Gebannt wie das Kaninchen auf die Schlange blicken in der Schweiz die Hersteller und Vermarkter von Lebensmitteln auf das, was in der EU rechtens ist. Wegen der Chargenkennzeichnung befassen sie sich intensiv mit der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und übersehen dabei, dass diese im Wesentlichen bereits auf den 1. Januar 2006 in die neue Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung (LGV) eingebaut worden ist.
Sie enthält unter anderem die Pflicht zur Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln, Nutztieren zur Lebensmittelgewinnung und aller Stoffe, die in einem Lebensmittel verarbeitet werden. Doch über das EU-Vorbild hinaus auferlegt die LGV den Inverkehrbringern nicht nur bei Lebensmitteln, sondern auch bei Gebrauchsgegenständen sogar eine eigenständige Rückrufpflicht, falls ihre Produkte gefährlich sind oder bereits Schaden angerichtet haben.
Chargenkennzeichnung nötig
Der Begriff «Gebrauchsgegenstände» umfasst zahllose Produkte, nämlich alle Erzeugnisse, die mit Lebensmitteln oder mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommen, aber auch solche, von denen niemand erwarten würde, dass sie unter die Lebensmittelgesetzgebung fallen. Für die Gebrauchsgegenstände schreibt die LGV aus unerfindlichen Gründen keine dokumentierte Rückverfolgbarkeit vor. Gleichwohl müssten die Hersteller und die übrigen Inverkehrbringer von Gebrauchsgegenständen ein Interesse daran haben, beim Auftauchen von Sicherheitsdefiziten ihrer Produkte die ihnen von der LGV neuerdings auferlegte Pflicht zur Rücknahme aus den Verkaufskanälen oder zum Rückruf von den Verbrauchern möglichst anhand einer Chargenkennzeichnung rationell und Kosten sparend durchzuführen.Eine dokumentierte Rückverfolgbarkeit à la LGV wäre überhaupt sämtlichen Nonfood-Branchen nützlich, also auch den Herstellern von Elektrogeräten, Sport-, Freizeit- und Do-it-yourself-Produkten.
Eingeschränkter Rückgriff
«Rückverfolgbarkeit» ist nur die halbe Wahrheit. Wenn Produktgefahren auftauchen, ist der Weg der Produkte «downstream», also bis zum letzten Abnehmer, den es zu warnen gilt, top aktuell. Gleichzeitig muss ein Unternehmen aber auch nach rückwärts schauen. Die Rückverfolgbarkeit «upstream» von Produkten, Rohstoffen, Zwischenprodukten und von Teilen wie Verpackungen ist unentbehrlich, selbst wenn sie von Gesetzes wegen erst für Lebensmittel und dergleichen vorgeschrieben ist. Nach erfolgter Schadenminderung oder Schadenersatzleistung können die Hersteller und Vermarkter ihren Rückgriff auf die Vorlieferanten nur dann erfolgreich ausüben, wenn die Rückverfolgung upstream funktioniert.Auch wenn die LGV aus unerfindlichen Gründen ausschliesslich für Lebensmittel, Nutztiere etc. eine Dokumentation der Rückverfolgbarkeit verlangt, so ist diese auch für die Inverkehrbringer aller anderen Erzeugnisse unerlässlich, um ihre Ansprüche an die Vorlieferanten zu untermauern.
Wie ein grosser Lebensmittelhersteller die Rückverfolgbarkeit eingeführt hat, schilderte Alfred H. Bachmann von Unilever Schweiz GmbH am GS1-Arbeitsforum 2007. Das Unternehmen beschafft und verarbeitet Rohmaterial, Halb-, Fertigprodukte und Handelsware und beliefert den Handel mit Fertigprodukten und Handelsware. Für einzelne Produkte werden entsprechend Rohmaterialien von mehreren Lieferanten verarbeitet.
Es zeigte sich, dass das herkömmliche System die interne und externe Durchgängigkeit nicht zu 100% gewährleistete. Ausserhalb des Warehouse-Managements verliert sich die Spur, die Hilfskonstrukte und -programme erwiesen sich als träge und unpräzise. An der Umstellung auf die Unilever-Standard-Auszeichnung mit durchgängiger Chargencodierung von rund 11000 Positionen Rohmaterial, Halb-, Fertigfabrikate und Handelsware wurde über ein Jahr lang gearbeitet. Es war harte Knochenarbeit.Heute kann eine Fertigfabrikatcharge über sämtliche Fertigungsstufen hinweg bis zur Rohstoffcharge des Lieferanten aufgelöst werden. Es kann analysiert werden, wohin die mangelhafte Charge des Rohstoffs gelangte und dementsprechend ein öffentlicher oder Handelsrückruf genau auf die betroffenen Produkte und Chargen eingegrenzt werden. Die Verfolgung jeder einzelnen Rohstoffcharge ist über alle Fertigungsstufen hinweg bis zur Fertigfabrikatcharge gewährleistet, und diese kann über alle Vertriebsbelege bis zum Warenempfänger verfolgt werden.Als Nutzen der aufwendigen System-Einführung bezeichnet Bachmann die verbesserte Rückverfolgbarkeit, kürzere Reaktionszeiten bei Qualitätsbeanstandungen, die auch genauer und begrenzbarer sind. Die Überwachung des Mindesthaltbarkeitsdatums ist ausserhalb des Warehouse-Managements möglich. Kundenretouren sind auf Echtheit überprüfbar.Die Chargen können periodisch einer Qualitätsprüfung unterzogen werden mit Wiederholprüfung nach einer definierten Lagerzeit. Es ist eine Chargensperrung möglich. Chargen-Picking im Vertrieb sichert eine garantierte Restlaufzeit für den Handel, eine verkürzte Restlaufzeit für Restposten und eine längste Restlaufzeit für umgearbeitete Produkte.