtun oder gar gegen eine den Zürchern nachgesagte Kalt-schnäuzigkeit ausspielen. «Wissen Sie, sagt er, «aufgrund der Tatsache, dass der Shareholder Value vor allem von Zürchern wie Martin Ebner und von den in Zürich ansässigen Versicherungs-, Finanz- und Beratungsunternehmen propagiert wurde, darf man nicht einfach schliessen, dass solch einseitiges Denken nicht auch in Bern vorkommen kann.»

Und trotzdem: Stämpfli ist stolz, ein bernisches Unternehmen zu führen und Berner zu sein, Bernburger sogar, selbst wenn er dies mit seinem typischen Understatement als eine reine «Zivilstandsangelegen-heit» abtut. Das Geschlecht der Stämpflis lässt sich bis ins Jahr 1598 nachweisen, viele Stämpflis waren in öffentlichen Ämtern tätig oder sonst in irgendeiner Form für die Gesellschaft engagiert. Der freisinnige Rudolf Stämpfli ist als Mitglied des Kleinen Burgerrats für die Finanzen der Burgermeinde Bern verantwortlich. Damit spricht er bei der Förderung des kulturellen, gesellschaftlichen und sportlichen Lebens sowie bei der Sicherung eines sozialen Berns ein entscheidendes Wort mit. Sein Bruder Peter schliesslich ist Präsident des Trägervereins der Berner Kunsthalle.

Engagement ist für Rudolf Stämpfli, der nach dem Präsidium der kantonalbernischen nun jenes der schweizerischen Arbeitgeber übernimmt, eine Pflicht. Unternehmer gehören für ihn, wie er im April in einer Rede sagte, «zur Elite in einer Gesellschaft». Als solche dürfe sie nie vergessen, was der Staat und die Gesellschaft für sie geleistet habe, zum Beispiel mit einer guten Bildungsinfrastruktur. «Für mich ist es deshalb selbstverständlich, dass man dies der Öffentlichkeit in Form eines Engagements wieder zurückgibt.»

Stämpfli hält es für «grundfalsch, wenn sich die Unternehmer aus der gesellschaftlichen Verpflichtung stehlen und nur noch ihrem eigenen Elfenbeinturm Genüge tun». Unternehmerisches Handeln habe jederzeit neben der Verantwortung für die Unternehmung selbst die Verantwortung für Staat, Gesellschaft und Umwelt miteinzubeziehen. «Das gilt für alle Unternehmen aller Grössenordnungen und deren Exponenten, und es ist nicht delegierbare Chefsache.» Wer sich aus Staat und Gesellschaft abmelde, dürfe sich nicht wundern, wenn über ihn verfügt werde, sagt er.

*Ein bodenständiger Bergsteiger*

Neben Staat und Gesellschaft nennt Stämpfli auch immer wieder die Familie. Er ist Familienmensch, selbstfotografierte Porträts seiner drei Kinder stehen auf einem Gestell in seinem Büro. Eng sind die Beziehungen zu seinem Bruder, mit dem er die Geschäftsführung teilt. Peter ist für Publikationen, die neue IT-Firma und das Personal zuständig, Rudolf für den Verlag, die Buchhandlung sowie das Rechnungswesen. Die Kontakte zwischen den beiden sind nicht nur auf das Geschäftliche beschränkt. Als Beispiel nennt Rudolf Stämpfli die Phase des Neubaus: «Da waren wir oft am Sonntag hier draussen und haben die nächsten Schritte miteinander besprochen.»

Als Bergsteiger ist sich Stämpfli gewohnt, langsam Schritt für Schritt nach oben zu gehen. Nach einem einschneidenden Erlebnis aus seinem Leben gefragt, erzählt er von einer Besteigung des Popocatepetl in Mexico, über die eisige Route und auf über 5000 Metern über Meer eine äusserst mühsame Angelegenheit. «Doch beim Abstieg spürte ich mit jedem Meter, wie der Sauerstoff zurückkam, und wir wurden richtiggehend euphorisch und purzelten den lavabedeckten Hang hinunter, als wären wir schwerelos.» Zuerst also die Arbeit, und dann das Abtauchen, das Schweben in die Tiefe, das Stämpfli auch bei seinem Hobby, dem Tauchen, so fasziniert.

Dies würde man ihm, dem so Soliden und Bodenständigen, nicht zutrauen. Auch nicht, dass er derzeit gerade den fünften Band von «Harry Potter» auf Englisch liest. «Ich finde es grandios, dass heute noch jemand in der Lage ist, ein solch spannendes Märchen zu schreiben, das Hunderttausende von Menschen aus allen Schichten in seinen Bann zieht.» Sagts und lacht wie ein Lausbube, den man bei einem Streich ertappt hat.

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