Wer heute in der Schweiz ein Auto kauft, wird von den per 1. Januar 2005 in Kraft getretenen wettbewerbsrechtlichen Rahmenbedingungen noch nicht viel spüren. Dies dürfte sich in Zukunft ändern. Die schweizerische Wettbewerbskommission (Weko) hat im Gefolge der neuen Europäischen Ordnung im Kraftfahrzeugsektor (Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 1400/ 2002; GVO) eigene Regeln aufgestellt, welche den Wettbewerb im schweizerischen Automobilgewerbe stimulieren und damit verhindern, dass eine Hochpreisinsel Schweiz in Europa entsteht. Die meisten der schweizerischen Importeure haben ihre Hausaufgaben gemacht und mit ihren Vertriebspartnern pünktlich zum Jahresbeginn neue Verträge abgeschlossen.
Selektives oder exklusives Vertriebssystem?
Auf Grund der neuen Wettbewerbsordnung mussten sich die schweizerischen Importeure auf den 1. Januar 2005 zwischen einem selektiven und einem exklusiven Vertriebssystem entscheiden. Die meisten Importeure wählten dabei ein selektives Vertriebssystem, das auf qualitativen und quantitativen Händler-Auswahlkriterien beruht. Die bislang praktizierte «Gebietshoheit», bei der sich Händler auf ein bestimmtes Verkaufsgebiet exklusiv konzentrieren konnten, wurde aufgegeben. Ausschlaggebend mag dabei gewesen sein, dass die Importeure beim exklusiven System ihren Händlern den Verkauf an nicht zum Netz gehörender Wiederverkäufer nicht verbieten können und damit auch z.B. Einkaufszentren ohne entsprechende Qualifikation den Markt aufgemischt hätten. Im in der Schweiz vorherrschenden System kann somit Händler werden, wer bestimmte Kriterien zu Beginn und während der Vertragsdauer zu erfüllen vermag. Diese Kriterien (sog. Standards) können im Interesse eines geordneten Vertriebs durchaus auch die Anzahl der Händler direkt oder indirekt beschränken: Es gilt damit der Grundsatz der Vertragsabschlussfreiheit. Die Importeure bestimmen selbst, wer zum Netz gehört und wer nicht.
Rechtlich unproblematisch ist die seit dem 1.1.2005 zwingende Trennung zwischen Sales und After-Sales (AS). Während beide Bereiche früher in einem Vertrag geregelt wurden, sind heute separate Verträge abzuschliessen. Damit hat der Garagist die Freiheit, sich ausschliesslich auf das Werkstattgeschäft zu konzentrieren. Durchschnittlich über 40% der gesamten Fahrzeugkosten betreffen den Fahrzeugunterhalt. Das AS-Geschäft stellt damit eine wichtige Einnahmequelle dar, von der Garagisten und Hersteller/Importeure gleichermassen profitieren. Unabhängigen Werkstätten ohne Vertriebszugehörigkeit wurde der Marktzugang bislang erschwert mit der Folge, dass das Preisniveau für Fahrzeugreparaturen gehalten werden konnte. Das soll sich nach Ansicht der Wettbewerbshüter nun ändern: Ab dem 1.1.2005 dürfen Direktlieferungen der Ersatzteilhersteller an die Garagisten nicht mehr erschwert oder unterbunden werden. Im Ersatzteilgeschäft verfügen die Hersteller künftig nicht mehr über die gleiche Einflussqualität. Eine wichtige Ausnahme gilt allerdings im Bereich von Herstellergarantie, unentgeltlichem Kundendienst und Rückrufaktionen: Nach dem Motto: «Wer zahlt befiehlt» hat der Händler die vom Hersteller vorgeschriebenen Originalersatzteile zu verwenden und von ihm zu beziehen. Unabhängige Werkstätten erhalten neuerdings das Recht, Diagnosegeräte und andere technische Hilfsmittel vom Hersteller zu beziehen und an Schulungen teilzunehmen, um Reparaturen fachgerecht vornehmen zu können. Ob diese und andere flankierende Massnahmen dazu beitragen, dass tiefere Preise an den Endkunden weitergegeben werden, hängt nicht zuletzt vom Verhalten der Werkstätten und dem Marktumfeld ab.
Den unabhängigen Werkstätten, die sich für die Aufnahme in ein offizielles Netz bewerben, hat die Weko den Rücken gestärkt. In unlängst publizierten «Erläuterungen» wird ein Vertragszwang dahingehend postuliert, dass der Hersteller/Importeur nicht die Anzahl der Werkstätten begrenzen darf, mithin rein qualitative Standards anzuwenden sind. Wer diese erfüllt, sei im Netz aufzunehmen. Damit folgt die Weko der europäischen GVO, allerdings ohne die unterschiedliche Konzeption des schweizerischen Kartellrechts zu berücksichtigen. In der Schweiz kann man sich allerdings mit Fug auf den Standpunkt stellen, dass der obrigkeitlich verordnete Vertragszwang im AS-Bereich grundsätzlich eine marktbeherrschende Stellung erfordert, die missbräuchlich ausgenutzt wurde Voraussetzungen, die wohl kaum ein Hersteller/Importeur erfüllt. Die schweizerische Regelung will analog der GVO den Mehrmarkenvertrieb erleichtern: Künftig sollen Garagisten in der Lage sein, mehrere Marken konkurrenzierender Unternehmen zu vertreiben. Die Festlegung von Mindestbezugsgrössen (GVO: 30%) für Waren einer Marke ist auch in der Schweiz nach wie vor zulässig. Allerdings darf sie sich nicht im Verbund mit weiteren Standards beispielsweise bezüglich Infrastruktur oder Anzahl geschulten Verkaufspersonals wie eine faktische Sperre auswirken.
Im selektiven Vertriebssystem ist es zulässig, ein Verbot des Verkaufs von Fahrzeugen durch Händler an unabhängige Wiederverkäufer zu statuieren. Grosshandelsketten, die nicht dem Vertriebssystem des Importeurs angehören, werden auch in Zukunft keine Fahrzeuge vom schweizerischen Netz beziehen können. Anders liegt der Fall, wenn ein Vermittler für einen bestimmten Einzelkunden auf der Basis einer schriftlichen Beauftragung ein Fahrzeug bei einem Händler bestellt. Den Verkauf an einen derartigen Vermittler kann der Hersteller/Importeur nicht verbieten, wohl aber Kriterien definieren (Abgabe der Fahrzeuge über einen offiziellen Sales Partner usw.), sofern diese Kriterien die Vermittlertätigkeit nicht praktisch unterbinden, sondern lediglich eine klare Trennung zwischen Verkauf und Vermittlungstätigkeit schaffen.
Ein wesentliches Anliegen der neuen Regelung ist die Förderung des Parallelimportes. Technische Handelshemmnisse und ein faktisches Monopol bei der Ausstellung der notwendigen Papiere für die Einfuhr haben in der Vergangenheit den Parallelimport erheblich beeinträchtigt. Die meisten technischen Handelsschranken wurden zwischenzeitlich abgeschafft. Ab dem 1. Januar 2005 sind nunmehr auch Vertragsklauseln unzulässig, wonach der Vertriebspartner seine Fahrzeuge ausschliesslich vom Importeur zu beziehen hat. Querlieferungen aus dem EU-Raum an einen offiziellen Händler in der Schweiz werden die Importeure damit künftig in ihrer Planung berücksichtigen müssen. Solche Querlieferungen sind übrigens bei der Beurteilung der Verkaufszielerreichung mit zu berücksichtigen, doch muss für die Querlieferung selbst kein Rabatt oder eine anderweitige Vergütung ausgerichtet werden.
Mindestpreise sind unzulässig
Importeure dürfen die freie Festsetzung der Verkaufspreise an den Endkunden nicht beeinflussen. Entsprechend ist eine Anordnung von Fix- und Mindestpreisen unzulässig. Die Ausgabe von Preisempfehlungen an die Händler ist dagegen - wie die Festlegung von Höchstverkaufspreisen - erlaubt, solange nicht durch zusätzliche Druckausübung oder gesonderte Anreizsysteme eine mittelbare Fix- und Mindestpreisordnung geschaffen wird. Margensysteme gewähren den Händlern Grundrabatte sowie von der Erreichung vertraglich fixierter Verkaufsziele abhängige Prämien. In der Ausgestaltung der Margensysteme sind die Importeure grundsätzlich frei, jedoch dürfen keine Anreize geschaffen werden, die den Regeln der Weko zuwiderlaufen. So dürfen die Margenregelungen z.B. keine Kriterien enthalten, die auf den Bestimmungsort der verkauften Fahrzeuge oder deren Endbestimmung abstellen, denn damit würden Marktabschottungen gefördert und Querlieferungen an zugelassene Händler des Netzes unzulässig eingeschränkt. Erlaubt sind dagegen Regelungen, die den Standort des Händlers in einem Stadtgebiet und damit verbundene erhöhte Kosten sowie das für den Importeur gesteigerte Interesse an der Marktpräsenz positiv mitberücksichtigen.
Dr. Michael W. Kneller, Rechtsanwalt, Zürich. Er leitet das Automotive Competence Center (ACC), das sich mit Fragen der Autobranche befasst.