Für den Aargauer Manuel Grenacher ist eingetroffen, wovon die meisten Startup-Gründer träumen: Er kann sein Produkt weltweit ausrollen – mit einem grossen Konzern im Rücken. Dass der deutsche Softwaregigant SAP das Schweizer Startup Coresystems kauft, wurde vergangenen Sommer bekannt. Laut «Bilanz» lag der Verkaufspreis zwischen 100 und 150 Millionen Franken. Es ist einer der grössten Exits der Schweizer Startup-Szene.

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Wie kam es dazu? Und was hat SAP nun mit dem Schweizer Unternehmen vor? Antworten auf diese Fragen findet die «Handelszeitung» bei einem Treffen mit Grenacher und Michael Locher-Tjoa, seit Juli 2018 Geschäftsführer von SAP Schweiz. Das Treffen findet statt im Innovationspark Dübendorf, SAP betreibt dort eine Garage, um gemeinsam mit Kunden in einer Umgebung mit Startup-Flair neue Projekte zu entwickeln.

Diesem Stadium ist Coresystems allerdings längst entwachsen. Es geht um Big Business. Die Schweizer sollen dem Konzern aus Walldorf helfen, im stark wachsenden Markt der CRM-Software (Consumer Relationship Management) den US-Konkurrent Salesforce einzuholen. Denn Coresystems ist Pionier im Bereich, den SAP als das nächste grosse Ding der Wirtschaft sieht: Crowd-Business.

Service-Leute zu jeder Tageszeit

So funktioniert der Crowd-Ansatz: Ging früher ein Gerät Kaputt, rief der Kunde bei der Hotline an, musste auf einen freien Mitarbeiter warten, ihm Gerät und Problem erklären und wenn nötig einen Termin vereinbaren. Das ist alte Schule. Künftig entscheidend ist der Service in Echtzeit. Besonders weil dank dem Internet of Things (IoT) Maschinen ein Problem erkennen, bevor ein Defekt eintritt – und direkt die Wartung initiieren, damit es erst gar nicht zu Produktionsausfällen kommt.

Nur: Mit der beschränkten Anzahl an Technikern in einzelnen Unternehmen ist das kaum möglich. Da kommt die Crowd ins Spiel. Die Cloud-Plattform von Coresystem sucht dank künstlicher Intelligenz (KI) qualifizierte Techniker – ausgewählt nach Fähigkeit, Standort und Verfügbarkeit. Damit genügend Personal bereit steht, können sich Unternehmen ein Ökosystem an internen und externen Service-Partnern sowie erfahrene freiberufliche Techniker aufbauen. Und jederzeit darauf zugreifen.

Grosse Chancen sieht SAP bei Service-Technikern in Branchen wie der Fertigungsindustrie, Maschinenbau, Medizintechnologie, Telekommunikation sowie bei Haushalts- und Bürogeräten.

«Erst kam die Cloud, jetzt kommt die Crowd», sagt Grenacher, der nun bei SAP den neuen Bereich Field Service Cloud verantwortet. Dank der Crowd könnten KMU stark expandieren. Ein Beispiel: «Angenommen, ich bin ein kleiner Hersteller aus der Schweiz und habe ein sensationelles Produkt, kann jedoch nicht nach Indien liefern, weil dort die Service-Leute fehlen. Mit einem Crowd-Ansatz hingegen lässt sich weltweit auf Ressourcen zugreifen.» SAP hat dazu die Online-Learning-Plattform Litmos akquiriert, damit Unternehmen weltweit künftige Service-Mitarbeiter ausbilden, zertifizieren und in ihre Crowd aufnehmen können.

Kundenzufriedenheit sei oft schlecht

Einen grossen Vorteil sieht Grenacher in der Steigerung der Kundenzufriedenheit. Diese sei derzeit bei vielen Firmen schlecht. «Kunden möchten heute Services per App bestellen, Termine mit einem Techniker individuell wählen und bei Bedarf verschieben können.» Coresystems mache das möglich.

SAP-Schweiz-Chef Locher-Tjoa sagt, dass das genannte Management von Service-Technikern nur der Anfang sei und Crowd-Modelle überall funktionierten, wo Agenten im Einsatz sind – so wäre die Anwendung auch bei Banken und Versicherungen denkbar, praktisch in allen Branchen.

Bestätigung dank Siemens

Dass Grenachers Startup aus Windisch AG das Interesse des deutschen Softwareriese auf sich zog, kam nicht plötzlich. «Wir waren schon vor der Akquisition mehr als zehn Jahre lang SAP-Partner», sagt er. 80 Prozent der Kunden hätten mit SAP-Systemen gearbeitet. Entscheidend war jedoch, als sich 2017 Siemens für die Schweizer Software-Lösung entschied – um sein weltweites Aussendienstgeschäft zu digitalisieren. «Dass sich ein Unternehmen wie Siemens für eine Lösung eines Start-ups mit 150 Mitarbeitern entschied, zeigt: Wir hatten etwas Einzigartiges geschaffen.»

SAP Coresyytems

Damit genügend Personal bereit steht, können sich Unternehmen ein Ökosystem an internen und externen Service-Partnern aufbauen.

Quelle: ZVG

Angefangen hat Coresystems 2006, mit lokalen Garagisten als erste Kunden. Bald sammelte Grenacher 50 Millionen Franken an Investoren-Geldern aus der Schweiz ein. «Um aber weltweit etwa mit Salesforce konkurrieren zu können, wären Investments ab 200 Millionen nötig gewesen», sagt Grenacher. Deshalb habe er nach einem strategischen Investor mit den nötigen Mitteln gesucht. «Mit SAP haben wir nun die Power, weltweit zu skalieren.» Überzeugt habe SAP, dass die Coresystems Lösung auch offline verfügbar und nutzbar ist, sagt Locher-Tjoa. «Es gibt nicht viele Anbieter, die dieses leisten können.»

SAP hat nun einen Entwicklungsstandort in der Schweiz

In der Schweiz eröffnete SAP 1984 den ersten Sitz ausserhalb Deutschlands. Heute gehört SAP Schweiz weltweit zu den fünf umsatzstärksten Landesgesellschaften des Technologiekonzerns, mit rund 800 Mitarbeitenden an vier Standorten. Mit Coresystem, das neu SAP Field Service Management heisst, hat der deutsche IT-Konzern nun ein erstes Produkt, das aus der Schweiz heraus entwickelt wird.

Zwar kaufte SAP bereits 2013 die Schweizer E-Commerce-Lösung Hybris. Entwickelt wurde diese jedoch in München. Wie Hybris gehört Coresystems nun zu einem der fünf Pfeiler innerhalb der im Frühling 2018 lancierten CRM-Lösung C/4 Hana.

So verhelfen die Schweizer zur Aufholjagd

Gross geworden ist SAP mit Software für Buchhaltung, Personalwesen und Materialwirtschaft – genannt ERP (Enterprise-Resource-Planing). In diesem Segment ist SAP klarer Marktführer. Am stärksten Wachsen wird aber künftig der CRM-Markt. Und da dominiert Salesforce mit einem Anteil von fast 20 Prozent, SAP kommt mit 6,5 Prozent auf Platz drei hinter Oracle mit 7,1 Prozent. Mit C/4 Hana soll sich das ändern.

«Wir wollen deutlich Wachstum steigern. Ein wichtiger Treiber hierfür sind Innovationen, die kontinuierlich gefördert und voran getrieben werden müssen.» sagt Locher-Tjoa.

Die cloudbasierte CRM-Lösung setzt sich aus den Bereichen Sales, Marketing, Commerce, Data und Service zusammen. Das Service-Segment, in dem Coresystem angesiedelt ist, hat laut Grenacher mit einem Markt im zweistelligen Milliardenbereich das grösste Wachstumspotenzial.

Derzeit kämen viele Anfragen von Unternehmen herein, sagt er. Dass SAP in C/4 Hana investiert, sei auch eine Investition in die Schweiz. Grenacher hat derzeit 20 Stellen offen, die es zu besetzen gilt.