Der Streit zwischen der französischen Regierung und dem Pariser Pharmakonzern Sanofi um einen möglichen Impfstoff ist über Nacht um eine Wendung reicher geworden. Es sei «absurd, von einer Bevorzugung der USA zu sprechen», sagte Serge Weinberg, Verwaltungsratspräsident des Pariser Pharmakonzerns, in einem Interview mit der Zeitung «Le Figaro». Die Aussagen von Konzernchef Paul Hudson seien missverstanden worden.

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Der CEO des Impfstoffherstellers aus Paris hatte am Vortag gesagt, die US-Regierung sei die erste gewesen, welche sich an der Erforschung eines Impfstoffs beteiligt habe – sie werde im Erfolgsfall deshalb auch als Erstes Impfstoffdosen bekommen.

Dem Sender «France 2» sagte Verwaltungsratspräsident Weinberg nun, der Konzern werde sicherstellen, dass ein solches Mittel in allen Regionen der Welt zur gleichen Zeit verfügbar sei. Sanofi habe verschiedene Möglichkeiten zur Produktion. Einige davon seien in den USA, noch mehr aber in Europa und Frankreich.

Sanofi ist seit dem Ausscheiden Grossbritanniens – und damit auch des Pharmakonzerns GSK – aus der EU der einzige grosse Impfstoffhersteller innerhalb der Union.

Serge Weinberg, Sohn von Sammy Weinberg, dem Gründer des gleichnamigen  Prêt-à-porter-Hauses für Damenmode, soll französischen Zeitungen zufolge zu den Patrons gehören, die dem Staatspräsidenten besonders nahestehen. So habe Weinberg als Verwaltungsrat von Rothschild dem heutigen Staatspräsidenten 2008 geholfen, dass Emmanuel Macron bei der Bank angestellt wurde.

CEO Paul Hudson sagte, die Amerikaner hätten Vortritt

Sanofi-Konzernchef Paul Hudson, ein ehemaliger Top-Manager von Novartis, hatte in einem Interview mit Bloomberg gesagt: «Die US-Regierung hat Anrecht auf die grösste Vorbestellung, weil sie sich an den Risiken beteiligt hat». Washington hatte im Februar in eine Impfstoff-Partnerschaft mit Sanofi einbezahlt, und wie Hudson nun feststellte, sei die Ansage damals klar gewesen: «We expect to get the doses first» – wer zuerst zahlt, mahlt zuerst.

Die Aussagen hatten in Frankreich für Empörung gesorgt. CEO Paul Hudson wurde von Staatspräsident Macron in den Élysée-Palast zitiert. Macron sei «betroffen» von der Ankündigung, zitierte Bloomberg einen Offiziellen aus der Entourage des Präsidenten. Ein Impfstoff sei ein «common good» ausserhalb der «Regeln des Marktes».

Er habe bei den Europäern geweibelt, um sie darauf aufmerksam zu machen, dass die USA den Impfstoff im Erfolgsfall als Erste bekämen, sagte Paul Hudson. Die Amerikaner dagegen hätten «investiert und versucht, ihre Bevölkerung zu schützen und die Wirtschaft wieder zu starten».

Europa liess sich Zeit

Der Sanofi-Chef spielte damit auch auf die langsame Reaktion der Europäer bei der Impfstoffforschung an. Erst vor wenigen Tagen hatten sich Regierungschefs aus aller Welt und private Organisationen wie die Bill & Melinda Gates Foundation darauf verständigt, 7,4 Milliarden Euro in die Bekämpfung von Covid-19 zu investieren, unter anderem in die Impfstoffforschung. Die Konferenz war auf Einladung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erfolgt; von der deutschen Regierung kamen 525 Millionen Euro.

Demgegenüber ist die Regierung von Donald Trump offenbar daran, selber Milliarden in den Aufbau in die Entwicklung eines Sars-CoV-2-Impfstoffs zu investieren. Mit der «Operation Warp Speed» werden die Kräfte von Pharmafirmen, Regierungsorganisationen und dem Militär gebündelt. Ziel ist es, die Impfstoffentwicklung und den Aufbau der Produktionskapazitäten so zu beschleunigen, dass quasi sofort die ganze Bevölkerung von mehr als 300 Millionen Amerikanern und Amerikanerinnen geimpft werden könnte.

Die US-Regierung hatte schon früh umfangreiche Investitionen in die Impfstoffforschung gemacht. So investierte sie im April fast eine halbe Milliarde Dollar in Moderna: Das Biotech-Unternehmen aus Cambridge, Massachusetts, ging im Februar als erstes Unternehmen mit einem Impfstoffkandidaten in Tests an Probanden.  

Biotech-Firmen stellen sich geografisch breit auf

Die Episode wirft ein Schlaglicht auf die Problematik der Verteilung von Medizinalgütern in einer akuten Gesundheitskrise wie Covid-19. Die umfangreichen Exportbeschränkungen bei Schutzmaterial und Medikamenten zeigen, dass die Regierungen dazu tendieren, die Interessen der eigenen Bevölkerung in den Vordergrund zu stellen und weniger auf internationale Kooperation zu setzen. Zu befürchten ist nun, dass das auch bei einem Impfstoff nicht anders sein wird.

Zudem zeigt sie: Wenn im grossen Stil Steuergelder in die Pharmaforschung fliessen, wie das zurzeit bei der Suche nach einem Covid-19-Impfstoff der Fall ist, dann wird es fast zwangsläufig hässlich. Eigentlich sollte der Impfstoff, so er denn entwickelt ist, ja dort als Erstes eingesetzt werden, wo der Bedarf medizinisch am grössten ist – und das ist bei schnell übertragbaren Infektionskrankheiten wie Covid-19 in der Regel dort, wo gerade ein Ausbruch stattfindet. Stattdessen besteht nun die Gefahr, dass diejenigen  Länder, die am meisten investiert haben – also die USA und China – zuerst zum Zug kommen. Es droht ein Impfstoff-Nationalismus.

Impfstoff-Nationalismus – die Industrie gibt Gegensteuer

Daran kann die Industrie kein Interesse haben. Sie versucht deshalb nach Kräften, Gegensteuer zu geben und grenzüberschreitend zusammenzuspannen. Der Sanofi-Chef, der nun vom Élysée aufgeboten wird, hat sich mit GSK-Chefin Emma Walmsley zusammengetan, um ärmelkanalübergreifend die Kräfte für die Entwicklung und Produktion eines allfälligen Impfstoffs zu bündeln. Ziel der bemerkenswerten Kooperation zweier Konkurrenten ist es, einen Impfstoff möglichst schnell möglichst vielen Menschen zur Verfügung zu stellen.

Auch das Beispiel der deutschen Firma Biontech zeigt, dass viele Impfstoffentwickler versuchen, sich geografisch breit abzustützen. Das Unternehmen aus Mainz, das als erstes in Deutschland in Tests an Probanden ging, ist mit Blick auf die Impfstoffproduktion sowohl eine Kooperation mit dem amerikanischen Pharmakonzern Pfizer als auch mit der chinesischen Fosun Pharmaceuticals eingegangen.

Die Betrachtung, wonach die Pharmaindustrie versuche, einzelne Regierungen zu bevorzugen, greift deshalb zu kurz.