«Es gibt ein paar grosse Vorteile, bei einer Schweizer Firma zu arbeiten», erklärt die Sachbearbeiterin, die seit zwei Jahren bei einer Schweizer Handelsfirma in Moskau arbeitet. «Das Prestige ist höher. Der Lohn kommt regelmässig», zählt sie auf. Es gebe aber auch Nachteile, sagt sie schmunzelnd. «Einem russischen Chef kann ich einfach sagen, ich sei mit dem Auftrag noch nicht fertig. Bei meinem Schweizer Chef muss ich handfeste Gründe vorweisen können. Und ich muss selber Entscheidungen treffen und dafür Verantwortung übernehmen», sagt sie.

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«Du musst eben mitdenken», ruft ihre Kollegin lachend und fügt erklärend hinzu, dass dies die Lieblingsaussage des Chefs sei. «Das ist allerdings einfacher gesagt, als getan», sagt sie. «Aber das weiss unser Chef auch. So wie er uns nämlich beibringt, wie Schweizer Standards aussehen, müssen wir ihm hin und wieder sagen, in welcher Umgebung wir gross geworden sind: In der Sowjetunion. Damals hiess bei der Arbeit die Losung: Der Staat tut so, als ob er uns bezahlen würde, und wir tun so, als ob wir arbeiten würden.»

Unter der Hand teuer verkauft

Viel hat sich seit dem Ende der Sowjetunion verändert. Die Wirtschaft boomt, zumindest in den Grossstädten. Wo die meisten ausländischen Unternehmen tätig sind, gibt es in den Regalen all das zu kaufen, was es im Westen auch gibt. Doch hinter der westlich geprägten Kulisse, die sich rasend schnell verändert, verbergen sich verschiedenste Welten. Tür an Tür leben arme Babuschkas neben Emporkömmlingen. Junge, initiative, im Westen ausgebildete Spezialisten, die die Sowjetunion nur vom Hörensagen kennen, treffen auf ältere Kollegen, die zur Arbeit gehen, um Kollegen zu treffen. Ausländische Arbeitgeber bewegen sich in einem kulturellen und sozialen Spannungsfeld.

Die richtige Auswahl, Ausbildung und Führung lokaler Mitarbeiter ist unter diesen Umständen noch wichtiger als anderswo. Dies zeigt auch eine Umfrage unter Schweizer Unternehmern in Russland: «Aus allen Gesprächen, die ich mit Schweizer Unternehmern in Russland geführt habe, ging ganz klar hervor, dass die Mitarbeiter in Russland Erfolgsfaktor Nummer eins sind. Das Produkt und finanzielles Commitment müssen stimmen, doch der Erfolg kommt mit der Mitarbeiterführung», sagt Matthias P. Weibel, der für seine Dissertation umfassende Befragungen zum Thema durchgeführt hat. «Es hat sich allerdings auch gezeigt, dass der Führung, darunter vor allem der Mitarbeiterkontrolle, weitaus grössere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss als in der Schweiz. Die Kultur ist anders, sie haben andere Werte und verhalten sich deshalb anders», so Weibel.

«Anfang Jahr musste ich das Lager mit Gittern versperren lassen», sagt Stefan Mettler, Generaldirektor von M. Meesenburg SFS GmbH in Moskau. Das Unternehmen entstand 2001 durch die Fusion der russischen Tochter des Beschläge-Herstellers SFS Stadler mit der russischen Tochter des deutschen Konkurrenten M. Meesenburg.

Grenzenlose Improvisation

Hinter dem Gitter, das bis unter das Dach reicht, stapeln sich Farbkessel, Isoliermaterial und Fensterbeschläge, mit denen russische Tür- und Fensterproduzenten beliefert werden. «Es kam uns so viel Ware abhanden, dass wir reagieren mussten», sagt der 34-jährige Mettler. Seit 1995 lebt und arbeitet er in Moskau, erst baute er Fenster, 1996 wurde er Geschäftsleiter der russischen Tochter des Schweizer Beschlägeherstellers SFS Stadler. «In der Schweiz würde ich mich jetzt darüber beklagen, dass ich meinen Angestellten nicht vertrauen kann. Hier liegt die Sache anders. Mit den Löhnen, die ich bezahle, liege ich zwar weit über dem Durchschnittslohn und im Branchenschnitt gut, aber meine Lagerangestellten machen deshalb trotzdem keine grossen Sprünge. Was hier liegt, kann unter der Hand teuer verkauft werden», sagt Mettler.

«Es ist wichtig, die Menschen, die Kultur, das Land zu verstehen», sagt er. «Wer aus seiner Schweizer Sicht Entscheidungen trifft, riskiert schnell, Fehler zu machen.» Während in der Schweiz genaue Vorschriften, Anweisungen und Kontrollen als Einschränkung wahrgenommen werden, fühlen sich viele vor allem ältere und weniger qualifizierte Russen in Leitplanken wohl: «Als Schweizer fühlt man sich schlecht, wenn man zu viele Regeln aufstellt und zu stark kontrolliert. Die Russen sehen das anders. Je klarer die Regeln sind, desto weniger müssen sie selber entscheiden. Je weniger Verantwortung sie tragen müssen, desto kleiner ist ihre Angst, Fehler zu machen. Sie fühlen sich wohler und arbeiten besser», sagt Mettler.

Diese Erfahrungen hat auch Walter Denz gemacht. Der Schweizer eröffnet Anfang Mai in Moskau eine Zweigstelle seiner St. Petersburger Sprachschule Lidenz. Der Chef von rund 50 Angestellten hat zwölf Jahre Russlanderfahrung. «Man kann natürlich von den Russen Pünktlichkeit verlangen», sagt der 39jährige, der als Co-Autor an einem Buch über Business in Russland mitgeschrieben hat. «Besser ist es aber, man lernt, ihre Stärken zu nutzen und die Schwächen mit gezielten Massnahmen zu entschärfen. Wer Aufträge ohne Deadline gibt, muss sich nicht wundern, wenn er nichts hört. Denn Zeit ist in Russland ein dehnbarer Begriff. Positiv ist: Es gibt nichts, was unmöglich ist. Die Gabe zur Improvisation kennt kaum Grenzen und ist in diesem Land, wo öfter etwas nicht wie vorgesehen funktioniert, Gold wert.»



Literatur

- Business mit Russland. Ratgeber für Einsteiger. Walter Denz/Karl Eckstein.

- Cope with Russia! Aufbau und Führung von ausländischen Direktinvestitionen in Russland. Risiken Erfolgsfaktoren Empfehlungen. Matthias P. Weibel.

- Geschäftstätigkeit in der Russischen Föderation, Ernst & Young International, Ltd. 2002. Kann als PDF in deutscher Sprache heruntergeladen werden: www.ey.com/global/content.nsf/Russia_E/Homen Russlandknigge. Annette Baumgart/ Bianca Jänecke.



Weitere Informationen

- Schweizer Business Hub, c/o Schweizer Botschaft, Sretenskij Boulevard 6/1, 101000 Moskau Tel. 007 095 921 50 61, Fax 007 095 921 16 27 (www.osec.ch/sbhrussia)

- German Business Center von Ernst & Young in Moskau. Berät auch mittelständische Unternehmen beim Aufbau oder Ausbau der Geschäftstätigkeit in Russland und anderen GUS-Staaten (in deutscher Sprache) (www.ey.com/global/content.nsf/Russia_E/German_Business_Center_-_Overview)



Als Chef in Russland: Das müssen Sie wissen

Ohne Chef läuft in Russland nur wenig. Er verkörpert für die Angestellten das Unternehmen; was er sagt, wird gemacht. Sagt er nichts, passiert auch nichts. Russen sind ihren Chefs gegenüber loyal und akzeptieren Hierarchien. Sie erwarten im Gegenzug, dass der Vorgesetzte sich um ihr persönliches Wohlergehen sorgt.

Der Lohn ist auch in Russland ein zentrales Element der Arbeitszufriedenheit. Gerade in Moskau steigen die Löhne schnell, für Arbeitgeber ist es deshalb wichtig, die Lohnentwicklung zu verfolgen, damit gute Angestellte nicht das Angebot der Konkurrenz annehmen.

Für Russen sind Gespräche mehr als nur der Austausch von Informationen. Sie sind eine Art von «emotionaler Erfahrung». Mitarbeitergespräche nur auf das eigentliche Thema einzuschränken, ist für den russischen Mitarbeiter ein Affront. Das Zwischenmenschliche in Russland ist allerdings sehr stark formalisiert und durch Höflichkeitsregeln bestimmt, die sich am sozialen Status orientieren. Einem Chef zum Beispiel wird nur selten offen widersprochen, vielmehr schlägt sich das Nicht-Einverstandensein im Verhalten nieder.

Wichtig ist es, wie die Führungsperson mit Fehlern ihrer Untergebenen umgeht. Entsteht keine Kultur, in denen Fehler vorkommen können und wo man einen konstruktiven Umgang findet, werden die Angestellten ihre Risikoaversion nicht abbauen und das Delegieren wird schwierig bleiben. Es empfiehlt sich, neben dem Bonus- auch ein Malus-System einzuführen: In Betrieben, in denen keine Konsequenzen gezogen werden, wenn eine delegierte Aufgabe nicht den Abmachungen entsprechend erledigt wurde, wird es unmöglich sein, eine Kultur aufzubauen, in der Delegation möglich ist.

Gerade in Sitzungen wird dem Chef viel Fingerspitzengefühl abverlangt. Diskussionen im grossen Kreis bringen in Russland generell weniger als im Westen. Spontane Vorschläge, vor allem, wenn sie den Vorstellungen des Chefs widersprechen (könnten), werden kaum vor versammelter Mannschaft vorgebracht.