UBS und Credit Suisse werden in den USA verklagt, weil sie bei Devisengeschäften betrogen haben sollen. Nach der Finma ermittelt deshalb nun auch die Wettbewerbskommission gegen vier grosse Schweizer Banken. Wie laufen solche Betrugsfälle in der Praxis ab?
Maurice Pedergnana*: Bei Devisenhändlern spricht sich herum, wie die Kollegen anderer Banken an den Märkten investieren wollen. Über Chatplattformen wie Whatsapp werden dann Details besprochen – mithilfe von Codewörtern. Am Ende wissen die Händler relativ genau, in welche Richtung sich bestimmte Währungen bewegen werden. Dann setzen sie eigenes Geld ein: etwa 100 Millionen, um 20'000 oder 30'000 Franken zusätzlich zu verdienen. Geht man davon aus, dass ein Händler mit etwa 10 bis 20 Prozent am Ertrag beteiligt wird, spült ein einziger Trade schon mal 3000 Franken zusätzlich ins private Portemonnaie.
Was treibt diese Händler an? Ist es einfach kriminelle Energie?
Das Unrechtsbewusstsein dürfte in diesen Fällen eher klein sein. Von den Händlern selbst wird das wohl mehr als ein nettes Abkommen unter Freunden betrachtet. Zwar gibt es für sie immer auch ein Risiko. Aber mit dem Informationsvorsprung, den diese Händler haben, liegen die Chancen nicht mehr bei 50 zu 50 – sondern wohl deutlich darüber und das systematisch. Das Risiko, Geld zu verlieren, sinkt.
Der Devisenmarkt ist mit einem täglichen Volumen von 5300 Milliarden Dollar der grösste der Welt. Wie können da ein paar Banker Wechselkurse manipulieren?
Diese Zahl ist natürlich gigantisch. Man muss sie aber herunterbrechen. Etwa auf das Währungspaar Franken/Dollar. Dann reden wird von deutlich kleineren Volumina, nämlich nur noch ein paar Milliarden. Dann können bereits wenige Händler mit ihrem zusammengetragenen Wissen die Märkte bewegen.
Banken wie die UBS scheinen eine Kronzeugenregelung anzustreben, um Strafen zu umgehen. Wie aussichtsreich sind diese Bestrebungen?
Es gab kürzlich eine spannende Dissertation von Seraina Denoth von der Uni Zürich zu diesem Thema, das differenziert betrachtet werden muss. Eine internationale Aufsichtsbehörde in London und New York braucht stets auch die Unterstützung der Schweizer Finanzmarktaufsicht, zum Beispiel für Abklärungen am Hauptsitz.
Nun ermittelt aber auch die Wettbewerbskommission.
Und dort geht man wohl noch weiter. Womöglich geht die Weko von einer stillschweigenden Vereinbarung unter Schweizer Banken aus – je nachdem, wie viel Geld ein Kunde am Devisenmarkt investieren wollte. Wenn die Bandbreite zwischen Kauf- und Verkaufskursen unter diversen Marktteilnehmern immer gleich ist, deutet das auf mangelnden Wettbewerb hin. Fixe Bandbreiten unter mehreren Banken sind Signale für direkte oder indirekte Preisabsprachen. Sie können das auch Kartell nennen.
Dann können betroffenen Banken auch nicht auf eine Kronzeugenregelung rechnen?
Nein. Es ist allerdings im Sinn aller Führungskräfte, insbesondere jener, die für die «Gewähr für einwandfreie Geschäftsführung» einstehen, uneingeschränkt mit den Aufsichtsbehörden zu kooperieren. Aber es scheint noch immer einige Händler und Händlerteams zu geben, die noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen sind. Denn die Preisabsprachen haben offensichtlich noch bis ins Jahr 2013 angedauert. Dahingehend hat sich die Weko-Direktion geäussert.
Viele Banken haben nach der Finanzkrise grosse Veränderungen angekündigt. Sind die guten Vorsätze schon Geschichte?
Nein, daran arbeiten grössere wie kleinere Banken gleichermassen. Viele Probleme werden ernsthaft angegangen. Es ist aber extrem anspruchsvoll, in Grossunternehmen mit 40'000 bis 80'000 Mitarbeitern eine Null-Toleranz-Politik zu fahren – durch alle Hierarchiestufen, in allen Ländern, für alle Produkte und Märkte. Insbesondere wenn die Anreizstrukturen noch immer weitgehend die gleichen wie vor der Finanzkrise sind – egal ob im Handel mit Devisen, Edelmetallen, Aktien oder Zinsen.
Wie müssen die Anreizstrukturen ausgestaltet sein, damit alle Bankmitarbeiter ehrlich werden?
Wenn auch nur ein einziger Mitarbeiter eine Verletzung begeht, müsste das gesamte Team mit dem damit verbundenen «Middle Office» darunter leiden. Dann sollten alle Mitarbeiter einer Einheit den Bonus der vergangenen fünf Jahre zurückzahlen und auch in den kommenden fünf Jahren ein weltweites Berufsverbot erhalten. Nur solch rigiden Massnahmen können dafür sorgen, ein neues System über alle Ebenen glaubwürdig zu etablieren.
Sehen Sie da überhaupt Besserung?
Es gibt einzelne Klauseln, bei denen auf vergangene Gewinne zurückgegriffen werden können, wenn Fehler passieren. Auch der Verlust, als Gewährsträger zu gelten, ist heute viel internationaler. Die Anreizsysteme müssen aber noch rigider und die Sanktionierungssysteme noch schärfer werden. Es muss vom einzelnen auf das Team projiziert werden. Das Team muss eine Kontrollfunktion bekommen. Denn es gibt immer Mitwisser und Mitläufer, aber die müssen mitverantwortlich gemacht werden. Stillschweigen und Wegblicken werden leider immer noch belohnt statt bestraft.
Oft scheinen Vorgesetzte aber gerne wegzuschauen, solange der Gewinn stimmt.
Das ist nicht zu tolerieren. Wenn sie auf einem Spielplatz einen Vater sehen, der sein Kind richtig hart schlägt, können Sie auch nicht wegschauen. Da tragen sie eine Mitverantwortung für das Nichtstun. Regelverstösse bei Banken müssen bei einer internen Whistleblower-Stelle angezeigt werden. Wenn Sie ihren Bonus abhängig machen vom Verhalten aller Teammitglieder, sind auch alle an einem korrekten Verhalten interessiert.
Muss das von aussen kommen oder reichen Selbstverpflichtungen?
Es braucht beides. Banken müssen sich selbst über alle Hierarchien hinweg kontrollieren. Es gibt da noch eine zu hohe Silo-Mentalität. Es braucht aber auch eine praxiserprobte, händlernahe Finanzmarktaufsicht. Denn was in der Vergangenheit gerne als Einzelfall verkauft wurde – das waren so gut wie nie Einzelfälle. Egal ob in Singapur, Paris oder London – egal, ob sie Leeson, Kerviel oder Adoboli heissen.
Der eine oder andere Mitarbeiter wusste also immer längst Bescheid?
Es ist unmöglich, dass ein einzelner Händler fünf Milliarden Verlust macht, ohne dass dies jemand mitbekommt. Es gab immer Mitwisser und Leute, die keine Verantwortung übernehmen wollten. Dieses Mitwissen und Nichthandeln, also das Verzichten auf sogenanntes Whistleblowing, muss ebenfalls sehr stark geahndet werden.
Wie sollen denn die jetzt die Strafen für UBS, Credit Suisse und andere Banken ausfallen?
Es wird sehr entscheidend sein, das gesamte Ausmass kennenzulernen. Beim Betrugsfall um den Referenzzins Libor war extrem schwierig zu eruieren, wer genau wie und wieviel aus Absprachen Profit erzielen konnte. Im Bereich Devisen ist es hingegen eindeutig: Risiken und Gewinnchancen waren zwischen den wissenden, vernetzten Devisenhändlern auf der einen und dem unwissenden Bankkunden auf der anderen Seite extrem ungleich verteilt. Schweizer Kunden wurden vermutlich systematisch geschädigt. Deshalb sind diese Fälle besonders hart zu bestrafen.
* Maurice Pedergnana ist Schweizer Ökonom und seit 2000 an der Hochschule Luzern tätig, wo er eine Professur innehat. Er leitet den Lehrgang MAS Bank Management und ist stellvertretender Leiter des Instituts für Finanzdienstleistungen Zug IFZ. Von 1999 bis 2011 war er im Bankrat der Zürcher Kantonalbank.