Verwaltungsräte sehen sich seit langem Vorwürfen ausgesetzt. Woran liegt das? Haben Headhunter die falschen Leute vermittelt?

Sandro V. Gianella: Das weniger. Es sind vielmehr Fragen der sich weltweit verändernden Business-Kultur und Nachwehen der zurückliegenden Skandale und Restrukturierungswellen rund um den Globus. Dazu kommen natürlich vor allem menschliche Schwächen und Probleme bei der Bemessung von Abgangsentschädigungen. Hineingespielt hat auch der Umstand, dass die Einkommen des Topmanagements grosser Konzerne in letzter Zeit aufgrund der Restrukturierungserfolge und damit steigender Unternehmensgewinne zum Teil explodiert sind, während sie in mittelständischen Betrieben nur moderat gestiegen sind, nämlich um «nur» rund 8 bis 10%.

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Aber es mangelt trotz aller Anstrengungen der Headhunter an guten Kandidaten.

Gianella: In der Schweiz sind die Ressourcen tatsächlich beschränkt in Bezug auf Persönlichkeiten, Verfügbarkeit und Know-how, vor allem für die ganz grossen Aufgaben. Ein gutes Beispiel dafür ist der Verwaltungsratspräsident der Zurich Financial Services: Seit zwei Jahren sucht man einen Nachfolger für den 73-jährigen Lodewijk van Wachem.

Zwei Jahre sind lang, wenn in Verwaltungsräten und in Chefetagen das Denken oft nur bis zum Ende eines Quartals reicht...

Gianella: Vor wenigen Jahren hat man diese Entwicklung in den USA hier noch mit Kopfschütteln quittiert. Dann griff der kurzfristigere Horizont auf Grossbritannien über, und es war ein «angelsächsisches» Problem. Heute sind auch wir soweit, dass das Quartals-Reporting um sich greift.

Aber die Verwaltungsräte sind nicht unschuldig an der Situation.

Gianella: Zu den äusseren Gründen, die ich aufgezählt habe, kommen noch innere Kritikpunkte, die man von aussen weniger wahrnimmt: Der anstehende, aber schleppende Generationenwechsel und der so genannte «VR-Filz», der vielerorts angekreidet wird. Viele fragen sich, was denn da eigentlich abläuft.

Schweizer Verwaltungsräte wollen die Veränderungen oft nicht zur Kenntnis nehmen. Kommt da noch einiges auf uns zu?

Gianella: Sicherlich. Ich beobachte, dass die Verwaltungsräte, die mit ihren Unternehmen global exponiert sind, insgesamt betrachtet am weitesten gediehen sind bei der Verwaltungsratsarbeit. Man schaut ihnen insbesondere in den USA penibel auf die Finger, und es gibt ausgefeilte Checklisten usw.

Für die Verwaltungsräte bedeutet das eine gewaltige Belastung, aber auf die Qualität ihrer Arbeit hat es einen positiven Einfluss. Es fragt sich lediglich, wie weit man es damit treiben will: Vor lauter Checklisten abhaken treten die anderen, die eigentlichen unternehmerischen Arbeiten in den Hintergrund, und man lässt sich vielleicht von den falschen Zielen leiten. Das sind wieder neue Gefahrenherde.

Welche Trends sehen Sie bei den börsenkotierten KMU?

Gianella: Dort beginnt man, professioneller zu arbeiten. So bekommen wir vermehrt Aufträge aus dieser Grössenordnung von Unternehmen. Sie öffnen ihre Verwaltungsräte und verbessern damit ihr Know-how. Damit einher geht ein tiefgreifender Ablöseprozess von der Gründergeneration.

Und die nicht börsenkotierten?

Gianella: Sie haben ähnliche Probleme: Die Überalterung, die Fokussierung auf wenige Personen vor allem den «Patron» als eigentliche Drehscheibe und der nur sehr schleppend voranschreitende Generationenwechsel.

Ein wichtiger Grund ist doch, dass es ihnen an persönlichen Fähigkeiten, an Fachkenntnissen und der nötigen Zeit fehlt.

Gianella: Davon bin ich nicht überzeugt. Ich halte das für Märchen. Auch wenn alle diese Fähigkeiten gegeben wären, befänden wir uns in einer vergleichbaren Situation.

Woran fehlt es dann?

Gianella: In den meisten Verwaltungsräten gibt es viel zu wenig Führung. Das wäre die Aufgabe des Präsidenten; hier liegen die grössten Defizite. Es geht darum, wie er das Gremium zusammenstellt, die VR-Arbeit gestaltet und auch das Verhältnis zur Konzernleitung. Und wer kontrolliert sie? Die Aktionäre? Diese Instanz greift erst, wenn es schon fast zu spät ist.



Profil

Name: Sandro V. Gianella

Funktion: Gründer und Teilhaber Knight Gianella & Partner AG, Zürich

Alter: 44

Wohnort: Zollikon

Familie: Verheiratet, eine Tochter