Am Bahnhofskiosk stehen deutsche Bustouristen. Beim Restaurant nebenan nerven sich Gäste über lange Wartezeiten, weil der Koch den Ansturm zur Mittagszeit alleine bewältigen muss. Und vor dem Fünf-Sterne-Hotel The Chedi spazieren Asiaten durch die Strassen von Andermatt. Darüber flattert die Fahne des Kantons Uri. Ein schwarzer Stier mit rotem Nasenring auf gelben Grund. Die eine Seite der Flagge ist vom Wind schon etwas angefressen und leicht ausgefranst.
Das Wetter im Urner Bergdorf Andermatt kann stürmisch sein. An diesem Herbsttag aber scheint die Sonne. Das Thermometer zeigt sommerliche Werte, der Himmel ist stahlblau. Franz-Xaver Simmen, Chef der vom ägyptischen Unternehmer Samih Sawiris kontrollierten Baufirma Andermatt Swiss Alps, erscheint im leichten Anzug und ohne Krawatte zum Gespräch.
Er ist bestens gelaunt. Die Eröffnung der Wintersaison ist trotz den Temperaturen ungefährdet. Und sein Unternehmen steht finanziell besser da als je zuvor. Das Fünf-Stern-Haus «The Chedi» verzeichnete im Sommer 25 Prozent mehr Gäste. Die Nachfrage nach Immobilien im Ferienort hat sich derart stark entwickelt, dass ab Januar die Preise um bis zu 10 Prozent angehoben werden.
Mehr als 1 Milliarde Franken wird die Firma von Sawiris Ende Jahr in den Ausbau der Region investiert haben, wie Simmen sagt. Das Geld floss in neue Skilifte, eine riesige Tiefgarage, einen Golfplatz, zehn Apartmenthäuser und zwei Hotels im Luxussegment.
Unterm Strich war das bislang ein Verlustgeschäft. Alleine im letzten Jahr betrug das Minus 30 Millionen Franken bei einem Umsatz von knapp über 70 Millionen Franken. Aber für dieses Jahr stellt Simmen ein «gutes Ergebnis» in Aussicht. Wird es der erste positive Abschluss? «Ich sage: Gut», erklärt Simmen. «Wir sind immer noch am Investieren, das Jahresergebnis hängt auch davon ab, wie viele Wohneinheiten wir in diesem Jahr noch an die Kunden übergeben können.»
Anziehende Immobilienverkäufe
Im Februar 2005 besuchte Samih Sawiris zum ersten Mal Andermatt. Vier Jahre später war Spatenstich für das Nobelhotel «The Chedi». 2010 startete der Verkauf von Wohnungen. Die Abnehmer waren zunächst zaghaft, haben jetzt aber Lunte gerochen.
«In diesem Jahr werden wir zum ersten Mal Immobilien im Wert von mehr als 100 Millionen Franken verkauft haben», sagt Simmen, ein gebürtiger Urner. Darin eingerechnet sei auch das 50 Millionen Franken schwere Paket, das sich Partners-Group-Mitgründer Urs Wietlisbach gesichert hat. Es beinhaltet fünf Penthäuser im «The Chedi» und zwanzig Eigentumswohnungen.
Dem Kauf gingen monatelange Diskussionen voraus. Wietlisbach und Sawiris kennen sich schon seit Jahren. Die beiden sind gut befreundet und haben immer wieder über eine Kooperation gesprochen.
Erste konkrete Gespräche über den Verkauf eines Immobilienpakets zu Sonderkonditionen gab es 2017. Anfang dieses Jahres setzten die beiden Baulöwen schliesslich eine neue Firma auf, welche die Immobilienwerte verwalten sollte. Name: Taurus Andermatt AG – eine Anlehnung an den Urner Stier im Kantonswappen. Wietlisbach und Sawiris setzen ihre Unterschriften unter den Gründungsvertrag und der Deal war perfekt. Wietlisbach ist mit einer Mehrheit am Unternehmen beteiligt, Sawiris hat sich eine Minderheit gesichert, damit er an künftigen Profiten mitverdienen kann.
Für Simmen ist der Vertrag ein Meilenstein in der Entwicklung von Andermatt. Es sei Sinnbild eines gestiegenen Interesses an der Region. Die Immobilienverkäufe der letzten Jahre summieren sich mittlerweile auf eine halbe Milliarde Franken. Gut die Hälfte der Käufer sind Schweizer. Der Rest ist aus dem Ausland. Eine Ausnahme von der Lex Koller macht dies möglich.
Erstes Schwimmbad in Andermatt
«Aktuell sind noch um die hundert bestehende oder sich im Bau befindende Wohnungen auf dem Markt», sagt Simmen. «Wir verzeichnen eine deutliche Zunahme der Nachfrage im zweistelligen Prozentbereich.» Deshalb schraube Andermatt Swiss Alps an den Preisen. Ab Januar sollen die Wohnungen zwischen 5 bis 10 Prozent teurer sein.
«Die höheren Preise sind eine Reaktion auf den Ausbau der Infrastruktur», so Simmen. Damit gemeint ist auch das zweite Hotelgrossprojekt. Das «Radisson Blu» wird im November seine Türen aufsperren. Das Vier-Sterne-Hotel umfasst 180 Zimmer und Suiten, zwei Restaurants und einen Wellness-Bereich. Der 25 Meter lange Indoor-Pool ist für die Öffentlichkeit zugänglich.
Es ist das erste Hallenbad für die Bewohner im Bergtal am Gotthard, wie Simmen aus eigener Erfahrung weiss. Der Manager ist in Realp aufgewachsen. Das Dorf ist 8 Kilometer von Andermatt entfernt. Zum Schwimmen musste er in der Jugend mit dem Zug nach Göschenen fahren.
Neue Busrouten nach Andermatt
Weil Zugpassagiere mehrmals umsteigen müssen, um von Zürich oder Luzern aus nach Andermatt zu kommen, hat Samih Sawiris im vergangenen Jahr mit den beiden Reisecar-Firmen Twerenbold und Heggli kooperiert. Diese Partnerschaft war offenbar erfolgreich. Sie geht in dieser Wintersaison in die Verlängerung – mit leichten Modifikationen. Neu gibt es vier Linien statt deren drei wie im letzten Jahr. Die Busse fahren ab Dezember. Sie starten in Lenzburg (via Baden), Aarau (via Olten), Zürich und Luzern. Eine fünfte Buslinie operiert ab Flüelen und Altdorf. Für diese Route zeichnet sich der Kanton verantwortlich.
Die Konzerthalle von Andermatt wird im März eingeweiht. Das ursprünglich angedachte Eröffnungsdatum von Ende Dezember musste verschoben werden, weil Sawiris Extrawünsche angebracht hat. Der Ägypter wollte von allem nur das Feinste.
Die Konzerthalle ist so etwas wie sein Lieblingsprojekt. Er beschäftigte sich mit Details zur Innenausstattung, Akustik, Möblierung und der Materialwahl. Die Halle wurde nachträglich nochmals vergrössert. «Je nach Bestuhlung schaffen wir jetzt 700 Plätze», sagt Simmen.
Neues Familienhotel
In diesem Kulturzentrum will Sawiris dereinst selbst am Flügel sitzen. Bis dahin vergehen allerdings noch knapp drei Jahre. Alsdann soll auch das dritte Hotelgrossprojekt konkrete Formen angenommen haben.
Simmen plant für Andermatt den Bau eines Familienhotels, wie es die Schweiz noch nicht gesehen haben soll. «Das Architektenteam und der Betreiber kommen aus Österreich, denn solche Projekte gibt es bis jetzt nur dort.»
Wenn alles nach Plan läuft, sollen die ersten Bagger bereits im nächsten Jahr anrollen. Ende 2022 sollte das Hotel stehen. «Die Investitionen liegen bei geschätzten 150 Millionen Franken», sagt Simmen. Das Innenleben, verspricht der Urner, sei explizit auf Familien mit Kindern ausgelegt. Kinderlose Gäste sollen keine Zimmer buchen können.
Das Highlight seien zwei Wasserrutschen. Geplant ist, dass sie vom achten Stock durch das ganze Gebäude und an der Rezeption in die Tiefe stürzen. Mit 190 Metern Länge soll die Anlage die längste Hotelwasserrutsche in Europa sein.
Lesen Sie zur Umfrage den Kommentar unseres Tourismus-Experten Andreas Güntert.