Die von Ihnen inspirierte und jährlich in Auftrag gegebene Studie über die besten Verwaltungsräte in der Schweiz wurde anfänglich belächelt.
Sandro V. Gianella: Auch von Ihnen.

Zugegeben. Die Untersuchung hat Sie als Headhunter von Verwaltungsräten bekannt gemacht. Auch gefürchtet?
Die Studie wird nicht von mir, sondern von einem unabhängigen Marktfor-schungsunternehmen durchgeführt. Ursprünglich wollten wir vor allem zeigen, dass ein enger Zusammenhang besteht zwischen guter VR-Arbeit, die an ein entsprechend gutes Gremium gebunden ist, und der Performance eines Unternehmens. Aus den USA wussten wir, dass mit einer guten Corporate Governance ein Kursaufschlag von bis zu 30 Prozent zu erzielen ist.

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Mit der Klassifizierung in gute und schlechte Arbeit von Verwaltungsräten ging automatisch die Personifizierung der Leistungen einher. Erwünscht?
Dieser Punkt war ursprünglich gar nicht beabsichtigt. Doch plötzlich konnte man hinter die Kulissen schauen, wer und welches Gremium für wen «in» ist. An der Umfrage nehmen bekanntlich Finanzchefs, Analysten, Vermögensverwalter, Investoren und Wirtschaftsjournalisten teil. Unsere Studie macht eine Corporate Governance mess- und sichtbar – für die Medien, für die
Öffentlichkeit.

Welche Auswirkungen hatten die Studien bislang?
Die Reputationsfrage kam aufs Tapet, und Verwaltungsräte haben begonnen, bei Problemen einzuschreiten, bevor es zu Eklats kommt. Bisher hatte man sich zu sehr an das Sprichwort «Reden ist Silber, Schweigen ist Gold» gehalten. Verwaltungsräte haben inzwischen gelernt, dass sie kommunizieren und Stellung
beziehen müssen.

Wenn einer bei Ihnen die rote Laterne trägt, heisst das, dass Sie bald jemand anders suchen können?
Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, die Untersuchungen können nicht personelle Konsequenzen zur Folge haben.

Ihre Studie hat aber auch eine Reihe von Spitzenverwaltungsräten geadelt, die bald danach abgestürzt sind. Tausend-sassa Robert A. Jeker etwa …
… ich habe eine hohe Achtung vor ihm. Er hat doch das Thema Verwaltungsräte für die Öffentlichkeit erst richtig visibel gemacht, indem er eine Lanze für den Profiverwaltungrat gebrochen hat, der Leadership zeigen kann. Robert Jeker ist leider von gewissen Kreisen auch als Kühlerfigur für ihre Interessen missbraucht worden. Heute weiss man, wie wichtig die Unabhängigkeit eines Verwaltungsrats ist.

Man weiss aber auch, dass die Grenzen zwischen gut gemeint, naiv und sich über den Tisch ziehen lassen sehr
fliessend sind.

Nochmals: Ein Verwaltungsrat sollte unabhängig sein, übrigens auch von den Aktionären. Ich finde es falsch, wenn ein VR-Mitglied bestimmten Aktionären verpflichtet ist. Der VR hat ausschliesslich dem Unternehmen verpflichtet zu sein. Er hat stets zu überlegen: Was ist das Beste für das Unternehmen? Das muss nicht zwangsläufig das Beste für den Aktionär bedeuten. Wenn aus – falscher – Rücksicht auf bestimmte Aktionäre eine Firma an die Wand gefahren wird, ist nämlich der Verwaltungsrat schuld.

Wie ist es um die Unabhängigkeit in der Schweiz bestellt?
Im Vergleich zu früher ist sie besser geworden, aber die Ansprüche sind weiter gewachsen. Es geht längst nicht mehr nur um die finanzielle Abhängigkeit. Man muss geistig unabhängig sein. Man muss für das Unternehmen verfügbar sein – was sich bei Verwaltungsräten dramatisch verschlechtert hat. Nicht verfügbar sein heisst, von den Entscheiden anderer abhängig zu sein. Als Verwaltungsrat dürfen Sie keinem Zeitdruck unterliegen. Heute sollten Sie von einer definierten Minimalbelastung aus jederzeit 40 Prozent heraufschalten können, früher waren es vielleicht 20 Prozent.

Neben Jeker erzielten auch Highflyer wie Mühlemann und Hüppi Spitzenplatzierungen in Ihrer Umfrage. Wie konnten sich die befragten Experten so täuschen?
Wir alle haben uns von den kurzfristigen Erfolgen blenden lassen und müssen unsere Lehren daraus ziehen. In der Zwischenzeit ist mir unsere Darstellung nach Gewinnern und Verlierern fast etwas zu plakativ geworden. Doch mein Grundanliegen bleibt unverändert: Ich sehe unsere Arbeit als Mosaikstein im Rahmen anderer Anstrengungen, die Corporate Governance in der Schweiz zu verbessern.

Wo stehen wir in den Verwaltungsräten damit?
Wir sehen noch viele Gremien, die noch nicht einmal über Audit-Committees verfügen oder damit erst in den Anfängen stecken. Vieles von dem, was Verwaltungsräte unternehmen, ist rein defensiv. Es geht um die Aufarbeitung der Vergangenheit. Doch langsam sollte man nach vorne blicken und in die Offensive gehen.

Wie aktiv erleben Sie unsere Verwaltungsräte?
Zu 50 Prozent stehen sie auf der Bremse. Viele VRs haben bereits wieder das Gefühl, sie könnten zur Tagesordnung übergehen. Viele sind zwar aktiver geworden, doch «what’s the output»? Ihre nach wie vor grösste Schwäche sind die Entscheidungsfähigkeit und die Entscheidungsfreude.

Was kommt nach Audit- und Compensation-Committee, Aufgabenstellungen, die in jüngster Vergangenheit heiss diskutiert worden sind, als Nächstes auf die Verwaltungsräte zu?
Human-Relations! Das wird der ganz grosse Renner. Da zu erwarten ist, dass der Wettbewerb noch härter wird, gehört das Ressourcenmanagment bald zu den vordringlichsten Aufgaben auch des Verwaltungsrats: Wie sieht unser Talentpool aus? Wie können wir gute Leute behalten? Wie sieht eine moderne Führungs- und Organisationsstruktur aus? Welches Wissen brauchen wir dazu?

Wie steht es mit Ihrem Talentpool? Wo finden Sie Ihre Kandidaten?
Quantitativ hätten wir genügend im eigenen Land, doch qualitativ sieht es ganz anders aus. Für eine zunehmende Zahl von Aufgabenstellungen stehen schlicht keine Schweizer mehr zur Verfügung. Entweder sind Spezialisten kaum oder nicht vorhanden, oder aber sie sind nicht für zusätzliche Mandate verfügbar. Darum suchen wir immer öfter im Ausland. In der Regel kosten Ausländer aber etwas mehr, weil für ihre Verfügbarkeit alleine wegen der Anreise mehr bezahlt werden muss.

Medard Meier
Chefredaktor BILANZ,
medard.meier@bilanz.ch

Gerd Löhrer
Redaktor BILANZ,
gerd.loehrer@bilanz.ch