Früher. Wo die Rede auf den Schweizerischen Gewerbeverband (SGV) kommt, fällt unweigerlich dieser Begriff. «Der SGV hat im Vergleich zu früher an Einfluss und Gewicht verloren», sagt Hanspeter Kriesi, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Zürich. Gregor A. Rutz, Generalsekretär der SVP Schweiz, bemerkt zwar allgemein, meint aber insbesondere den SGV: «Früher waren die Präsidenten und Direktoren der Verbände politische Autoritäten. Wenn sie etwas sagten, hörte man im Volk und in der Politik auf sie.»

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Früher. Damit ist in erster Linie die Zeit Otto Fischers gemeint. Doch Pierre Triponez, aktueller Direktor des SGV, will kein zweiter Otto Fischer, sondern sich selber sein, «obwohl es solche Persönlichkeiten braucht, die in der Lage sind, Probleme, die weite Bevölkerungskreise beschäftigen, prägnant zu formulieren und deshalb ein grosses Vertrauenspotenzial besitzen.» Ob gerade der Gewerbedirektor ein solcher «Polteri» sein müsse wie Fischer, sei eine andere Frage.

Den Vergleich mit früher brauche der SGV nicht zu scheuen, ist Triponez überzeugt. «Wir sind weitaus der grösste Unternehmerverband in der Schweiz und vertreten insgesamt 240000 KMU-Betriebe, die das Rückgrat der Wirtschaft in unserem Land bilden.» Zu den Stärken des SGV zählt der Direktor die Verankerung in allen Landesteilen, Kantonen und den meisten Gemeinden. CVP-Generalsekretär Reto Nause lobt:«Der SGV hat ein feines Sensorium für die Probleme in der Bevölkerung.»

Kämpfer gegen zu viel Staat

Der hohe Organisationsgrad gibt dem SGV gemäss Triponez die Möglichkeit, «sehr rasch und sehr tief bis hinab zu den einzelnen Unternehmen zu wirken, sei es nun bei der Meinungsbildung oder der Organisation von Referenden.» FDP-Generalsekretär Guido Schommer bestätigt diese Selbsteinschätzung: «Der SGV befindet sich in guter Verfassung. Politisch muss man ihn als Stimme der KMU zur Kenntnis nehmen.»

Die Stimme der Schweizer KMU? Den Einwand, angesichts der Heterogenität der Gewerbelandschaft lasse sich keine einheitliche Politik formulieren, lässt Triponez nicht gelten. «Die Grundprinzipien und -anliegen des Unternehmertums, die wir vertreten, sind über alle Branchen hinweg viel einheitlicher, als man sich das gemeinhin vorstellt.» So seien alle Unternehmen auf eine gute Infrastruktur angewiesen, die ihren Mobilitätsbedürfnissen Rechnung trägt. Also setze sich der SGV dafür ein, wie auch für eine sichere Energieversorgung, ohne die kein Unternehmen bestehen kann. Triponez weiter: «Wir engagieren uns für ein liberales Arbeitsrecht, für niedrige Steuern, gegen zu hohe Abgaben, Bürokratie und Vorschriftenflut.»

Von Parteien unabhängig

Einhelligkeit herrsche im Verband auch darüber, «dass wir eine gute, aber auch finanzierbare Sozialversicherung brauchen», sagt Triponez. Das Engagement für den über die EO finanzierten Mutterschaftsurlaub ein Projekt, das auf der politischen Ebene von ihm persönlich angeschoben worden war passt nach Meinung des SGV-Direktors in diesen Rahmen, «weil sie eine schon lange hängige Frage auf eine Art und Weise löst, die den Unternehmen entgegenkommt». Mit der EO-Lösung ist Triponez das Kunststück gelungen, sich für einmal als «force de proposition» zu profilieren.

Projekte dieser Art dürften jedoch einmalig bleiben. Der SGV wirkt zwar mit kompetenten Fachleuten aus der Berner Zentrale aktiv im politischen Gestaltungsprozess mit, «weil man nur mit Nein-Sagen den Bedürfnissen des Zusammenlebens in einer modernen Gesellschaft nicht gerecht werden kann», wie Triponez sagt.

Dass es aber auch in Zukunft mehr SGV-Nein als -Ja geben wird, erklärt Triponez:«Wir leben in einem derart komplizierten und perfektionierten Staat, dass wir als Organisation, die sich grundsätzlich gegen mehr Staat wendet, primär eine Feuerwehr- und Abwehrfunktion haben.» Es liege daher in der Natur des SGV, «dass wir eher gegen etwas sind als dafür». Schliesslich dürfe jemand, der sich gegen Vorschriftenflut und Bürokratie wehre, nicht gleich nach neuen Vorschriften rufen, wenn irgendein Problem auftauche. Der SGV müsste nach Auffassung der SVP die Interessen des Gewerbes noch härter und klarer vertreten, fordert ihr Generalsekretär Rutz. Auf das Verhältnis zwischen SGV und SVP angesprochen, meint Rutz, es sei schwieriger geworden. Er spricht von «FDP-Filz», der im SGV sehr gut spiele. Die SVP hatte im Hinblick auf die Nachfolge des zurücktretenden SGV-Präsidenten Hans-Rudolf Früh erfolglos versucht, mit den Zürcher Nationalräten Toni Bortoluzzi und Bruno Zuppiger zwei Kandidaten ins Gespräch zu bringen. Höchster Gewerbler dürfte nun der von der Gewerbekammer vorgeschlagene FDP-Nationalrat Edi Engelberger werden.

Für Triponez jedoch bleibt die Überparteilichkeit ein Trumpf des Gewerbeverbands. «Wenn wir uns von einer Partei vereinnahmen lassen, verlieren wir gleich einen Teil unserer Stärke.» CVP und SP respektieren diese Überparteilichkeit, wünschen sich aber einen fortschrittlicheren Gewerbeverband. «Wäre der SGV in der Europa-Frage und beim Kartellrecht offener, würden gerade junge KMU profitieren», sagt CVP-Mann Nause. Und SP-Generalskretär Reto Gamma fragt sich, ob die Interessen, welche der SGV zu vertreten vorgebe, auch immer jene der KMU seien: «Die KMU sind nicht so rückwärtsgewandt, wie der SGV tut, arbeiten mit modernsten Technologien und schätzen den modernen effizienten Staat.»

Entscheiden über den künftigen Einfluss des SGV in der Politik wird die Frage, wie er mit dem Strukturwandel in der Schweizer Wirtschaft umgeht, der zu einem Bruch der früheren Koalition zwischen der Export- und der Binnenwirtschaft geführt hat. Der Politologe Hanspeter Kriesi: «Die Öffnung zugunsten der Exportwirschaft wurde in der Schweiz immer mit Massnahmen zugunsten der Binnenwirtschaft kompensiert, zum Beispiel mit dem Schutz von Märkten für die KMU.»

Unter dem Druck der Globalisierung sei die exportierende Wirtschaft je länger, je weniger zu solchen Kompensationen bereit, was dazu führe, dass man Kartellen gegenüber viel kritischer eingestellt sei als früher. Kriesi: «Ein SGV, der in einem massiv veränderten Umfeld weiter solche traditionellen Privilegien für das Gewerbe verteidigen will, verliert automatisch an Einfluss und Gewicht.»

Schweizerischer Gewerbeverband: Von Otto Fischer zu Pierre Triponez

Die Gewerbepolitik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat einen Namen: Otto Fischer. Von 1948 bis 1980 war der volksnahe Politiker und brillante Rhetoriker für den Schweizerischen Gewerbeverband (SGV) tätig gewesen, erst als Sekretär und ab 1962 als Direktor. Sein Credo war die Abwehr staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft, sein Ziel «Mehr Freiheit weniger Staat!» Unter Fischers Führung entwickelte sich der SGV zu einer der schlagkräftigsten politischen Institutionen des Landes, die sich namentlich für eine klare Ordnungspolitik des Bundes und eine tiefere Steuerquote für Industrie und Gewerbe engagierte.

Fischer zielte gegen alles, was seiner Meinung nach die wirtschaftliche Entwicklung hinderte und dem Gewerbe neue Belastungen brachte. So kämpfte er gegen Raumplanung, gegen Umweltschutz, gegen die Hochschul- und Bildungsförderung, gegen die Konjunkturpolitik des Bundesrats. Legendär ist der Kampf Fischers gegen den Uno-Beitritt und gegen den EWR-Beitritt der Schweiz. Das machte den Freisinnigen Fischer, der von 1967 bis 1983 im Nationalrat sass, zum politischen Weggefährten Christoph Blochers, mit dem zusammen er die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) gründete. Fischer starb 1993.

In der zehnjährigen Übergangszeit, als der SGV mit den Fischer-Nachfolgern Markus Kamber und Peter Clavadetscher nicht gerade glücklich wurde, spielte der Zuger CVP-Mann Markus Kündig als Präsident eine führende und politisch einflussreiche Rolle. Der Ausserrhoder FDP-Nationalrat Hans-Rudolf Früh, der 1991 Kündig im Präsidium ablöste, hatte das Glück, dass mit Pierre Triponez seit 1990 ein Direktor im Amt war, der die SGV-Zentrale nach der Krise der 80er Jahre wieder auf Vordermann brachte. Für eine gewisse Zeit kann der Nidwaldner FDP-Nationalrat Edi Engelberger der am Gewerbekongress diese Woche vermutlich zum neuen SGV-Präsidenten gewählt wird, noch auf die Dienste des 61-jährigen Triponez zählen. Übrigens: Wäre Samuel Schmid 2000 nicht in den Bundesrat gewählt worden, wäre der damalige SGV-Vize heute erster Anwärter für das Amt des höchsten Gewerblers.

Unter Triponez kämpfte der SGV erfolgreich gegen Kleeblatt-Initiativen, Sonntagsfahrverbot, Verkehrshalbierungs-, Gen- und Mutterschaftsinitiative sowie gegen die Regierungsreform mit Staatssekretären. Die Ja-Empfehlung des SGV zum EWR-Beitritt fand hingegen beim Volk kein Gehör, ebenso bachab ging er mit seiner ablehnenden Parole zum neuen Eherecht, zur Alpen-Initiative, zur Schwerverkehrsabgabe, zum Elektromarktgesetz, zum Avanti-Gegenvorschlag und zum Steuerpaket.