Die Luft draussen ist schwül. Drinnen in der Zebra-Filiale in Zürich Oerlikon zwängen sich junge Frauen von 18 bis 25 zwischen den rappelvollen Kleiderständern durch, halten Ausschau nach neuen, heissen Outfits für den Sommer, der endlich da ist.

Es sind erstaunlich viele Kundinnen für nachmittags um zwei Uhr. Zebra-Besitzer und -Gründer Antonio Cerra freut es. «Der Laden in Oerlikon zählt zu den Top Ten unserer Verkaufsstandorte. Er läuft wie geschmiert», sagt der 57-jährige Italiener, während er ein Minikleid in Pink-Schwarz von der Stange zieht. «Sehen Sie, das haben wir in England entdeckt und für Zebra produzieren lassen.» Knappe 20 Franken kostet der hautenge Dress im Ausverkauf.

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Kopieren, was die anderen machen und blitzschnell in die eigenen Läden bringen – das ist das tägliche Brot von Antonio Cerra. Der Betriebsökonom HWV ist seit 16 Jahren im Geschäft und weiss, wie der Hase läuft. «Bei uns kommt täglich neue Ware herein, andere geht wiederum hinaus»: Vier Millionen Teile ordert Zebra jährlich in Asien, wo hauptsächlich produziert wird. Verkauft wird unter Schweizer Flagge. Fast Fashion made in Switzerland.

Chicorée ist der Platzhirsch

Cerra, der in der Schweiz mittlerweile über ein Netz von 103 Läden verfügt, ist nicht der einzige Schweizer, der sich im Geschäft mit günstiger Mode behauptet, das längst von grossen, global tätigen Riesen wie H&M, Zara oder New Yorker dominiert wird. Erstaunlich viele Unternehmen mit Schweizer Wurzeln mischen im Kampf um das junge, modeaffine Publikum in der Schweiz mit: Tally Weijl – eine Schweizer Marke, die sich international ausbreitete und mittlerweile mit 760 Filialen in 31 Ländern präsent ist.

Chicorée – Platzhirsch in der Schweiz mit 175 Filialen und einem Umsatz von 150 Millionen Franken. Blackout – ein Familienunternehmen, das 1963 unter dem Namen Metzler-Textil in Aarburg AG startete und heute 64 Modegeschäfte zählt. Und schliesslich Yendi. Die in Bulle FR domilizierte Modekette gehört der verschwiegenen Familie Wicht. Anzahl Läden in der Schweiz: 87.

Warum sind sie in diesem knallharten Business alle noch da, obwohl man meinen könnte, die mächtigen Konzerne aus Schweden, Spanien, Frankreich mit ihren globalen Brands machten alle, die kleiner sind, platt? «Unser Erfolgsgeheimnis ist, dass wir uns nicht zu schade sind, um auch in der Agglomeration zu sein. Da sind die grossen Internationalen viel zurückhaltender», sagt Chicorée-Chef Jörg Weber.

Auf in die City

Der 56-jährige Unternehmer weiss, was es heisst zu expandieren. In den letzten sechs Jahren hat er die Zahl der Chicorée-Läden mehr als verdoppelt. 800 Angestellte stehen mittlerweile auf Webers Payroll. Keiner ist so schnell gewachsen wie er. Und das ganz bewusst. Marktpenetration, Standortbesetzung – das ist im sich schnell drehenden Geschäft mit Fast Fashion die halbe Miete.

Allein letztes Jahr wurden 21 neue Filialen eröffnet. Mit Famous hat der Selfmademan, der Anfang der achtziger Jahre als Grossist anfing und 1985 den ersten Chicorée-Laden in Baden eröffnete, mittlerweile eine zweite Marke im Boot. Sie richtet sich primär an modeorientierte jüngere Frauen. Sein grösster Stolz ist aber der im Mai eröffnete Laden am Zürcher Limmatquai. Lange hatte Weber nach einem Top-Standort für seinen Flagship Store gesucht. Jetzt hat er ihn.

Chicorée präsentiert sich dort auf zwei Etagen, deutlich eleganter und weitläufiger als an andern Orten. «Mit diesem Laden werden wir kaum gross Geld verdienen, aber hoffentlich endlich ernst genommen in der Modewelt», sagt Weber, während er an seinem Handy hantiert, das selbstverständlich in eine schwarze Hülle mit dem grün-grellen Chicorée-Schriftzug gequetscht ist.

Sie brauchen sich vor H&M nicht zu verstecken

Es wurmt Weber, dass seine Firma trotz beachtlicher Grösse und schönem Erfolg öfter hintanstehen muss, wenn es um neue Locations geht. In den grossen Einkaufszentren setzen die Vermieter in der Regel erst auf klingende Namen. «Wenn dann die Zahlen nicht stimmen, ist Chicorée in der zweiten Runde dran. Denn wir liefern die Umsätze zuverlässig», so Weber selbstbewusst.

Die «H&M der Schweiz» – sie brauchen sich nicht zu verstecken. Lob gibt es sogar von der mächtigen Konkurrenz. «Der Erfolg der Schweizer Marken ist kein Zufall. Sie machen ihren Job einfach sehr, sehr gut», sagt Andreas Rahn, Schweiz-Chef des deutschen Riesen New Yorker, der über 930 Filialen in 32 Ländern betreibt. Matchentscheidend ist für ihn dabei vor allem die Distribution.

Dank leistungsfähigen Verteilzentren könnten Ketten wie Chicorée oder Zebra ihre Läden blitzschnell bewirtschaften – ein Vorteil im Young-Fashion-Geschäft, das die Kollektionen in hoher Kadenz wechselt. Der New-Yorker-Manager ist sogar überzeugt davon, dass das eine oder andere Konzept durchaus auch im Ausland eine Chance hätte. Tally Weijl machte es ja bereits vor.

Für Rahn ist die starke Schweizer Fraktion auch ein möglicher Grund, warum Giganten wie Inditex nicht schon längst mit ihren aufs ganz junge Segment ausgerichteten Marken wie Bershka oder Stradivarius in die Schweiz nachgerückt sind. Zudem: Nicht alles, was vom Ausland kommt, wird goutiert. «Man muss das Schweizer Publikum genau kennen. Der Geschmack variiert von Region zu Region», so Zebra-Chef Cerra. Genau daran beissen sich die Ausländer die Zähne aus. Der französische Riese Promod (990 Filialen in 52 Ländern) etwa hat in der Westschweiz zumindest eine gewisse Präsenz. In der Deutschschweiz reichte es bis dato für gerade mal einen Laden.

Klein und schnell

Entscheidend ist auch, dass sich die Schweizer mit weit weniger Fläche bescheiden als grosse internationale Konzepte. Während Zebra im Schnitt auf 200 Quadratmetern wirtschaftet, öffnet New Yorker gar nicht erst die Pforten, wenn nicht 700 bis 800 Quadratmeter zur Verfügung stehen. «Solche Standorte sind natürlich rarer. Die Schweizer haben somit die grössere Auswahl an potenziellen Lagen», weiss Sandra Wöhlert, Fashion-Expertin beim Marktforschungsinstitut GfK in Hergiswil. Ihrer Meinung nach kommt den Modeanbietern aber auch ein gesellschaftlicher Trend zupass. «Shoppen ist heute schon für zwölfjährige Mädchen ein Hobby. Da treffen Bedürfnis und ein stark erweitertes Angebot an Läden aufeinander», so Wöhlert.

Mein Mitbewerber – mein Feind: Das gilt im Zuge der «Shop until you drop»-Mentalität schon lange nicht mehr. Im Gegenteil. Wo der eine ist, will auch der andere sein. Der Aldi-Lidl-Effekt sozusagen. «New Yorker ist wie unser grosser Bruder. Wo die sind, profitieren auch wir von höheren Frequenzen», sagt Chicorée-Boss Jörg Weber. Sein grösster Mitbewerber, Zebra, wird sogar von seinem ehemaligen Geschäftspartner geführt.

Vor 30 Jahren eingestiegen

Jörg Weber und Antonio Cerra stiegen vor 30 Jahren gemeinsam ins Modegeschäft ein. Später kam es zu strategischen Differenzen. Cerra sagte sich vom Chicorée-Geschäft los und gründete Zebra. Damals nicht zur Freude von Jörg Weber. Heute nehmen sie den Wettbewerb sportlich. «Wir sind noch immer befreundet. Unsere Branche ist wie eine kleine Familie», so Cerra. Der gebürtige Kalabrier wehrt sich allerdings dagegen, dass man alle Konzepte in einen Topf wirft. «Wir sind deutlich modeorientierter, während Chicorée mehr auf Basics setzt», meint er.

Abheben will sich auch das in Oensingen SO domilizierte Unternehmen Blackout, das auf Jeans für Damen und Herren in vielen Grössen spezialisiert ist. Besitzer Gerald Metzler, der Blackout zusammen mit seiner Frau in zweiter Generation führt, sieht sich deshalb auch nicht in Konkurrenz zu den Young-Fashion-Anbietern. «Nur zehn Prozent unseres Umsatzes kommt aus dem ganz jungen Segment», so Metzler. Billig um jeden Preis ist nicht seine Devise. Im Gegenteil. Blackout soll mit Nachhaltigkeit punkten. 20 Prozent Bio-Baumwolle hat Metzler bereits im Angebot.

Das Unternehmen arbeitet mit Max Havelaar und der Fair Wear Foundation zusammen – und bekommt entsprechend gute Noten von der Erklärung von Bern in Sachen soziale Standards. Bei den Mitbewerbern sieht die Bilanz magerer aus. «Die Transparenz der Firma ist sehr mangelhaft», heisst es etwa über Zebra. Oder: «Es ist höchste Zeit, dass Chicorée die soziale Verantwortung wahrnimmt.» Antonio Cerra weiss um die Kritik. «Wir tun uns schwer mit der Thematik», gibt er zu. Ihn stört vor allem, dass die Prüfverfahren über soziale Standards zum Mega-Business geworden sind. «Am Ende weiss man nicht, ob das Geld den Richtigen zugute kommt», so der Zebra-Chef.

T-Shirt für 4.90

Eine Ausrede im knallharten Wettbewerb? Tatsache ist, dass die Branche unter einem enormen Preisdruck steht. Billig, billiger, noch billiger, so lautet die Devise. Der Durchschnittspreis eines Modeteils bei Chicorée liegt heute bei 15 Franken – Tendenz fallend. «Ich schliesse nicht aus, dass der Preis für ein T-Shirt dereinst auf 4.90 Franken fällt», meint Jörg Weber.

Letztes Jahr hatte der erfolgsverwöhnte Ladenbetreiber erstmals seit längerem eine Wachstumsdelle. Flächenbereinigt – also ohne Expansion – schrumpfte der Umsatz um acht Prozent. Er dürfte damit nicht allein gewesen sein. Die ganze Kleiderbranche war in den Miesen – die Umsätze sackten um 3,6 Prozent ab. Und 2012 sieht nicht viel besser aus.

Da bleibt nur die Flucht in die Expansion, um die Umsatzmaschinerie am Laufen zu halten. Gut 20 neue Läden sind bei Chicorée derzeit in der Pipeline. Zebra peilt in den nächsten Jahren die Marke von total 120 Läden an. Je grösser die Schweizer Präsenz, umso schwieriger der Einstieg für Ausländer. Und umso interessanter werden die Schweizer Unternehmen als Übernahmeziel.

Antonio Cerra etwa geht gegen die 60. Nachfolger aus der Familie sind nicht in Sicht. Bei Jörg Weber stehen die Chancen besser. Sein 22-jähriger Sohn absolviert derzeit ein Praktikum bei Chicorée. Auch sein Älterer hat Interesse am Geschäft. Der Chef sieht das so pragmatisch wie die Stoff gewordenen Mädchenträume in seinen Läden. «Ich liebe Chicorée, aber ich werde mich lösen können. Wenn die Jungs den Laden dereinst mit Herzblut weiterführen, freut mich das.»