René Brülhart trägt einen schwarzen Designeranzug – was bei der aktuellen Hitze in Rom keine Selbstverständlichkeit ist. Gefühlte 40 Grad hat es auf der römischen Strasse Via della Fornaci. Selbst ins klimatisierte Ristorante «La Vittoria» kriecht die Schwüle durch jede Ritze.
Heiss geht es auch hinter den Mauern auf der gegenüberliegenden Seite der Strasse her. Im Vatikan nämlich herrscht grosser Kehraus, seitdem Brülhart im Herbst 2012 vom damaligen Papst Benedikt XVI. als Aufräumer gerufen wurde. Seitdem leitet er die Finanzaufsicht des Vatikans, die gegründete Financial Intelligence Authority (AIF).
Die AIF soll die skandalumwobene Vatikanbank IOR nach Mafiageldern, Geldwäsche und Steuerhinterziehung durchforsten und ein System der Transparenz und Frühwarnung etablieren. Brülhart, der in ähnlicher Mission bereits am Finanzplatz Liechtenstein und in Sachen Terrorismusfinanzierung unterwegs war, wird deshalb auch als «James Bond der Finanzwelt» bezeichnet.
Inzwischen kann der gebürtige Schweizer im Vatikan eine Reihe von Erfolgen aufweisen – gerade in den vergangenen Tagen. So wurden in der vergangenen Woche erstmals in der Geschichte des Geldhauses Konten eingefroren – und zwar die des mittlerweile inhaftierten Prälaten Nunzio Scarano, der an einer «Transaktion» von 20 Millionen Euro Bargeld aus der Schweiz nach Italien beteiligt gewesen sein soll.
Herr Brülhart, wollte Ihre Behörde mit dem Fall Scarano, immerhin dem Chefbuchhalter der vatikanischen Vermögensverwaltung, ein Exempel statuieren?
René Brülhart: Es geht nicht um ein Exempel. Es ist lediglich der Beweis, dass das Kontrollsystem zu funktionieren beginnt.
Welcher Kategorie ordnen Sie den Fall zu: Mafia, Geldwäsche,...?
Noch ist es zu früh, diesbezüglich einen Strich zu ziehen. Weitere Untersuchungen werden Klarheit bringen. Zum jetzigen Zeitpunkt sieht es nach einem möglichen Wirtschaftsvergehen aus.
Haben wir in nächster Zeit weitere Kontoeinfrierungen zu erwarten?
Das wird die Zukunft zeigen. Sollte es Anlass dafür geben, werden wir entsprechende Massnahmen ergreifen.
Hand aufs Herz: Haben Sie im vorigen Herbst gezögert, den Job anzunehmen?
Nicht zwingend. Ich fand es eine große Ehre und Herausforderung zugleich.
Wovon waren Sie bisher am meisten überrascht?
Vom grossen politischen Willen, die Reformbemühungen in die Wege zu leiten. Und vom doch nicht kleinen Medieninteresse.
Wenn Sie Ihre Arbeit in Liechtenstein und im Vatikan vergleichen: Wo liegt der Unterschied?
In Liechtenstein gibt es einen Finanzplatz, im Vatikan nicht. Auch von den Volumina und der Art der Finanzgeschäfte her unterscheiden sie sich wesentlich. Gemein haben beide, dass es darum geht, zu verstehen, wo die Verwundbarkeiten liegen, um dann ein maßgeschneidertes System aufsetzen zu können.
Wo sind die Verwundbarkeiten? Was ist das Wesen der Vatikanbank IOR?
Zweck der IOR ist, der Katholischen Kirche zu dienen. Ich würde es als eine Art Vermögensverwaltungsgesellschaft mit einem klaren Ziel ansehen. Wichtig sind zwei Sachen: Für wen ist das Institut bestimmt, beziehungsweise wer darf über Geschäftsbeziehungen mit der IOR verfügen? Und der globale Charakter, der damit verbunden ist. Sie haben mit dem Vatikan ja eine Institution mit einer Verantwortung gegenüber 1,2 Milliarden Katholiken.
Das bringt doch per se Verwundbarkeiten. Denn die Bank arbeitet ja auch mit christlichen Institutionen in Staaten, die von internationalen Sanktionen betroffen sind und wohin oft Bargeld transferiert wird. Ist das für einen Aufseher wie Sie nicht sehr speziell und schwierig?
Absolut. Deshalb ist es ja entscheidend, zu verstehen, was Zweck des Instituts ist und welche Risiken damit verbunden sind.
Einerseits ist das Geldinstitut sehr mythenbehaftet, andererseits aber finden sich dort seit jeher tatsächlich Steuerflucht, Mafiagelder oder Geldwäsche wieder. Wie viel ist Mythos?
Ein Blick in die Vergangenheit macht Sinn, um ein Gefühl entwickeln zu können, wo Risiken liegen – um dann die notwendigen Instrumente für die Zukunft zu haben.
Aber wie steht es um die Gegenwart?
Wir haben gerade den Fall Scarano, an dem wir sehen, dass das System zu greifen beginnt.
Medial kursierte in der Vergangenheit vieles über Vatikankonten von Mafiabossen bis hin zu Osama bin Laden. Wie schlimm ist es wirklich?
Man muss bei den Fakten bleiben und auch bei den Dimensionen. Wir sprechen einer Bilanzsumme zwischen sechs und sieben Milliarden Euro. Der Punkt ist: Egal ob es um einen kleinen oder grösseren Betrag geht, der Vatikan steht immer im Scheinwerferlicht.
Wie kann man sich Ihre Jagd nach unsauberen Geldflüssen vorstellen? Screent man alle Konten durch? Braucht man Leute in aller Welt, die bei Verdacht Meldungen abgeben?
Das Geldhaus verfügt über knapp 19'000 Konten. Der eine Ansatz ist, in jedes Konto hineinzugehen, um sich einen Überblick über den Kundenbereich zu verschaffen und – wo notwendig – eine umfassende Aufarbeitung vorzunehmen, was zurzeit stattfindet. Parallel dazu schauen wir natürlich, das internationale Umfeld auszubauen, um bei Hinweisen ein Frühwarnsystem zu aktivieren.
Im Vorjahr hatten Sie sechs Verdachtsmeldungen, in diesem Jahr laut neuem IOR-Präsident Ernst von Freyberg waren es bis Ende Mai sieben. Klingt wenig.
Es ist keine Frage der Quantität, sondern wann was gemeldet wird. Das heisst, dass mögliche Verdachtsmomente frühzeitig erkannt und der zuständigen Behörde mitgeteilt werden. Sie werden aufgrund des sehr beschränkten Kundenstammes sowie der Art der Dienstleistungen nie Tausende von Verdachtsmitteilungen haben.
Leben Sie hier gefährlicher als in Liechtenstein?
Ich habe damals gesagt, dass ich noch lebe. Und ich lebe auch heute noch.
Italien hat in dieser Frage nicht den besten Ruf.
Ich fühle mich als freier Mann. Und ich fühle mich gut beschützt von der Schweizer Garde (lacht).
Benedikt XVI. hat die AIF gegründet und ja auch die Prüfung der Bank durch die europäische Moneyval, die Anti-Geldwäsche-Einheit des Europarates, erlaubt. Diese hat angegeben, dass neun von 16 Schlüsselkriterien teils oder ganz erfüllt sind. Als Mangel wird aber angemerkt, dass Ihre Behörde zu wenig unabhängig von der Kurie ist und dass die vatikanischen Staatsanwälte zu wenig Erfahrung haben. Was sagen Sie dazu?
Zur Klarstellung, Moneyval hat nicht die Bank geprüft, sondern die vom Vatikan als Jurisdiktion getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Die Empfehlungen wurden aufgegriffen. So wurde auf die von Ihnen angesprochene mangelnde Unabhängigkeit mit einer Gesetzesänderung reagiert. Zudem sind wir dabei, den vatikanischen Staatsanwalt aktiv in das Meldesystem mit einzubeziehen. Aber grundsätzlich: Neun von 16 Punkten ist objektiv gesehen ein gutes Resultat. Der Vatikan liegt damit im gehobenen Mittelfeld, auch im Vergleich mit größeren europäischen Ländern.
Italienische Medien meinen, die Massnahmen von Benedikt XVI. waren in gewisser Weise zahnlos, erst unter Franziskus kam Bewegung in die Angelegenheit.
Papst Benedikt XVI. hat Ende 2010 der Geldwäsche den Kampf angesagt, die AIF gegründet sowie begonnen, das rechtliche Regelwerk einzuführen. Der Vatikan hat sich der Länderprüfung durch Moneyval gestellt, und AIF ist letzte Woche in die Egmont Group, den weltweiten Verbund nationaler Geldwäschemeldestellen, aufgenommen worden. Wir sprechen über eine kurze Zeitspanne von gut zweieinhalb Jahren. Da wurde viel erreicht. Ein Haus baut man Stein für Stein.
Es gab auch Spekulationen, dass Benedikts Rücktritt mit der ganzen Finanzaufarbeitungsgeschichte zu tun habe.
Spekulationen kommentiere ich grundsätzlich nicht.
In den vergangenen Tagen und Wochen ist sehr viel passiert: Die Aufnahme in Egmont; die Manager der Bank traten zurück, mit IOR-Präsident von Freyberg übernahm erstmals ein Deutscher nun auch das operative Geschäft. Eine Sonderkommission wurde direkt vom Papst eingesetzt, Scarano wurde verhaftet. Sind Sie zufrieden?
Man kann sagen, das System funktioniert. Der Rücktritt des Managements kann als eine logische Konsequenz gesehen werden. Irgendwann muss man Konsequenzen ziehen.
Werden weitere Köpfe rollen?
Ich bin nicht Angestellter der Bank und kann mich daher nicht dazu äussern.
2008 kam ein Haushaltsbericht an die Öffentlichkeit, aus dem hervorgeht, dass der Vatikan rund die 400 Millionen Euro in Immobilien investiert hat und etwa 520 Millionen Euro in Wertpapiere investiert hat. Sind Sie mit dieser Materie auch befasst und lauern hier durch die Krise noch Finanzbomben?
Dass ich mit dieser Frage befasst bin, kann ich weder bestätigen noch dementieren. Es ist weniger entscheidend, ob noch Bomben aus der Vergangenheit lauern. Entscheidend ist, dass man Instrumente geschaffen hat, mit denen man entsprechende Sachen erkennen kann. Und dies ist der Fall.
Ein heikler Punkt ist das Verhältnis des Vatikans zur italienischen Zentralbank. Sie arbeiten ja an einem bilateralen Abkommen. Für wann ist es realistisch?
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es Spannungen gegeben hat. Es braucht jetzt ein vernünftiges nachbarschaftliches Verhältnis, das dann auch gelebt wird und von gegenseitiger Transparenz gestützt wird. Diesbezüglich sind wir auf einem guten Wege.
Sie haben gesagt, dass Italien für die Arbeit ihrer Aufsichtsbehörde von wesentlicher Bedeutung ist. Welche Länder sind es noch?
Wir haben ein Memorandum of Understanding mit den USA unterzeichnet – mit Belgien und Spanien auch. Und wir werden in den nächsten Wochen und Monaten auch weitere Abkommen mit grösseren europäischen Ländern der G-20-Staaten unterzeichnen.
Dieser Artikel zuerst in unserer Schwesterpublikation «Die Welt» erschienen. Lesen Sie zudem unter dem Titel «Aufräumer in heiliger Mission» mehr in der aktuellen Ausgabe der «Handelszeitung».