Sascha Hertli zieht vorsichtig ein Schmuckkästchen aus seiner Tasche und legt es auf den Tisch. Der schwarze, flache Holzkasten mit dem goldenen Metallverschluss hat einen Glasdeckel. Im Inneren liegt Hertlis Schatz auf einem schwarzen Samtkissen gebettet: das Set «Marie Antoinette», ein BH und ein Unterhosen gefertigt aus einem 24-Karat-Goldfaden.
Schlappe 3000 Euro kostet das glitzernde Unterwäscheset, das Hertlis Firma Rococo Dessous am vergangenen Wochenende auf der New Yorker Lingerie Fashion Week vorgestellt hat. Möchte man noch einen kleinen Swarovski-Kristall zwischen den Brüsten baumeln haben, macht das 3500 Euro. Überflüssig zu sagen, dass sich das Produkt an Superreiche richtet, die vor lauter Geld nicht wissen, wohin damit: Frauen von Scheichs und Oligarchen, vielleicht auch ein paar Wall-Street-Banker-Gattinnen und Hollywood-Stars.
Erster Goldfaden der Welt
Hertli ist noch ein paar Tage länger in New York geblieben, um Interviews zu geben und potenzielle Kunden zu bezirzen. Mit der «Welt» trifft sich der 29-Jährige in einem Straßenkaffee in Soho. Er bestellt einen Tee, «extra süss, bitte», ganz wie er es aus seiner Zeit im Emirat Katar gewohnt ist.
In Katar war es nämlich, wo Hertli auf die Idee für Rococo Dessous gestossen ist. Vor drei Jahren arbeitete der Schweizer dort als Unternehmensberater für eine Bank. «Im Gespräch mit den reichen Bankkunden fiel mir auf, wie wichtig den Menschen dort Gold ist.» Wer Geld hat, behängt sich selbst mit Goldschmuck und dekoriert sein ganzes Haus und auch sein Auto mit dem Edelmetall. Hertli entdeckte eine Marktlücke: «Es gab keine Kleidung aus Gold.»
Die Idee liess Hertli nicht los, allein: Es haperte an der Umsetzung. Durch Zufall lernte er im Sommer 2012 einen Wissenschaftler der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt in St. Gallen kennen. Das Forschungsinstitut hatte wenige Monate zuvor den ersten Goldfaden der Welt entwickelt, der geschmeidig ist wie ein normaler Textilstoff und bei dem sich das Gold trotzdem nicht abreibt.
Designerin aus New York
Man müsse sich das so vorstellen, sagt Hertli und zeichnet mit den Händen die Umrisse eines Handgepäck grossen Kastens nach. «In Inneren liegen ein 24-Karat-Goldklumpen und eine Faser in einem Vakuum.» Der Goldklumpen werde nun mit Elektronen beschossen. «Einzelne Goldatome lösen sich ab und werden durch einen Magneten auf die Faser geleitet.» Rund Hundert dieser Fasern ergäben anschließend einem Faden.
«Sie können daran rubbeln und reiben, wie Sie wollen, das Gold bleibt an dem Polyesterfaden haften», sagt Hertli. Früher wurden Goldfäden dagegen im flüssigen Goldbad hergestellt. «Das ging nach der ersten Wäsche ab.»
Der Schweizer Superfaden dagegen halte laut Labortest bis zu sechs Stunden bei 80 Grad in der Waschmaschine aus. Da die Rococo Dessous allerdings mit Spitze abgesetzt sind, sollte man sie im Wäschesack bei 30 Grad oder besser noch per Hand waschen. Aber Hertli sagt: «Wer unsere Dessous kauft, der lässt ohnehin waschen.»
Der Schweizer tat sich mit der New Yorker Unterwäsche-Designerin Breanna Lee, 27, zusammen, die zuvor die berühmte «Angel»-Kollektion für den US-Wäschekonzern Victoria's Secret entworfen hatte. Drei verschiedene Unterwäschedesigns hat Lee in den vergangenen Monaten entwickelt: Neben «Marie Antoinette» gibt es auch noch «Alexandra» und «Cleopatra». Wählen kann die Kundin jeweils aus den Optionen komplett aus Gold, weisse Grundfarbe oder schwarze Grundfarbe mit Goldspitze.
212 Millarden Euro Umsatz
Die Modelle ganz aus Gold seien natürlich mit 3000 Euro am teuersten, sagt Hertli. Ein Kilo des Goldfadens koste schliesslich über 22'000 Euro. Das Schnäppchenmodell mit schwarzem oder weissem Grundstoff gibt es schon ab 1000 Euro.
Stimmen Hertlis Marktrecherchen, spielt Geld in diesen Dimensionen allerdings ohnehin keine Rolle. «Wir sprechen Kundinnen an, die auch für eine Handtasche oder ein Kleid mehrere Tausend Euro ausgeben.» Auf dem Dessousmarkt habe es in dieser Preisklasse schlicht noch nichts gegeben.
Seine Produkte sollten dementsprechend bei den oberen ein Prozent der Weltbevölkerung ein Selbstläufer werden, glaubt Hertli. Tatsächlich gab sich die Luxusbranche in den vergangenen Jahren weitgehend krisenresistent. Allein im vergangenen Jahr legte der Umsatz mit Luxusmode und Accessoires um zehn Prozent auf rund 212 Milliarden Euro zu. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Bain & Co wuchs die Industrie damit das dritte Jahr in Folge mit zweistelligen Raten.
Hochwertig muss die Ware freilich sein. Deswegen lässt Hertli auch in Hochpreisländern fertigen. Der Faden wird in Luzern hergestellt und anschliessend an eine Näherei in St. Gallen geliefert. Dort lässt Hertli die Spitzenbordüren produzieren. Danach wird die Ware nach New York geflogen. Das Garment District von Manhattan, jenem Gebiet von der 34. bis zur 42. Strasse zwischen der fünften und neunten Avenue, gilt seit den 1920er-Jahren als Zentrum der amerikanischen Modeherstellung. Dort nähen eine Hand voll freiberuflicher Mitarbeiter die BHs und Slips unter der Anleitung von Designerin Lee zusammen.
Männer mit jüngeren Frauen
Nur wenige Modelle hat Rococo Dessous zur Ansicht auf Lager, die Teile werden für die Käuferin dann auf den Leib geschneidert. «Von der Bestellung bis zur Lieferung dauert es zwei Wochen», sagt Hertli.
Im Mai ging die Schweizer Firma erstmals mit ihrer Kollektion an die Öffentlichkeit, seit Juli kann man die Dessous in zwei Boutiquen in Monaco und einer in St. Tropez kaufen. «In Südfrankreich tummelt sich im Sommer genau unsere Klientel: hauptsächlich Scheichs und Russen», sagt Hertli. Für den Winter verhandelt der Manager gerade mit Kaufhäusern wie Harrods in London oder Bergdorf Goodman in New York. Ein Vertrag mit einer Edelboutique in St. Moritz ist schon geschlossen, dazu kommen Geschäfte im Nahen Osten und Russland.
Bislang habe er «zehn bis 20 Sets» verkauft, aber das sei ja nur der Anfang. Interessant sei übrigens, wie unterschiedlich das Kaufverhalten in den Regionen ist: «Im Nahen Osten verwalten die Frauen die Haushaltskasse und kaufen die Dessous selbst», sagt Hertli. In Russland kämen die Männer dagegen mit ihren deutlich jüngeren Frauen und legten die Kreditkarte auf den Tisch.
Als nächsten Markt plant Hertli dann, China anzugehen: «Bis es soweit ist, wollen wir aber zunächst eine rot-goldene Kollektion auf den Markt bringen.» Der Schweizer grinst: «Ich hab gehört, die Farben sollen da sehr gut ankommen.»
Dieser Artikel ist zuerst in unserer Schwester-Publikation «Die Welt» erschienen.