Man bezeichnet sie gerne als «Reeder ohne Flotte», gemeint sind die Non Vessel Operating Common Carriers (NVOCC), so der Fachausdruck. Diese bieten Verladern oft günstigere Transportkonditionen als pure Schiffsbetreiber. Denn sie kooperieren mit unterschiedlichen Schifffahrtslinien und -allianzen. Das macht sie flexibler als die auf bestimmte Fahrtgebiete beschränkte Konkurrenz. Zudem sind viele NVOCC in Speditionsnetzwerke integriert.
Deren Servicespektrum reicht zudem weit übers konventionelle Transportgeschäft hinaus. Eigene globale Infrastrukturen zu Lande, auf dem Wasser und in der Luft ermöglichen es ihnen, Kunden eine Vielzahl zusätzlicher Dienstleistungen zu offerieren. Neben im Branchenvergleich kurzen Abfahrtstakten und Transitzeiten im Seeverkehr sind das Vor- und Nachläufe, lückenlose Sendungsverfolgung, Bildschirm-«Visibility», komplettes Ordermanagement und die administrative Komprimierung auf nur ein Dokument respektive eine Rechnung für die gesamte Transportstrecke.
Kühne & Nagel: 20 Jahre mit Blue Anchor Line
Ein Paradebeispiel für das florierende NVOCC-Business ist die seit etwa 20 Jahren mit der Kühne & Nagel-Gruppe liierte Blue Anchor Line (BAL). Auf Basis fester Frachtraumkontrakte bedient sie die bedeutendsten Seehäfen rund um den Globus. BAL wächst proportional zu Kühne & Nagels Seefrachtdivision. Diese stellte 2003 mit der Spedition von 1,25 Mio TEU (20-Fuss-Boxen), 190000 Einheiten mehr als im Jahr zuvor, einen neuen Rekord auf. Längsseits aneinander gereiht ergäbe das eine 7315 km lange Containerschlange.
Vom Gesamtaufkommen wurden 1 Mio TEU über BAL abgewickelt. Im internationalen Durchschnitt kostet der Überseetransport pro TEU um die 1000 Dollar. Demnach hat Kühne & Nagels NVOCC im zurückliegenden Geschäftsjahr rund 1 Mrd Dollar zum Gruppenumsatz beigesteuert.
Mehr noch: Für die Division Kontraktlogistik, die den Warenfluss multinational tätiger Kunden zwischen Quelle und Ziel steuert, fungiert er als zentrales Glied in der globalen Versorgungskette.
Der NVOCC-Status ermöglicht es BAL, wie ein Carrier mit eigenem Ratengefüge zu agieren. Am Seefrachtseminar 2004, zu dem der Swiss Shippers' Council geladen hatte, fasste Gastreferent Klaus Herms, CEO der Kühne & Nagel International AG, die NVOCC-Charakteristika in vier Stichworten zusammen:
- Kapazitätssicherung,
- eigenes Konnossement und
- voll bankfähiges Transportdokument für das Akkreditiv.
Herms hob hervor, dass die Konnossemente eines NVOCC alle Rechte und Pflichten gemäss den internationalen Konventionen beinhalteten und dessen Haftung unter anderem nach den Hague Rules respektive Hague-Visby Rules jener herkömmlicher Carrier entspreche. «Im Prinzip fungieren Kühne & Nagels Seefrachtabteilungen in aller Welt als BAL-Agenturen», erläuterte er.
Mit seinem «Inhouse NVOCC» verfolgt der Kühne & Nagel-Konzern drei strategische Kernziele:
- Kombination der BAL-Aktivitäten mit seiner breit gefächerten landseitigen Produktpalette sowie
- Erbringung integrierter Dienstleistungen inklusive Added Value Services für den Verlader.
Dabei sichern weltweit standardisierte Anwendungen und Prozesse ein gleich bleibendes Qualitätsniveau. Kühne & Nagels Portefeuille umfasst acht Schifffahrtsallianzen. Den Kern bildet das Dreigestirn Maersk Sealand, Hapag-Lloyd und Mediterranean Shipping Company. Nicht nur der Verlader und Spediteur, auch der Carrier profitiert vom NVOCC-Einsatz; dies nicht zuletzt in Bezug auf garantierte Ladungvolumina, höhere Planungssicherheit, effizientere Nutzung des Equipments, gemeinsame Kontingentierung sowie Prozess- und Datenintegration.
Unpaarige weltweite Verkehrsströme als Problem
Als «gravierendes Problem» bezeichnete Herms die Unpaarigkeit auf den Haupthandelsrouten. So habe Nordamerika 2002 zwar insgesamt 262100 TEU importiert, aber mit 103600 TEU nicht einmal die Hälfte exportiert. Im asiatischpazifischen Raum sei es, obwohl weniger ausgeprägt, umgekehrt gewesen. Dort habe das Import/ Export-Verhältnis im Referenzjahr 259200:416000 TEU betragen.