Die Welt der Rechnungslegungsstandards dreht sich rasant: In der Europäischen Union werden für börsenkotierte Unternehmen ab 2005 die International Financial Reporting Standards (IFRS) vorgeschrieben. Nachdem die EU-Richtlinien bzw. die entsprechenden länderspezifischen Vorschriften seit längerer Zeit nicht mehr den aktuellen Entwicklungen angepasst wurden, drängte sich dieser Schritt geradezu auf. Aber auch die SWX Swiss Exchange will ihre Emittenten strengeren Regeln unterwerfen. Ab dem Geschäftsjahr 2005 werden am Hauptsegment nur noch die praktisch weltweit anerkannten IFRS oder die amerikanischen US-GAAP akzeptiert. Der gegenwärtig verlangte Mindeststandard am Hauptsegment entspricht dem Regelwerk der Swiss GAAP FER; somit sind diese indirekt als Mindeststandard zugelassen.
Immerhin verschwinden sie nicht vollständig von der Bildfläche der Schweizer Börse: Der Standard ist für die Segmente Immobilien- und Investmentgesellschaften sowie Local Caps weiterhin zugelassen. Dies sind immerhin 85 kotierte Gesellschaften. Trotzdem stellt sich unter diesen Vorzeichen die Frage, ob ein rein schweizerischer Rechnungslegungsstandard wie die Swiss GAAP FER in einer globalisierten Wirtschaft überhaupt noch eine Existenzberechtigung hat.
Aktienrecht
Das schweizerische Aktienrecht enthält bekanntlich nur rudimentäre Regeln zur Jahresrechnung. Es fehlen beispielsweise Normen für folgende Aspekte:
- Es fehlen wesentliche Elemente bezüglich der Erstellung einer Konzernrechnung, so über die Methode der Kapitalkonsolidierung.
- Verschiedene Spezialfälle wie Financial Leasing oder Impairment von Anlagegütern sind überhaupt nicht geregelt bzw. vorgesehen.
- Die Offenlegungspflichten im Anhang sind rudimentär. Insbesondere sind im Gegensatz zu den üblichen Standards kaum Erläuterungen zu den Posten der Bilanz und Erfolgsrechnung vorgeschrieben, sodass ein vertiefter Einblick in die nach obligationenrechtlichen Vorschriften erstellten Zahlen nicht möglich ist.
Durch diese Lücken im Gesetz bestehen bedeutende Ermessensspielräume. Einerseits kann der Ersteller einer Jahresrechnung nach Aktienrecht die Zahlen auf seine Bedürfnisse ausrichten und beinahe beliebig gestalten. Auf der anderen Seite ist es einem Aussenstehenden selbst einem Fachmann nicht möglich, nach solchen Gesichtspunkten erstellte Jahresrechnungen zu analysieren, aussagekräftige Schlüsse zu ziehen oder diese mit anderen Unternehmen zu vergleichen. Dies gilt selbst für Verwaltungsräte, die nicht direkt an der Abschlusserstellung beteiligt sind (was zwar geltenden aktienrechtlichen Bestimmungen widerspricht, da der Verwaltungsrat für die Jahresrechnung verantwortlich ist, aber in der Praxis immer noch oft anzutreffen ist).
Freiwillige Stiftung
Um die Aussagekraft und Transparenz der Rechnungslegung zu verbessern, wurden 1984 die Swiss GAAP FER ins Leben gerufen. Dabei handelt es sich um eine unab-hängige schweizerische Stiftung, die ein Regelwerk geschaffen hat, das die wesentlichen Problemfelder einer Rechnungslegung benennt und das Vorgehen bei der Abschlusserstellung aufzeigt. Die Anwendung dieser Grundsätze ist selbstverständlich freiwillig. Swiss GAAP FER besteht gegenwärtig aus 22 (ab 1.1.2004: 24) einzelnen Standards, welche ein in sich ge-schlossenes Regelwerk bilden. Die Grundsätze sind so konzipiert, dass sie den IFRS folgen bzw. diesen nicht widersprechen. Folgende Merkmale sind charakteristisch:
- Die Einführung und Pflege verursacht wenig Aufwand: Sowohl der zeitliche personelle Einsatz als auch die Kosten für die meist notwendige begleitende Beratung halten sich in überschaubaren Grenzen. Vergleicht man diese Kosten mit der Implementierung der IFRS oder US-GAAP, so muss in diesen Fällen mit einem Vielfachen davon gerechnet werden.
- Der Nutzen für die Anspruchsgruppen darf dagegen als hoch eingestuft werden. Wird dem Grundsatz der «Fair presentation» konsequent nachgelebt, so liegt die Aussagekraft in übersichtlichen, wenig komplexen Verhältnissen nicht wesentlich unter denjenigen der IFRS. Das Pareto-Prinzip lässt grüssen: Mit 20% des Aufwandes werden 80% des Zieles erreicht. (Selbstverständlich kann diese Aussage nur als Faustregel gelten.)
- Der Standard Nr. 19 ist dem Einzelabschluss gewidmet. Dadurch sind gute Voraussetzungen geschaffen, die es jeder «alleine dastehenden» Gesellschaft, die also nicht in einen Konzernverbund gehört, ermöglicht, eine Jahresrechnung nach Swiss GAAP FER zu erstellen.
- Aus Sicht der Banken und anderer Kreditgeber bieten die Standards ein ideales Rechnungslegungskonzept, dessen Anwendung durch die Kreditnehmer eine kostengünstige und verlässliche Fi-nanzanalyse ermöglicht.
- Die Weiterentwicklung des Regelwerkes schreitet voran: Auf den 1. Januar 2004 werden der Standard Nr. 23 («Rückstellungen») sowie Nr. 24 («Eigenkapital und Rechnungslegung von eigenen Aktien und Transaktionen mit Aktionären») in Kraft treten. Im weiteren soll das gesamte Werk modernisiert und der neuen Ausrichtung auf mittelständische Unter-nehmen angepasst werden. Dazu ist ein Standard geplant, welcher als Rahmenkonzept für die einzelnen Standards dient und auch übergeordnete Prinzipien festlegt, welche für nicht geregelte Einzelthemen Geltung haben.
- Wie kürzlich verlautete, soll die Umsetzung des geplanten Rechnungslegungs- und Revisionsgesetzes (RRG), zu dem Mitte 1998 ein erster Entwurf vorgelegt wurde, forciert werden. Die Bestimmun-gen über die Revision der Jahresrechnung werden dabei infolge des internationalen Druckes (Sarbanes-Oxley Act) vorgezogen. Es ist zu erwarten, dass bereits zum nächsten Jahreswechsel ein Vorschlag für eine Überarbeitung der aktienrechtlichen Bestimmungen über die Prüfung der Jahres- und Kon-zernrechnung vorgelegt wird. In Bezug auf die Swiss GAAP FER wichtiger ist allerdings der Teil der Rechnungslegung. Dazu soll im Laufe von 2004 ebenfalls ein Entwurf einer Expertengruppe vorliegen. Aus Sicht des Verfassers dieses Artikels wäre es sinnvoll, wenn darin den Swiss GAAP FER eine bedeutende Rolle zukommen würde, wie dies bereits im Entwurf zum RRG 1998 vorgesehen war: Für Unternehmen ab einer bestimmten Grösse (zum Beispiel 250 Mitarbeitende, Umsatz über 40 Mio Fr., Bilanzsumme über 20 Mio Fr.) könnte Swiss GAAP FER den Minimalstandard bilden. Dies würde diesen Standard bedeutend aufwerten. Sinnvoll wäre dies deshalb, da kein anderer Standard existiert, der die Bedürfnisse dieser Unternehmen abdeckt, und es wohl kaum zweckmässig wäre, wenn im Gesetz ein eigener Standard definiert würde. Wie das Beispiel der EU vorgezeigt hat, sind diesbezügliche gesetzliche Bestimmungen zu starr und nicht innert angemessener Zeit an veränderte Bedingungen anpassbar.
Einzige Alternative
Global tätige Konzerne sowie börsenkotierte Unternehmen müssen nicht nur aufgrund von Vorschriften, sondern auch, weil das die Kapitalmärkte verlangen sowie aus Praktikabilitätsgründen einen global bekannten und anerkannten Standard einsetzen. In diesen Fällen sind die IFRS, allenfalls die US-GAAP das richtige Regelwerk. Für mittelgrosse und kleinere Unternehmen sowie für Konzerne, deren Gesellschaften schwergewichtig in der Schweiz domiziliert sind, ist das Regelwerk der Swiss GAAP FER in den meisten Fällen die beste Alternative, die existiert. Modern geführte Unternehmen brauchen diese Form der Jahresrechnung auch als Führungsinstrument; zudem werden auch Mehrjahresplanung, Budgetierung, Soll-Ist-Analysen sowie das gesamte Management Information System aufgrund dieser Zahlen erstellt. Nur mit diesen zuverlässigen Instrumenten lässt sich ein Unternehmen in unserer schnelllebigen Zeit zuverlässig und erfolgreich manövrieren.
Vor einem Jahr hat die Fachkommission Swiss GAAP FER beschlossen, sich noch konsequenter auf die KMU auszurichten. In der Schweiz gibt es tausende, ja sogar zehntausende von Unternehmen in dieser Grössenordnung. Eine Untergrenze gibt es kaum: Selbst ein Unternehmen mit fünf oder zehn Mitarbeitenden kann, ja muss ein Interesse daran haben, die Jahresrechnung nach den Swiss GAAP FER zu erstellen. Denn gerade in einer Zeit mit vielen Unsicherheiten ist es bestimmt vertrauensbildend, wenn Kreditgeber, Mitarbeitende und andere Adressaten mit einer Jahresrechnung mit einer wirklichkeitsnahen Darstellung aufwarten. Mit Sicherheit wird sich diese Überzeugung in den nächsten Jahren wei-ter durchsetzen.
Swiss GAAP FER kann für KMU getrost als einzige Alternative bezüglich Rechnungslegung gepriesen werden. Ein ungelöstes Problem scheint bislang die Finanzierung dieser Institution zu sein. Industrie und Gewerbe müssten aber ein virulentes Interesse an diesem Standard haben, der es ermöglicht, Transparenz und damit Vertrauen zu verbessern.
Hansjörg Stöckli ist dipl. Wirtschafts-prüfer, Partner BDO Visura, Solothurn.