Es ist ruhig geworden in Cressier. Seit der Erdölverarbeiter Petroplus pleite ist, steht seine Raffinerie im neuenburgischen Dörfchen still. Und so rattern auch keine vollen Kesselwagen mehr über die 18 Gleise des Güterbahnhofs. Wo bis vor kurzem noch alle paar Stunden ein langer, schwerer Zug losrollte, geht nichts mehr. 2500 leere Züge haben die SBB letztes Jahr zur Raffinerie gefahren und gut gefüllt wieder abtransportiert. Viel Geld haben sie hier verdient. «Mit dem Verlust dieser Verkehre werden in der Region Ressourcen frei», halten die Bundesbahnen nun trocken fest.
Doch die Pleite von Petroplus ist für die SBB und ihren Frachtbereich mehr als der unglückliche Wegfall eines guten Kunden. Das Aus trifft SBB Cargo zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Die Tochter ist seit Jahren das Sorgenkind im Konzern. Trotz zahlreicher Sparübungen und Reorganisationen verbrannte sie allein von 2000 bis 2010 mehr als 800 Millionen Franken. Doch jetzt soll alles besser werden – verspricht zumindest die SBB-Spitze. Sie hat ein neues, millionenschweres Sanierungsprogramm lanciert, mit dem bis 2013 endlich auch der Güterverkehr ein ausgeglichenes Resultat erzielen soll.
Mit schwarzen Zahlen käme die Staatsbahn einem denkwürdigen Jubiläum zuvor. 2013 wären es nämlich exakt vierzig Jahre her, seit der Güterverkehr letztmals Gewinn machte. 1973 schockte die Ölkrise die Schweizer Wirtschaft. Der hohe Benzinpreis machte da Schienentransporte besonders attraktiv. Seither aber ging es bei SBB Cargo fast nur noch bergab.
Folklorefahrten mit Zuckerrüben
Die Ursachen für das chronische Defizit sind vielschichtig. Politik und Bundesbahnen selbst zeichnen dafür mitverantwortlich. Zwar schafften es die SBB-Chefs immer wieder, die Cargo-Bilanz zu entlasten und Bern für ihre Anliegen einzuspannen. Im Rahmen der Bahnreform etwa unterstellten Bundesrat und Parlament die teuren Rangierbahnhöfe der Infrastruktur und nicht der Cargo-Sparte, welche sie hauptsächlich nutzt. «Die Zuteilung haben wir damals angeregt», freut sich ein früherer SBB-Manager noch heute. «Sonst stünde Cargo noch schlechter da.»
Mit ebensolchen Schachzügen lenkten die Chefs gemäss Insidern allerdings lange von den grundlegenden Problemen ab. Es war eben einfacher, Ausgabenposten innerhalb eines Konzerns hin und her zu schieben oder Fördergelder für Container-Gabelstapler zu beantragen, als die Problemtochter radikal zu sanieren. So verhinderte die Führung auch «wahre Kostentransparenz», wie der einstige Solothurner Ständerat Rolf Büttiker kritisiert.
Die Politik hilft SBB Cargo aber nicht immer. Gegenüber dem Personenverkehr zieht der Bereich am Ende doch meist den Kürzeren. «Frachtkisten haben keine Stimm- und Wahlzettel», sagt FDP-Politiker Büttiker, der auch das Cargo Forum Schweiz präsidiert. «Mit dem Güterverkehr können sich die Parlamentarier keine Lorbeeren holen.» Das Schweizer Bahnnetz ist auf Passagiere ausgerichtet. Dort setzt Bundesbern die Prioritäten.
Ohne politische Unterstützung wird es für Cargo schwierig, aus den roten Zahlen zu fahren. Auch innerhalb der SBB muss sich gemäss dem Aargauer SVP-Nationalrat und Transport-Unternehmer Ulrich Giezendanner etwas ändern: «Sie behandeln ihre Cargo-Tochter wie ein Stiefkind. Deren Anliegen sind zweitrangig.»
Längst nicht alle Cargo-Probleme sind hausgemacht. Der SBB-Güterverkehr kämpft auch mit der Schweizer Kleinräumigkeit. Anders als in Russland oder den USA lohnt es sich hier wegen kurzer Wege oft kaum, die Güter in die Waggons zu verladen. «Da können die SBB noch so lange restrukturieren», meint Bahnprofi Büttiker. «Die kurzen Distanzen bringt der Konzern nicht weg.»
Den SBB macht auch der Strukturwandel zu schaffen. Die Schweiz besitzt kaum Bodenschätze. Zusehends verliert sie auch als Standort für die Grundstoffindustrie an Bedeutung. In den letzten zwei Jahren musste der Cargo-Bereich den Verlust von zwei wichtigen Industriekunden verkraften. Neben dem Konkurs des grössten Schweizer Sägewerks in Domat/Ems traf ihn auch die Schliessung der Papierfabrik in Biberist. Die Pleite von Petroplus ist deshalb umso mehr ein Schlag.
Mit den beiden Detailhändlern Migros und Coop, dem Zementhersteller Holcim oder dem Möbelgiganten Ikea besitzt SBB Cargo zwar nach wie vor über einen potenten Kundenkreis. Vieles, was die Bahn transportiert, ist gemäss Insidern jedoch den grossen Aufwand nicht wert. So freute sich SBB Cargo in ihrer Hauszeitung zwar etwa über die gute Zuckerrübenernte – fast eine Million Rüben holperten letztes Jahr über ihre Gleise. Für die Sparte und ihr Personal war damit jedoch an Dutzenden von Verladestationen eine Mehrarbeit verbunden, die sich kaum bezahlt mache, wie der einstige SBB-Manager verrät: «Der Aufwand ist unverhältnismässig. Eine Million Zuckerrüben kreuz und quer durchs Land zu fahren, ist reine Folklore.»
Für den ehemaligen Kadermann ist klar: «Unter diesen Umständen können die Bundesbahnen ihren Güterverkehr nicht profitabel betreiben.» SBB Cargo werde auch nächstes Jahr nicht schwarze Zahlen schreiben, ist er überzeugt. Auch Nationalrat Giezendanner ist skeptisch: «Ich glaube nicht, dass die Cargo-Tochter 2013 die Wende schafft.»
Die Bahn gibt sich dennoch zuversichtlich: SBB Cargo habe die Produktivität in den letzten Jahren bereits stark erhöht und über 100 Millionen Franken gespart. «Wir transportieren heute mehr Güter mit wesentlich weniger Wagen, Lokomotiven und Personal», teilt der Konzern mit. Mit dem Sanierungspaket will man sich nun um zusätzliche 80 Millionen Franken verbessern. «So kann bis 2013 ein ausgeglichenes Ergebnis erreicht werden», sind die SBB überzeugt.
Grosskunden verlieren Geduld
Sparen will die Bahn vor allem bei den Verladestationen. Noch immer unterhält SBB Cargo ein Netz von rund 500 Bedienpunkten; etwa die Hälfte davon sind Ausgangs- oder Zielort für lediglich 3 Prozent der Wagen. Eine solche Station ist Bauma ZH. Dort verkehrten 2010 lediglich 187 Wagen. «Diese schwach frequentierten Bedienpunkte müssen wir sanieren», sagte Cargo-Chef Nicolas Perrin kürzlich im konzerneigenen Magazin. «Wir wollen uns auf Punkte konzentrieren, für welche die Bahn das beste Transportmittel ist.»
Wie schwierig es ist, das Netz zu redimensionieren, musste der ehemalige SBB-Manager einst selbst erfahren. «Überall hagelt es Proteste», weiss er. Das mache eine Netzanpassung so schwierig.
Widerstand droht SBB Cargo nicht nur von lokalen Interessenvertretern. Zunehmend unzufrieden äussern sich auch die Kunden. Die Migros, mit über 80000 Bahnwagen und einem direkten Umsatz von rund 40 Millionen Franken der wichtigste Klient von SBB Cargo, ärgert sich beispielsweise über die jährlichen Preissteigerungen, besonders «weil SBB Cargo selbst anerkennt, dass es noch substanzielles internes Kostenoptimierungspotenzial gibt.» Der Detailhändler wünschte sich auch schnellere Antworten bei Offertanfragen sowie einen besseren Informationsfluss etwa bei einer Gotthard-Schliessung. Auch innovationsfreudiger dürften die Bundesbahnen gemäss der Migros werden, etwa bei Logistiklösungen.
Holcim wiederum setzt die Kritik beim Verlad an: «Die Bedienfenster für die SBB wurden zulasten der Benutzer der Gütereisenbahn optimiert», bemängelt der Zementkonzern. Mit den Preisen ist er ebenfalls unglücklich. Dem schliesst sich auch Coop an. SBB Cargo betreibe eine «aggressive Preispolitik». So fordere man ohne konkrete Leistungsverbesserungen substantielle Erhöhungen. Solche könnten vom Markt aber kaum übernommen werden. «Die Gefahr einer Rückverlagerung auf die Strasse besteht», so das Fazit des Detailhändlers. Auf die SBB und ihre Cargo-Sparte wartet noch viel Arbeit.