Alfred Kuoni war früh dran mit der Idee, das professionelle Verkaufen von Reisearrangements zu seinem Geschäft zu machen. Zumindest in der Schweiz. In Zürich gab es 1906 gerade zwei einschlägige Betriebe: Meiss & Co. und die Filiale von Thomas Cook. Seine bis dahin im traditionellen Fuhrhaltergeschäft verbliebenen Brüder Kuoni waren zunächst durchaus geneigt, das Experiment zu wagen, und liessen Alfred mit seiner Auslanderfahrung und seinen Sprachkenntnissen machen.
Zunächst wurden im Kontor am Sonnenquai kleine Brötchen gebacken: «Grosse Attraktion: Gesellschaftsreise nach dem Dolderpark zum Preis von Fr. 1.– pro Person.» Dieses Ausflugsziel befand sich gerade zwei, drei Kilometer vom Standort der Agentur entfernt. Auch eine «herrliche Zahnradfahrt» auf den Üetliberg wurde angepriesen; der befand sich immerhin am anderen Ende der Stadt.
Expedition zu den Katarakten des Nil
Als erste Auslandreisen wurden «Frühlingsfahrten mit der Vergnügungsyacht ‹Thalia› des österreichischen Lloyds» oder «eine Gesellschaftsreise per Eisenbahn nach Lyon, Marseille, Nizza, Monte Carlo, Genua, Mailand mit speziellem Besuch eines Stiergefechtes in Nîmes» angeboten. Zu den Glanzlichtern des Kuoni-Programms von 1909 zählten eine «Traversée de la Grande Kabylie mit Besuch von Karthago» und «eine Expedition zu den Katarakten des Nil». Diese erste Reise nach Ägypten kostete mit 2750 Franken ein kleines Vermögen. Der Lohn eines erwachsenen männlichen Arbeiters betrug im Jahr der Gründung des Reisebüros Kuoni 110 Franken.
Das Kerngeschäft des jungen Unternehmens war schon in den ersten Anfängen die persönliche Betreuung des Reisenden. In seinem ersten Prospekt umschrieb Alfred Kuoni dies so: «Die spezielle Aufgabe des Reisebureaus ist die Organisation von Gesellschafts-Reisen, die von einem der Reisebureau-Leiter selbst begleitet werden und daher den Teilnehmern alle und jede Vorteile bieten, sei es in Bezug auf bequemes als auch vorteilhaftes und sicheres Reisen.»
Sportler, Aristokraten und Invalide
Hier liegt die Erklärung dafür, dass Kuoni immer als Reiseorganisation für gehobene Ansprüche und als Adresse für wohlhabende Kundschaft wahrgenommen wurde. Damals, als selbst das Konversationslexikon Vergnügungsreisen noch als neueren Trend darstellte, waren ausschliesslich wohlhabende Leute für solche Angebote ansprechbar. Wer so früh im Markt war wie Kuoni, hatte keine andere Wahl, als sich bei den «besseren Kreisen» zu empfehlen. Noch galt an den touristischen Brennpunkten Europas die von einer englischen Publikation wie folgt formulierte Hierarchie der wichtigsten Gäste-Zielgruppen: «1. Erholung suchende Touristen und Sportler (Alpinisten im Sommer, Schlittschuhfahrer im Winter); 2. Aristokraten; 3. Kranke und Invalide; 4. solche, die die sich die Zeit vertreiben wollen; 5. Angehörige der freien Berufe; 6. Frauen, die einen Ehemann suchen.»
Die Fassade des kleinen neuen Geschäfts am Zürcher Sonnenquai war in weltmännischem Französisch beschriftet: «Reisebureau Gebr. Kuoni – Voyages Internationaux – Coupon d’Hôtel – Expédition de Bagages». In weiteren Werbeaufschriften wurde verraten, was die gängigsten Angebote waren: «Eisenbahnbillette I., II. und III. Klasse für Schweiz & Ausland zu Bahnpreisen, Geldwechsel/Cambio/Exchange, Tourist Office.» Verschiedene Schifffahrtsgesellschaften wurden auf grossen Tafeln genannt, so Allan Line, American Line, Cunard, Dominion Hamburg–Amerika, Holland–Amerika, Méssageries Maritimes, Norddeutscher Lloyd, Red Star Line und Royal Mail.
Geldwechsel und Fahrpläne
Das Reisebüro Kuoni empfahl sich für folgende Geschäfte: «Geldwechsel, Fahrplanverkauf, Incasso, Passagebillett-Verkauf (Schiffsreisen, insbesondere Auswanderungen), Bahnbillett-Verkauf und so genannte Forfait-Gesellschaftsreisen.» Im allerersten Kuoni-Prospekt wurde als weitere Dienstleistung auch «der Abschluss von Reise- und Touristen-Unfall-Versicherungen» angeboten. Damit die Kundschaft unbesorgt verreisen konnte, versprach Alfred Kuoni ausserdem, während ihrer Abwesenheit auch Mobiliar und Wertsachen einzulagern, und empfahl sich «für die Aufbewahrung von lebenden Tieren mit Zusicherung guter Behandlung». Ausserdem wollte sich Alfred Kuoni auf Wunsch um die Aufsicht über Wohnungen und ganze Villen kümmern und das Nachsenden von Korrespondenzen und Zeitungen besorgen. Das Geschäft war auch am Sonntagvormittag geöffnet.
Dass die bodenständigen Brüder der Geschäftsidee von Alfred Kuoni zwar interessiert, aber mit grosser Vorsicht begegneten, lässt sich aus der Tatsache schliessen, dass von Anfang an für die Investitionen ein separates «Capital-Conto» in der Buchhaltung geführt wurde, das für 1907 eine Schuld von 16 206.08 Franken und für 1908 noch eine solche von 13 331.82 Franken auswies, interne Zinsbelastungen inbegriffen. Mobiliar und Installationen hatten rund 6000 Franken gekostet, die Miete betrug respektable 5500 Franken. Mit anderen Worten: Zumindest in den ersten beiden Jahren arbeitete das Reisebüro Kuoni mit massiven Verlusten. Einschliesslich Gepäckexpedition wurden für das Gründungsjahr gerade mal 2500 Franken und für 1907 rund 6300 Franken Kommissionseinnahmen verbucht.