Die Herstellung von Kabelbearbeitungsmaschinen ist ein Geschäft, das wie geschaffen ist für den Technologiestandort Schweiz. Denn es vereinigt handwerkliche Präzision in der Fertigung mit Spitzentechnologie in den Bereichen Sensorik und Informatik. Da verwundert es nicht, dass die Schweiz in diesem Segment einen Weltmarktanteil von rund 60 Prozent hält. Zwei von fünf weltweit ausgelieferten Automaten liefert die Innerschweizer Komax, einen von fünf die Thuner Schleuniger. Hauptabnehmer sind die Ausrüster der grossen Telekommunikationskonzerne. Doch weil die im Gefolge der Dotcom-Krise ebenfalls in Engpässe gerieten, stoppten sie in der zweiten Hälfte des Jahres 2000 nach und nach ihre Investitionstätigkeit.

Eine Schockwelle, die sich in den darauf folgenden Monaten durch die ganze Wertschöpfungskette fortpflanzte. Anfang 2001 erreichten die Ausläufer auch Schleuniger. «Mit einem Nachlassen der Investitionstätigkeit im Telekommunikationssektor hatten wir auf Grund der allgemeinen Lage gerechnet», sagt Schleuniger-CEO Martin Strehl, «die Heftigkeit des Rückgangs hat uns hingegen überrascht.» In einigen Weltgegenden habe sich die Nachfrage buchstäblich über Nacht halbiert.

Jetzt stand Schleuniger vor der Wahl: Entweder man beliess alles beim Alten und vertraute darauf, dass die Märkte wieder anziehen würden, oder man ergriff erste Massnahmen zur Kostenreduktion. «Das Management by Hope kam für uns allerdings nicht in Frage», sagt Strehl, sodass innert Wochen die ersten Massnahmen eingeleitet wurden. Das Unternehmen trennte sich von Temporärbeschäftigten, zog die an Heimarbeiter abgegebenen Aufträge zurück und baute die Überzeiten und Ferienguthaben des Personals ab. Zudem nahm Strehl das betriebliche Ausgabenverhalten unter die Lupe, das in den fetten Jahren zuvor etwas leger geworden war.

Im Sommer 2001 stellte sich indes heraus, dass diese «sanften Massnahmen» (Strehl) nicht genügten. Der Einbruch vom Frühling war keine saisonale Schwankung, er markierte den Beginn eines langfristigen Trends. Das Unternehmen, das über Jahre stark gewachsen war, befand sich in der Kostenschere zwischen einem expansiven Ausgabenverhalten und rückgängigen Umsätzen. Im Herbst baute Schleuniger den Personalbestand deshalb von 349 auf gut 300 Personen ab und führte Kurzarbeit ein. Eine richtige Massnahme, wie sich im Nachhinein erwies – und ausserdem eine Massnahme, die den Brachentrend vorwegnahm: Ein Blick auf die Kurzarbeitsstatistik von Swissmem zeigt, dass die Zahl der Kurzarbeitenden in der Maschinen-, Metall- und Elektroindustrie zwar schon im dritten Quartal 2001 gewachsen, aber erst im vierten Quartal sprunghaft von 1800 auf 4000 Personen angestiegen ist.

Ohne ein hocheffizientes Management wäre ein derart schneller Schnitt nicht möglich gewesen. Schleuniger-Hauptaktionär Gerhard Jansen und Martin Strehl achteten stets darauf, dass mit den Umsätzen auch das Management-Know-how wuchs. Im Boomjahr 2000 installierten sie eine professionelle Gruppenleitung, welche die verstreuten Produktions- und Vertriebsorganisationen vor allem unter strategischen Gesichtspunkten leitet. Das zahlte sich aus: Denn in konjunkturell trüben Zeiten sind vor allem Managementkapazitäten gefragt; genau deren Fehlen bringt jetzt viele KMUs in die Bredouille.

«Too late and too little.» So charakterisiert der erfahrende KMU-Berater Peter Rigg von der Zürcher Consultingfirma Stüssi & Partner die Lage. Konkret: Die meisten Unternehmen reagieren zu spät auf Markteinbrüche, und wenn sie es endlich tun, fehlen ihnen die personellen und finanziellen Ressourcen für ein entschiedenes langfristiges Handeln. Der Grund: «Wenn es läuft, denkt mancher Unternehmer in erster Linie an die Minimierung der Steuerlast. Die Vorsorge vergisst er», so Peter Rigg. In dieselbe Kerbe schlägt Martin Morawetz vom Beratungsvermittlungsunternehmen Cardea. Die Zürcher Cardea arbeitet mit rund 600 Consultern in der ganzen Schweiz und Europa zusammen, was Morawetz einen gewissen Überblick über die Szene verschafft. «Viele KMUs reagieren erst auf sinkende Umsätze und Erträge, wenn sie von den Banken dazu gezwungen werden.»

Psychologisch sei dieses Verhalten verständlich, sagen die Berater. Sie nennen nachvollziehbare Gründe für das lange Warten: «Wir tun uns alle schwer, wenn wir ein Vorgehen, das lange erfolgreich war, in Frage stellen müssen», so Morawetz, zu dessen Kunden auch Grossunternehmen gehören. Gleichzeitig relativiert er eine weit verbreitete Vorstellung. Weder seien KMUs an sich grundsätzlich träge, noch sei die strategische Planung der Grossunternehmen generell effizienter. «In Konzernen wird zwar rascher restrukturiert und fokussiert als in KMUs, aber die Massnahmen bleiben auch oft auf der mittleren Managementebene stecken und dringen nicht bis in die operativen Einheiten vor.» Einschlägige Beispiele finden sich leicht: Konzerne wie die ABB oder die SIG mühen sich seit Jahren mit Kostensenkungsprogrammen ab, und die auf dem Papier chronisch restrukturierte Ascom hat allein im vergangenen Jahr über 200 Millionen Franken verloren.

Schneller sind Grossfirmen tatsächlich oft nur beim Entlassen, und gerade das Thema Stellenabbau zeigt deutlich, mit welchen Herausforderungen auch ein weitsichtiger Unternehmer zu kämpfen hat. «Selbstverständlich spreche ich mit jedem Mitarbeiter, den wir freistellen müssen», sagt zum Beispiel Michael Brendel, Gründer und Geschäftsführer des Basler Businesssoftware-Anbieters Team Brendel. Für den Unternehmer, der seit zehn Jahren im Boommarkt Businesssoftware tätig ist und trotz einem rasanten Wachstum im operativen Geschäft immer schwarze Zahlen geschrieben hat, gehören diese Gespräche zu den «schlimmsten Erfahrungen» seines Unternehmerlebens.

Erwischt hat es Team Brendel wie Schleuniger im zweiten Quartal 2001. Die Bestellungen gingen rasant zurück, Brendel musste innert weniger Wochen den Hebel umlegen: Von einem rasanten Wachstumskurs schwenkte er auf das so genannte Downsizing ein. Der Mitarbeiterbestand, der im Vorjahr von 35 auf 100 hochgeschnellt war, musste um zehn Prozent reduziert werden; wobei die Angestellten bei seinen deutschen Franchisenehmern noch nicht einmal eingerechnet sind.

Unterdessen hat der Konsolidierungskurs angeschlagen. Im Jahresabschluss 2001 sind die Zahlen für das operative Geschäft zwar rot, doch für heuer rechnet Brendel bereits wieder mit einem leichten Überschuss. Solche Tatkraft macht auch den Investoren Eindruck. Sie schossen Ende des vergangenen Jahres trotz einer allgemeinen Zurückhaltung auf dem Finanzierungsmarkt noch einmal 5,4 Millionen frische Franken ins Unternehmen ein.

«Als Unternehmer und Verwaltungsratspräsident vermittle ich zwischen den Bedürfnissen der Mitarbeiter und denjenigen der Investoren», sagt Brendel, dessen Unternehmen den Teamgedanken ganz bewusst bereits im Namen trägt. Dass bei seinen Sitzungen mit den Investoren nicht nur eitel Sonnenschein herrscht, liegt auf der Hand: «Die Geldgeber drücken vor allem auf die Marktperformance», sagt Brendel. Das Management müsse hingegen immer darauf achten, dass bei einem Stellenabbau nicht unnötig personelle Ressourcen verloren gehen. Vor allem die Mitarbeiter in den Schlüsselpositionen gelte es immer wieder zu halten und neu zu motivieren.

Mit dem Druck der Geldgeber musste auch Roger Lienhard, Gründer und Chef der Webmarketingfirma Qualiclick, leben. Auf dem Höhepunkt der Webeuphorie hat Lienhard einmal 53 Leute beschäftigt, in der Schweiz, Österreich und Deutschland. Gemäss Businessplan sollte die Qualiclick zu einem international führenden Internetvermarkter heranwachsen. Heute sind die Auslandniederlassungen geschlossen, der Mitarbeiterbestand am Firmensitz in Küsnacht ZH liegt bei 14 Personen. Allein der Schweizer Markt für das so genannte Web-Advertisement war von Mitte 2000 bis Mitte 2001 um 50 Prozent geschrumpft. Und wenn es darum geht, nicht mehr gerechtfertigte Kostenstellen zu kappen, kennen Unternehmensfinanzierer nur wenig Pardon.

«Das war schon hart», kommentiert Lienhard, der noch Anfang 2001 mit einem IPO geliebäugelt hat. Vor allem der Beschluss, die Auslandsexpansion trotz bereits getätigten Millioneninvestitionen zu stoppen, ist ihm nahe gegangen. «Doch andererseits», meint Lienhard nachdenklich, «habe ich eine Verantwortung gegenüber den Investoren. Es blieb uns wohl nichts anderes übrig.» Beim jetzigen Mitarbeiterbestand soll es nun bleiben. Die Restrukturierungen sind abgeschlossen. Die Qualiclick, die sich als Vermittler zwischen den Marketingagenturen und Webplattformen positioniert, hat das Portfolio bereinigt und konzentriert sich heute vor allem auf die Bewirtschaftung der grossen Portale wie Bluewin, Altavista oder die Sites der grossen Verlage.

Anderthalb Jahre hat sich Lienhard nur um die strategischen und finanziellen Belange gekümmert. Jetzt kniet er sich wieder ins tägliche Geschäft. Für ihn ist entscheidend, dass die Qualiclick ihren Marktanteil von 35 Prozent am schweizerischen Web-Werbekuchen halten konnte und kein Geld mehr verliert. «Die Voraussetzungen für das zukünftige Wachstum sind geschaffen.»

Den Blick nach vorn gerichtet haben auch Michael Brendel und Martin Strehl. Das Downsizing hat zwar bei ihren Unternehmen Bremsspuren in der Bilanz hinterlassen, doch mit reiner Schadenbegrenzung gibt man sich weder in Thun noch in Basel zufrieden. «Wir sind bei unserem starken Wachstum in den vergangenen Jahren in eine höhere Liga aufgestiegen, jetzt hat uns der Markt zwangsrelegiert, aber die Infrastruktur für die höhere Spielklasse halten wir aufrecht», zieht Martin Strehl Parallelen zum Profisport; wobei er zur Infrastruktur, die den schnellen Wiederaufstieg garantieren soll, vor allem die Forschungs- und Entwick- lungskapazitäten zählt. An ihrer «stolzen Entwicklungsabteilung» sparte Schleuniger keinen Franken. Und so hat es auch Team Brendel gehalten: «Wir beschäftigen nach wie vor 20 Entwickler.»

Die Innovationspipeline ist bei beiden Unternehmen voll, und dieses schulbuchmässig antizyklische Verhalten sollte sich schon bald wieder in steigenden Umsätzen niederschlagen – selbst wenn sich die Investitionsgütermärkte nicht im erhofften Ausmass erholen. Michael Brendel jedenfalls budgetiert für das laufende Jahr bereits wieder ein erhebliches Umsatzwachstum von rund 20 Prozent. In zwei, drei Jahren will er mit seinem Unternehmen zu Europas führenden Anbietern von Software fürs Customer-Relationship-Management gehören.

Expandieren, schrumpfen und erneut expandieren: Dieses stete Auf und Ab wird in einer globalisierten Wirtschaft, deren Zyklen immer schneller und heftiger ausfallen, mehr und mehr zum Alltag, auch für KMUs. Ändern lässt sich daran nicht viel. Gefragt sind deshalb neben einem personell gut dotierten strategischen Management effiziente Frühwarnsysteme, welche die Reaktionszeiten verlängern helfen. Nicht nur der Kunde selbst verdient Beachtung, sondern auch der Kunde des Kunden. Bei der Früherkennung von Marktentwicklungen können sogar Top-KMUs wie Schleuniger noch zulegen. In Thun hat man festgestellt, dass der Auftragseingang zeitverschoben mit dem Markt für Elektronikkomponenten korrespondiert. Diesen Index will man deshalb von jetzt an sehr genau im Auge behalten.

Gelernt in der Krise hat auch Roger Lienhard. Der 34-jährige Internetunternehmer zieht nach einer atemberaubenden Berg-und-Tal-Fahrt ein schlichtes Fazit. Beim nächsten Mal, so Lienhard, werde er «in den guten Zeiten noch aggressiver wachsen und in den schlechten konsequenter abbauen».
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