Ein Riese im Asbest-Geschäft: Die Schweizer Industriellen-Familie Schmidheiny kontrollierte auf ihrem Höhepunkt Eternit-Werke in der Schweiz, in Deutschland, Italien, Griechenland, Südafrika, Asien und vor allem in Süd- und Mittelamerika. Sehen Sie hier einen Überblick über ihre Aktivitäten mit Schwerpunkt Schweiz und Italien:
1901: Der Österreicher Ludwig Hatschek, Besitzer einer Asbestwarenfabrik, lässt sich «Eternit» (von «aeternitas» - Ewigkeit) patentieren. Das Produkt ist witterungsbeständig und feuerfest. Es wird industriell verarbeitet unter anderem zu Feuerschutzkleidung, zu Isolations- und Dichtungsmaterial.
Ab 1901: Hatschek vergibt Lizenzen - pro Land eine. Rund um den Globus entstehen Eternit-Werke, so 1903 die Schweizerischen Eternitwerke AG in Niederurnen GL. 1920 nimmt Ernst Schmidheiny Senior im dortigen Verwaltungsrat Einsitz.
1923: Die Schweizerische Eternitwerke AG wird zur Holdinggesellschaft Amiantus AG. Die Tochtergesellschaft in Niederurnen wird unter dem Namen Eternit AG weitergeführt.
1924: Erstmals wird in einer medizinischen Fachzeitschrift die Lungenkrankheit Asbestose erwähnt. 1939 anerkennt die SUVA Asbestose als Berufskrankheit.
1933: Der Sohn von Ernst, Max Schmidheiny, wird geschäftsleitendes Mitglied des Verwaltungsrats.
1952: Die Gründer der italienischen Eternit-Werke, die Familie Mazza, verkaufen ihre Anteile an die belgische Eternit (heute: Etex), die französische Eternit und an die schweizerische Amiantus. Hauptaktionäre werden die Belgier.
Anfang 1960er Jahre: Ärzte bringen die neue Krebsform Mesotheliom mit Asbest in Zusammenhang.
Anfang 1970er Jahre: Die Amiantus AG erhöht schrittweise ihre Beteiligung an der Eternit S.p.a. (Genua). Die Asbestproduktion wird in den vier italienischen Werken von Trockenproduktion auf das gefahrlosere Feuchtverfahren umgestellt. Da weder die Belgier noch die Franzosen die Umstellung mitfinanzieren wollen, schiessen die Schweizer neues Kapital ein. Ab 1973 sind die Schweizer grösster Aktionär der Eternit-Werke in Italien, Ende des Jahrzehnts waren sie Mehrheitsaktionär. 1980 betrug der Anteil 76 Prozent.
Trotz Umstellung der Produktion erkranken weiter zahlreiche Arbeiter und Bewohner in der Umgebung von Eternit-Produktionsstätten in Italien.
1975: Stephan Schmidheiny übernimmt die Leitung der Eternit AG als Delegierter des Verwaltungsrats.
1975: Schweden verbietet den Einsatz von Asbest, die USA jenen von Spritzasbest. 1977 wird in der Schweiz die Verwendung von Spritz-Asbest eingestellt.
1978: Stephan Schmidheiny wird Verwaltungsratspräsident und gibt den Ausstieg aus der Asbestproduktion bekannt. Die Schweizer Eternit beginnt mit der Umstellung auf gesundheitlich unbedenkliche Fasern.
Ab 1984/1985: Rund 4000 Gebäude in der Schweiz, die mit Spritzasbest isoliert wurden, werden registriert und saniert.
1986: Die Holding der Eternit S.p.a. Italia geht Konkurs. Das Konkursverfahren wird erst 2009 abgeschlossen.
1989: Stephan Schmidheiny verkauft die Schweizer Eternit-Werke in Niederurnen und Payerne (gegründet 1957) per Ende Jahr an seinen Bruder Thomas Schmidheiny, der diese 1996 schliesslich in seinen Holderbank-Konzern integriert. Stephan Schmidheiny behält damit lediglich noch die Beteiligungen an Eternit-Werken im Ausland.
1989: Der Bundesrat verbietet die Verwendung von Asbest ab 1995.
1994: Im Eternitwerk Niederurnen wird das letzte asbesthaltige Rohr gewickelt.
Ab 1992: Straf- und zivilrechtliche Prozesse in Italien wegen gesundheitlicher Schädigung von Eternit-Arbeitern. In Casale Monferato kommt es zu Verurteilungen von Managern unter anderem wegen fahrlässiger Tötung. Die Haftstrafen werden später in Geldstrafen umgewandelt. Im gleichen Jahr verbietet Italien den Asbest.
2003: Der Holcim-Konzern (ehemals Holderbank) von Thomas Schmidheiny verkauft die Schweizer Eternit-Werke an die Swisspoor-Gruppe des Zuger Unternehmers Berhard Alpstäg.
2005: Die EU erlässt ein generelles Asbest-Verbot
2005-2008: In Syracus (Siracusa) auf Sizilien laufen Verfahren gegen Eternit-Manager wegen vorsätzlicher Unterlassung von Sicherheitsmassnahmen am Arbeitsplatz. Acht Angeklagte werden zu Haftstrafen verurteilt, im Berufungsprozess aber frei gesprochen. Stephan Schmidheiny bezahlt - auf freiwilliger Basis - den ehemaligen Angestellten von Eternit in Syrakus mehr als 13,5 Millionen Franken als Entschädigung.
27. August 2008: Das Bundesgericht weist drei Glarner Anzeigen gegen die Gebrüder Schmidheiny wegen Todesfällen durch die Asbestbelastung in Niederurnen ab. Allfällige Straftaten seien verjährt.
10. Dezember 2009: Vor dem Strafgericht in Turin beginnt ein Prozess gegen Stephan Schmidheiny und den belgischen Baron Jean-Louis de Cartier de Marchienne. Sie sind der vorsätzlichen Tötung in über 2800 Fällen und der Verursachung eines Umwelt-Desasters angeklagt. Es geht um die Frage, wer für Sicherheitsmängel in vier italienischen Eternit-Werken verantwortlich war.
13. Februar 2011: Im Prozess in Turin wird das Urteil gegen Schmidheiny und de Cartier verkündet werden: 16 Jahre Gefängnis wegen vorsätzlicher Tötung.
(sda/vst/tno/chb)