Es hätte eine Wegmarke werden sollen. Am Mittwoch präsentierte Schweiz Tourismus an der weltgrössten Touristikmesse in Berlin das neuste Kind der Marketing-Organisation: Die «Grand Tour of Switzerland». Dabei handelt es sich um eine über 1600 Kilometer lange Ferienstrasse, die die touristischen Höhepunkte der Schweiz verbindet. Für Liebhaber des öffentlichen Verkehrs gibt es auch eine «Grand Train Tour of Switzerland».
Die Kampagne zielt auf Sommertouristen und ist auf zwei Jahre angelegt. Die Markenpositionierung «ganz natürlich» stünde an oberster Stelle, schreibt Schweiz Tourismus. «Durch attraktive Angebote und konkrete Erlebnistipps soll die Auslastung der Sommersaison erhöht und bis zum Herbst verlängert werden.» Vor allem aber will man auf der Welle des Touring-Booms surfen: Nach Städteferien entwickelt sich dieser Sektor am stärksten, wie eine deutsche Reisemarktstudie belegt.
Viel Tourismus-Prominenz
Der Geburt wohnten alle Grössen der Tourismusbranche bei. Jürg Schmid, Direktor Schweiz Tourismus, ist extra für diese Veranstaltung nach Berlin geflogen. Wenige Stunden vorher war er noch im Bundeshaus anzutreffen. Der Vorsitzende des Unternehmerverbandes Hotelleriesuisse und der Schweizer Botschafter gaben sich ebenfalls die Ehre. Gesamthaft waren 177 Vertreter aus Hotellerie und Tourismus vor Ort. Dazu einige Presseleute.
Jörg Peter Krebs führte durch den Abend. Den eleganten Dreiteiler kombinierte der Deutschland-Verantwortliche bei Schweiz Tourismus mit roten Nike-Turnschuhen. Damit wollte er nicht nur der Marke Schweiz gerecht werden. Messen lassen sich in Sneakers ganz einfach im wörtlichen Sinne besser durchstehen.
Feines für das leibliche Wohl
Kredenzt wurden Schweizer Spezialitäten. Die Menu-Karte liest sich wie eine kulinarische Reise durch das Land: Unter den kalten Speisen fanden sich Kartoffel-Rosmarin-Focaccine, Bündner Rohschinken auf Senfbutter und Baguette, Beeftartar, Tessiner Zwiebelsalat mit Walnüssen und Appenzeller Käse, Rote-Bete-Rösti mit Forellen und Meerrettich-Mousse sowie ein Bergkäse mit Tessiner Feigensenf. Zürcher Geschnetzeltes und eine Bündner Gerstensuppe wurden warm serviert. Zum Dessert gab es Toggenburger Nidelfladen und Aargauer Rüeblikuchen.
Begleitet wurde das Essen von einem Fondant du Valais – eine Weissweinspezialität aus dem Wallis. Rotweinliebhaber durften sich an einem Pinot Noir aus der Zürcher Staatskellerei ergötzen, einem Compleo Cuvée Noire.
Broschüren blieben am Zoll hängen
Alles deutete auf ein Fest, das den Anbruch einer neuen Ära einleuten soll. Ein Begeisterungssturm fegte aber nicht durch die Berliner Messehallen. Das hat zwei Gründe: Einerseits waren zahlreiche Marketing-Unterlagen an der Grenze blockiert. Ein Deklarationsfehler hat dazu geführt, dass die Stände der Schweizer Tourismusregionen ohne Hochglanzprospekte auskommen mussten. Lächelten an den Pavillons von Österreich, Norwegen oder Liechtenstein nette Menschen von unzähligen Broschüren, blieb den Schweizer Messegesandten nur das Gespräch, um zu überzeugen.
Das ist sicherlich ärgerlich, der Frankenschock sitzt aber tiefer. Seit der Aufgabe der Kursuntergrenze haben sich Ferien in der Schweiz massiv verteuert – dabei galt das Land ohnehin nicht als günstig. Besonders die preissensiblen Deutschen könnten noch stärker wegbleiben, wird befürchtet. Seit Jahren sinkt die Zahl der Übernachtungen. 2008 stand sie bei einem Rekordhoch von über 6,3 Millionen Logiernächten. Seither brach dieser Wert dramatisch ein. Zuletzt verbrachten deutsche Touristen nur noch 4,4 Millionen Nächte in Schweizer Hotels.
Graubünden will keine «Rabattitis»
Der Kanton Graubünden ist besonders hart getroffen vom Besucherrückgang. Seit 2008 ist die Zahl der Übernachtungen um über 35 Prozent eingebrochen. «Der Franken ist hart», sagt denn auch Gieri Spescha, Kommunikationsleiter bei Graubünden Ferien – und meint das durchaus doppeldeutig: Der Franken ist stark als Währung und die Frankenstärke ein Schlag für den Tourismus. «Wir wollen deswegen aber nicht in ‹Rabattitis› verfallen», stellt Spescha klar.
Das Ziel sei es, den Rückgang im deutschen Markt in Grenzen zu halten. Gleichzeitig will Graubünden auch den Gästemix weiter diversifizieren, um mehr von jenen Gästen anzulocken, deren Besucherzahl nach oben zeigt. Um das zu erreichen, gebe es nur einen Weg, sagt Spescha: Einzigartige, nicht kopierbare Erlebnisse noch stärker ins Schaufenster zu stellen sowie eine «Mehrwertstrategie». Graubünden will mit dem Produkt überzeugen, nicht mit dem Preis. Bisher sei noch nicht spruchreif, was das Paket beinhalten wird. Man arbeite aber daran.
Lenk-Simmental setzt auf kostenlose Zusatzangebote
Dasselbe sagt Albert Kruker, der Direktor von Lenk-Simmental Tourismus. Dem Berner Oberland geht es aber vergleichsweise gut. Der Löwenanteil der Gäste stammt aus der Schweiz, satte 90 Prozent. Zum Vergleich: Im Bünderland sind Schweizer nur für 57 Prozent der Übernachtungen verantwortlich. Die Berner fürchten folglich kein Ausbleiben der ausländischen Gäste, sondern ein Fernbleiben der Schweizer.
«Wir haben grossen Respekt vor der Sommersaison», sagt Kruker. Um der Schweizer Kundschaft zu zeigen, dass man für mehr Geld auch tatsächlich mehr bekommt, hat sich die Region einiges einfallen lassen. Die Bergbahnen sind im Sommer ab einer Hotelübernachtung bereits inbegriffen. Eine neue Gondelbahn wird eingeweiht. Während zwölf Wochen lockt die Region ausserdem mit einem kostenlosen Kinderanimationsprogramm.
Zürich hat Angst vor einer Rezession
Glücklicher, aber keineswegs im Freudentaumel, präsentierten sich die urbanen Regionen. Angesprochen auf die heimische Währung schluckt Martin Sturzenegger, CEO von Zürich Tourismus, zunächst einmal – und sagt dann: «Wir haben gerade erst die Zahl deutscher Touristen steigern können.» Jetzt rechnet die städtische Tourismusorganisation mit weniger Besuchern aus dem Nachbarland.
Der Freizeittourismus dürfte allgemein weiter abnehmen, ist Sturzenegger überzeugt. Resistenter seien da die Geschäftsreisenden. Jene orientieren sich an der Wirtschaftslage. Geht es der Konjunktur gut, kommen mehr; läuft es schlecht, kommen auch weniger Geschäftsleute.
Fifa-Museum als Hoffnungsschimmer
Weil der Grossteil der Touristen in Zürich eine Reise aus geschäftlichen Gründen tätigt, sorgt sich Sturzenegger denn auch darum, ob der starke Franken auf die Konjunktur drückt. Die Prognosen gehen derzeit weit auseinander. Manche rechnen mit einer kurzfristigen Rezession. Trifft das ein, ist Zürich Tourismus indirekt ein Opfer der neuen Währungssituation.
Es bleibt ein Hoffnungsschimmer: Die Stadt lockt mit neuen Sehenswürdigkeiten. Von den Jubiläumsfeiern rund um den 100. Geburtstag der Kunstrichtung Dada verspricht man sich viel bei Zürich Tourismus. Noch mehr Besucher werde das neue Fifa-Museum anziehen.
Basel will mit Rabatt auf Kulturangebote überzeugen
Auf neue Angebote setzt auch die Stadt Basel – und wie es sich für die geheime Kulturhauptstadt gehört, handelt es sich dabei um Kunst, Musik und Historisches. Denn die Tourismusbehörde vergünstigt die «BaselCard», mit der man Anrecht auf eine kostenlose Stadtführung hat, ohne Eintritt in den Zoo kann, Verbilligungen in Museen und Rabatt in einigen Restaurants erhält. Flussbegeisterte können gratis mit den berühmten Fähren von Grossbasel nach Kleinbasel fahren – oder günstigere Tickets für eine Bootstour kaufen.
Reiseveranstalter können die «BaselCard» zum Selbstkostenpreis beziehen. «Das entspricht einer Preisreduktion von 40 Prozent», sagt Doris Schürmann von der Tourismusorganisation. Sie hofft darauf, dass die Rheinstadt damit die Frankenstärke wieder ein wenig ausgleichen kann. Eine Tageskarte kostet nun nur noch zwölf Franken – oder zwölf Euro. Basel Tourismus rechnet die Preise eins zu eins um.