Eine der wichtigsten Schaltstellen des umkämpften europäischen Erdgasmarkts liegt künftig in Zug. Nicht nur sitzen hier bereits zwei der Gesellschaften, welche die grössten eurasischen Erdgas-Infrastrukturprojekte betreiben (Nord Stream und South Stream, siehe Grafik). Seit kurzem wird auch die Erschliessung des Shtokman-Erdgasfelds in der Barentssee, einem der grössten Erdgasfelder weltweit, von Zug aus orchestriert.
Dies geht aus einem Handelsregistereintrag der Shtokman Development AG von vergangener Woche hervor. Die mit einem Aktienkapital von 150 Mio Fr. ausgestattete Gesellschaft gehört zu 51% Gazprom, 25% der französischen Total und 24% der norwegischen StatoilHydro. Die drei Einzelunterschriftsberechtigten sind Alexej Miller, Gazprompräsident und VR-Präsident der Zuger Gesellschaft, Yury Komarov, ebenfalls in der Gazprom-Führung und CEO der Zuger Gesellschaft, sowie Ivo Bechtiger, der Schweizer Direktor.
Milliardenkredite und Steuern
Die Wahl fiel auf Zug, weil es ein bekannter Standort für Rohstoffunternehmen und steuergünstig ist, aber auch, weil es einen neutralen Sitzungsort bietet für Russen, Franzosen und Norweger. Gazprom hat Letztere an Bord geholt, weil sie über das notwendige Know-how in der Unterseeexploration verfügen. Bis vergangenes Jahr wollte Gazprom das Projekt allein durchziehen, sah sich dann aber gezwungen, ausländische Expertise herbeizuziehen. Der staatlich kontrollierte Erdgasriese bleibt allerdings der alleinige Lizenzinhaber für das Shtokman-Erdgasfeld.In Zug wollen die Russen ein administratives Büro aufbauen, in Moskau oder an der Nordküste Russlands ist zudem eine Filiale geplant für die Ingenieure. Hierzulande wird die Buchhaltung und Revision abgewickelt. Möglicherweise wird auch ein Chefingenieur zugegen sein. «Die Firma dürfte über den Kapitalmarkt Milliardenkredite aufnehmen», sagt eine zuverlässige unternehmensnahe Quelle auf Anfrage der «Handelszeitung». Die Projektkosten der Shtokman-Exploration werden auf 15 bis 20 Mrd Dollar geschätzt. Die Firma wird laut dem Insider erst nach der Fertigstellung der Anlagen profitabel sein, dann aber steuerlich sehr einträglich werden. Das 600 km vor der Küste gewonnene Shtokman-Gas soll durch eine Pipeline an die russische Nordmeerküste spediert und dort teilweise für den Seetransport verflüssigt, teilweise durch eine inländische Pipeline via St. Petersburg in die Nord- Stream-Pipeline durch die Ostsee nach Deutschland gebracht werden. Das 4 Mrd Euro schwere Nord-Stream-Projekt, ebenfalls unter Federführung von Gazprom, soll die steigende Gasnachfrage Deutschlands, Englands, Frankreichs, Dänemarks und Hollands stillen. Derzeit kämpft die in Zug domizilierte Gesellschaft mit Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder als Verwaltungsratspräsident allerdings gegen Umweltauflagen Schwedens, was den Baubeginn verzögern könnte.
Chancen für hiesige Versorgung
Die Schweiz würde zu den Profiteuren der Nord-Stream-Linie gehören. In der Erdgas-Importstatistik taucht Russland nicht auf, doch die Schweiz bezieht gemäss dem Branchenverband der schweizerischen Gaswirtschaft (VSG) rund 15 bis 20% der Importe indirekt aus Russland. VSG-Sprecher Daniel Bächtold glaubt nicht, dass die Schweiz wegen der Zuger Zentrale Vorteile haben werde beim Bezug des Shtokman-Gases. Wichtig für den steigenden Gasbedarf seien die langfristigen Verträge mit bewährten ausländischen Partnern in Europa – Erdgas macht in der Schweiz heute 12% am Energieverbrauch aus und soll auf das EU-Niveau von 23% erhöht werden. Auch wenn die russischen Präsidentschaftswahlen vom kommenden 1. März weitere Stabilität verheissen, was die Investitionen in Gasprojekte anbelangt, setzt der VSG nicht speziell auf die Russen. Von Zug aus machen die Russen nicht nur vorwärts bei der Gasversorgung im Norden, sondern auch im Süden. Zusammen mit dem italienischen Energiekonzern Eni rief Gazprom letzten Sommer das South-Stream-Projekt ins Leben. Die South Stream AG mit Ivo Bechtiger als Verwaltungsratspräsidenten ist vor Monatsfrist in Zug registriert worden. Derzeit untersuchen Geologen eine mögliche Linienführungen im Schwarzen Meer, Bulgarien und Serbien – Richtung Österreich und Italien.Gazprom-Präsident Alexej Miller, der russische Präsidentschaftskandidat Dmitri Medwedew und der Direktor der serbischen Srbijagas haben Anfang dieser Woche ein Abkommen über den gemeinsamen Bau eines 400 km langen Stücks der South-Stream-Pipeline durch Serbien unterzeichnet.Aus dem Schweizer South-Stream-Sitz heisst es: Ob das Projekt, das das EU-Projekt Nabucco (Iran-Türkei-Europa) konkurrenziert, realisiert werde, sei noch offen. Mit Nabucco will die EU unabhängig von Gazprom und Russland selber direkt auf die kaspischen und iranischen Erdgasvorkommen zugreifen.