Steuert Beat Hess, 67, frühmorgens sein Büro in Zürich-Oerlikon an, wird er zwangsläufig an frühere, ungleich angenehmere Tage erinnert. Denn sein Arbeitsplatz bei LafargeHolcim steht bloss ein paar Häuserblocks von seiner alten Wirkstätte entfernt. Dort, am Hauptsitz des Industrieriesen ABB, war der damals 39-jährige Hess der Hausjurist. Er sah, wie innert zehn Wochen die Schweizer BBC mit der schwedischen Asea verschmolz. Sah, wie die Aktien von Asea und BBC bei der Deal-Ankündigung um 15 Prozent nach oben schossen. Sah schliesslich, wie der erste ABB-Konzernchef, Percy Barnevik, die Fusion durchboxte. Die Genese der ABB ging als Modellfall in die Managementliteratur ein. Und Hess stand mittendrin.
Mittendrin ist er auch beim Mega-Merger in der Zementindustrie. Doch beim Zusammengehen von Lafarge und Holcim ist nichts von Feuerwerk zu sehen. Dabei haben sich Verwaltungsrat und Konzernleitung einiges vorgenommen. Im ersten Geschäftsbericht steht unter Punkt eins: «Unser Fokus und Versprechen ist es, für unsere Aktionäre Mehrwert zu schaffen.» Die Realität sieht ganz anders aus.
1. Der Aktienkurs ist massiv eingebrochen
Der Aktienkurs bewegt sich nicht zügig nach oben, sondern nach unten. Seit der Fusion hat die Aktie 40 Prozent verloren. Der Stoxx-Baustoffindex gab in den letzten zwölf Monaten zwar ebenfalls nach, aber nicht um 40 Prozent, sondern um 7 Prozent.
Glaubt man Analysten, könnte es noch schlimmer kommen. Ein neuer Bericht der Investment-Bank Berenberg titelt: «Höchste Zeit zum Umdenken». Die Analysten stellen die Titel auf «verkaufen» und befürchten einen weiteren Wertzerfall – auf 38 Franken.
2. Viele Probleme sind hausgemacht
Klar, ABB profitierte von Glasnost in Osteuropa und China. Mittlerweile hat sich die Weltlage verdüstert, China und Indien sind nicht mehr die Wachstumstreiber, Brasilien taumelt. Doch viele Probleme sind bei LafargeHolcim hausgemacht: Der erste Verwaltungsratspräsident, Wolfgang Reitzle, tritt nach bloss zwei Amtsjahren wieder ab.
Niemand trauert ihm nach, Aufbruchstimmung hatte er nie verbreitet. In Sitzungen traktierte er die Tastatur seines Handys und liess sich vom mitgereisten Personal die Akten reichen. Die Kosten seiner Entourage gingen laut internen Quellen auf Kosten des Hauses. Schliesslich stellten ihn die Grossaktionäre Thomas Schmidheiny und Nassef Sawiris vor die Entscheidung: Mehr Engagement oder Abgang per Generalversammlung 2016.
3. Designierter CEO Lafont wurde entmachtet
Nun machte Reitzle Platz für Hess. Dieser hatte den Posten nicht gesucht. Mit einem Sitz im Nestlé-VR, dem Vizepräsidium bei Sonova und seinen Mountainbike-Touren ist der AHV-Bezüger schon ordentlich ausgelastet. Fürs LafargeHolcim-Präsidium dürften in dieser heiklen Post-Merger-Phase locker zwei bis drei Tage draufgehen.
Nicht nur im Strategiegremium, sondern auch auf der Kommandobrücke ist einiges los: Der designierte CEO von LafargeHolcim, Bruno Lafont, wurde wegen Unverträglichkeit mit der Schweizer Seite kurz vor dem Zusammengehen entmachtet und mit dem Ehrentitel Co-Chairman in den Verwaltungsrat abgeschoben. Das sichert ihm am Hauptsitz in Zürich zwar ein Büro, doch anzutreffen ist er dort nie.
4. CEO Olsen stammt aus der zweiten Reihe
Nun liegt es also an Hess, neuen Glauben ins Projekt zu hauchen. Der Jurist gilt als erfahren und besonnen, kennt Grosskonzerne wie ABB, Ciba, Shell oder Nestlé von innen. Über 30 Jahre hat er sich ein exquisites Wissen in Finanzfragen angeeignet. Zudem ist der Bruder des ehemaligen Ständerats Hans Hess, des ungekrönten Briefkastenkönigs Obwaldens, mit der Unternehmerwelt eng verdrahtet.
Doch er hat ein Handicap: Er selber hat nie eine Firma geführt, noch nie Absatzmärkte beackert. Sein wichtigster Mitarbeiter, CEO Eric Olsen, wiederum ist kein Percy Barnevik, der nur eine Richtung kannte – forsch nach vorne. Olsen stammt aus der zweiten Reihe, im Merger-Projekt war er ursprünglich als Divisionsleiter für den Nahen Osten und Afrika vorgesehen. Auch er hat noch nie eine Firma verantwortet oder eine Konzernleitung geführt.
5. Investoren unzufrieden mit dem CEO
«Wir sind auf Kurs», hält der von Daueroptimismus beseelte Amerikaner Olsen seinen Kritikern entgegen. Er sei redlich bemüht, die Mannschaft hinter sich zu scharen, heisst es intern. Doch da die Konzernleitung politisch zusammengesetzt ist – 50 Prozent von Holcim, 50 Prozent von Lafarge –, hat er längst nicht sein eigenes All-Star-Team hinter sich. Zudem steht er sich mitunter selber im Wege. Er agiert als Mikromanager, der überall dreinredet und glaubt, die Zementsäcke in Zimbabwe abzählen zu müssen.
Längst gibt es im Aktionariat Stimmen, die auf eine schnellere und härtere Gangart pochen. Besonders Nassef Sawiris, drittgrösster Aktionär und einflussreicher Verwaltungsrat, sei unzufrieden mit dem CEO, sagen zwei Quellen. Mittlerweile lässt er sich von einem externen Manager coachen.
6. Altlasten in Afrika
Unermüdlich betont das Management, wie sich Lafarge und Holcim geografisch ergänzen würden. Effektiv hat Holcim Altlasten aus der Lafarge-Vergangenheit geerbt: 2007 kauften die Franzosen die Zementfirma Orascom Cement, die Nassef Sawiris, der jüngere Bruder von Andermatt-Investor Samih Sawiris, innert wenigen Jahren zusammengeschustert hatte. Für sein Zementreich kassierte er 13 Milliarden Franken.
Heute kriselt und knallt es in den Regionen gewaltig. Die Präsenz in Afrika ist für LafargeHolcim längst zum Risiko geworden. Die Auslastung der kapitalintensiven Zementwerke liegt in der Region bei knapp 70 Prozent, zum Teil sind die Fabriken – etwa in Guinea oder Tansania – bloss zu 40 Prozent ausgelastet. Olsen aber strebt übers gesamte Portfolio eine Auslastung von über 80 Prozent an. In Afrika ist das nur mit einem radikalen Devestitionsprogramm zu haben. Dazu kommt eine Bombe in der Bilanz: Als Folge des Zukaufs lasten 16,5 Milliarden Franken an Goodwill auf den Büchern. Weitere Abschreiber und Wertberichtigungen in Afrika und Nahost würden nicht überraschen und könnten die Profitabilität weiter senken.
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