Aufs Choucroute (französisch) oder Sürkrüt (elsässisch) sind sie im Elsass stolz: Jean-Jacques Colin aus Ittenheim etwa trägt zu bestimmten festlichen Anlässen ein grünes Gewand, das ihn mit seinen wallenden Überwürfen selbst in eine Art Kohlkopf verwandelt.
Eine schwere Amtskette mit rotem Schild erklärt die Maskerade: Colin ist Grossmeister der Sauerkraut-Bruderschaft, der rund 40 Gastronomen angehören, die auch eigene Rezepte pflegen. Solche gibt es immer mehr, seit die Elsässer erkannt haben, dass sich Sauerkraut nicht nur auf die überlieferte Weise mit Schweinshaxe oder Wurst, Na-ckenfleisch und Leberknödeln zubereiten lässt. Die Suche nach Abwechslung hat aber auch Auswüchse hervorgebracht, wie Colin einräumt. So trifft Sauerkraut-Sorbet nicht jedermanns Geschmack und Sauerkraut auf Flammkuchen hält der Grossmeister für eine unzulässige Verquickung zweier Originale. Sauerkraut mit Fisch oder Ente à la bière gehören dagegen zu den anerkannten Varianten.
Die Sauerkraut-Strasse
Es gab Zeiten, da war Sauerkraut auch im Elsass out. Zur Rettung wurde 1987 die Bruderschaft gegründet. Und da im Elsass jede Attraktion dahin strebt, in einer Tourismusstrasse aufzugehen, kam Anfang der 90er Jahre «La Route de la Choucroute» hinzu. Sie verbindet Restaurants und Hoteliers in malerischen Dörfern rund um Strassburg, die sich dem Kraut und seiner kulinarischen Weiterentwicklung verschrieben haben. Grossmeister Colin gehört ihr mit seinem Restaurant «Au BÏuf» ebenfalls an. Auch Betriebsbesichtigungen lassen sich in der Umgebung arrangieren, etwa in der Choucrouterie Baur in Blaesheim.
Besondere Geheimnisse wohnen der Zubereitung des Sauerkrauts nicht inne. Der Weisskohlkopf wird zuerst seiner grünen Blätter, anschliessend des Strunks in der Mitte entledigt, dann in kleine Streifen geschnitten. Salz bildet auf dieser Stufe der Verarbeitungskette die einzige Zutat, alles andere wird später vom Koch ergänzt. Für den säuerlichen Geschmack sorgt allein die Gärung, die je nach Aussentemperatur zwischen zwei Wochen und drei Monaten dauert. Mit diesem Reinheitsgebot stellt das Sauerkraut selbst Bier in den Schatten.
Blaesheim dürfte zu den bekannteren Dörfern des Elsass gehören. Auch das hängt mit dem Sauerkraut zusammen, wenn auch indirekt: 2001 trafen sich im örtlichen Restaurant «Chez Philippe» Bundeskanzler Gerhard Schröder und der französische Staatspräsident Jacques Chirac, um bei einem zünftigen Sauerkrautmahl die damals etwas eingerostete Zusammenarbeit zu erneuern ein Ansatz, der seither mit dem Begriff «Blaesheim-Prozess» belegt wird. Für Restaurantchef Philippe Schadt bedeutete der Besuch eine schöne Genugtuung, schliesslich hatten die Amtsvorgänger Helmut Schmidt und Valéry Giscard d'Estaing 25 Jahre zuvor noch das benachbarte «Au BÏuf» vorgezogen.
Prominente Referenzen hat auch das «Maison Kammerzell» am Strassburger Münsterplatz: Das Sauerkraut des Hauses wurde sogar schon dem Papst serviert, auch wenn der sich nicht persönlich in das Restaurant bequemte, sondern den Lieferservice bemühte. Der Elsässer Guy-Pierre Baumann, Betreiber des «Maison Kammerzell», nimmt für sich in Anspruch, die Kombination Fisch und Sauerkraut erfunden und damit die neuere Geschichte des Gemüses eingeläutet zu haben.
Das in seiner heutigen Gestalt rund 400 Jahre alte «Maison Kammerzell», einst Sitz betuchter Händler, bietet mit seiner exponierten Lage, seinem Charme und seinem Fassungsvermögen beste Voraussetzungen, die Kunde von der Wandlungsfähigkeit des Sauerkrauts zu den Touristen aus aller Welt zu bringen. In den zehn Salons finden knapp 400 Gäste Platz. Die meisten bestellen Sauerkraut mit Edelfischen.
Als Hort regionaler Identität versteht sich auch Roger Siffers Kabarett «La Choucrouterie» in einer ehemaligen Sauerkrautfabrik. Das zweisprachige Programm des Theaters Motto: Wenn m'r zweisprochig esch, kann m'r doppelt so viel Dummheite verzapfe lockt jährlich 20000 Besucher an. Im integrierten Restaurant wird selbstverständlich Sauerkraut serviert, sogar in einer Variante mit geräuchertem Rindfleisch und Knoblauchwurst.
Fein mit Riesling
Im «Kammerzell» wird zum Sauerkraut mit Edelfischen auf Wunsch ein Rezeptblatt ausgehändigt. Die Milde des Krauts muss mit der verwendeten Crème fraîche in Zusammenhang stehen. Bis ins Letzte verrät der Koch sein Geheimnis aber nicht. Wer sich dennoch zu Hause am Gericht versuchen will, kann in Töpferdörfern wie Soufflenheim oder Betschdorf nördlich von Strassburg das passende Steingut erwerben. Zum Sauerkraut trinkt man im Elsass am besten einheimischen Riesling. Zwischen Wein und Kraut besteht ohnehin eine Analogie: Beide verändern den Charakter, je älter sie werden. Grossmeister Colin freut sich denn auch auf die neue Ernte, die nur halb so viel Säure enthält wie älteres Kraut. Das junge Gemüse schmeckt mild und frisch wie der Federweisse beim Wein.
Infos zur Route de la Choucroute: Office de Tourisme Erstein, Tel. 0033 388 98 14 33 oder www.tourisme-alsace.com