Am renommierten King’s College in Cambridge findet das wöchentliche Dinner der Professoren statt. An einer langen Tafel sitzen die Dozenten der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät beisammen. Unter ihnen ein junger Ökonom aus Österreich. In tadellosem Englisch erläutert er seinen gespannt lauschenden Tischnachbarn seine Theorie zu den Ursachen der Weltwirtschaftskrise der dreissiger Jahre. Plötzlich unterbricht ihn ein älterer Herr: «So können Sie das aber nicht begründen, junger Kollege.» Und zwischen den beiden entfacht eine hitzige Diskussion. Der junge Österreicher ist Friedrich August von Hayek. Der ältere Kollege ist John Maynard Keynes, Hayeks lebenslanger Opponent.
So oder ähnlich, erinnern sich Zeitzeugen, hat es sich immer wieder abgespielt, wenn sich die beiden brillanten Ökonomen im selben Raum befanden.
Hayek war einer der einflussreichsten Vordenker des Liberalismus des 20. Jahrhunderts. Er zählt zu den bedeutendsten Ökonomen und Sozialphilosophen unserer Zeit. Hayek war ein Vertreter des klassischen Liberalismus, wie er von den Aufklärern Adam Smith und David Hume im 18. Jahrhundert definiert wurde. In einer Zeit, in der die nachfrageorientierte Wirtschaftstheorie von Keynes in der Wissenschaft allgemein anerkannt wurde, war Hayek ein Verfechter des freien Marktes und ein scharfer Kritiker des Sozialismus und jeder Form staatlicher Interventionen.
Wie kein anderer prägte Hayek die Wirtschaftspolitik von Margaret Thatcher und Ronald Reagan in den siebziger und achtziger Jahren. Auch für die Ausgestaltung der Marktwirtschaft in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg lieferte er die wichtigsten Anregungen. Der Niedergang des Sozialismus Ende der achtziger Jahre gilt als eine Bestätigung seines Lebenswerks: Er wollte die Tradition der Freiheit aufrechterhalten.
Im Mai 1899 wird Hayek in Wien geboren. Sein Vater ist Arzt und Privatdozent für Botanik an der Universität Wien. Er wächst in einem Akademikerhaushalt auf. Auch seine beiden jüngeren Brüder machen als Wissenschaftler Karriere. In Hayeks Elternhaus treffen sich oft die Kollegen des Vaters. Wissenschaftliche Themen sind an der Tagesordnung. Auch die wissenschaftliche Methodik lernte der junge Fritz Hayek von seinem Vater, der ihn bei Versuchen assistieren lässt.
Als Jugendlicher wird Hayek im Ersten Weltkrieg eingezogen. Er kämpft als Artillerieoffizier an der italienischen Front. Nach einem Granateinschlag bleibt er sein Leben lang auf einem Ohr taub. Zudem erkrankt er an Malaria. Nach Ende des Krieges kehrt er, von der Krankheit geschwächt, nach Wien zurück. Dort beginnt er unverzüglich mit dem Studium.
Hayek ist für Rechtswissenschaften eingeschrieben. Tatsächlich besucht er aber hauptsächlich Vorlesungen in Volkswirtschaft und Psychologie. Als junger Student ist Hayek zunächst von den Ideen der Planwirtschaft angetan. Mit Begeisterung liest er Walther Rathenaus Werke. Diese Theorien stehen in krassem Gegensatz zu seinen späteren Ansichten. Sein gesamtes Leben lang warnt er vor jeder Form der Zentralverwaltungswirtschaft. 1921 schliesst er mit gerade 20 Jahren sein Jurastudium mit der Promotion ab.
Der wissbegierige Student entschliesst sich für ein zweites Studium in Staatswissenschaften. Bei seinem Doktorvater Friedrich von Wieser vertieft er seine ökonomischen Kenntnisse. Bei ihm erhält Hayek seine Grundausbildung in Ökonomie. Bereits zwei Jahre später erhält er auch in diesem Fach den Doktortitel.
Schon während seines Studiums arbeitet Hayek im österreichischen Abrechnungsamt. Dort werden die Angelegenheiten der Reparationszahlungen und Kriegsfolgekosten abgewickelt. Er lernt bei dieser Arbeit Ludwig von Mises kennen, einen der wichtigsten Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Dessen Buch «Die Gemeinwirtschaft» beeindruckt ihn sehr. Darin legt Mises die Undurchführbarkeit des Sozialismus dar. Der junge Hayek wird von der systematischen Widerlegung der sozialistischen Ideen überzeugt. Er wirft seine Begeisterung für die Planwirtschaft über Bord und wird zu einem «radikalen Anti-Sozialisten», wie er sich selbst nennt. Mises wird Hayeks Mentor und enger Freund.
Nach dem Abschluss seiner zweiten Promotion entschliesst sich der unternehmungslustige Hayek zu einem gewagten Abenteuer: Er reist auf eigene Faust nach Nordamerika, um dort für ein Jahr zu arbeiten und zu studieren. «Das war eine ziemlich mutige und für die damalige Zeit höchst ungewöhnliche Reise», urteilt Christian Watrin, ein jüngerer Kollege Hayeks und ehemaliger Direktor des Staatswissenschaftlichen Seminars an der Universität Köln. Da es zu dieser Zeit dafür noch kaum Stipendien gibt, lässt sich Hayek von seiner Arbeit am Abrechnungsamt beurlauben und organisiert die Finanzierung seines US-Aufenthalts selbst.
Das erste halbe Jahr arbeitet Hayek als Forschungsassistent für den US-Ökonomen Jeremiah W. Jenks. An dessen Institut in New York forscht er auf dem Gebiet der amerikanischen Währungspolitik. Für die folgenden sechs Monate erhält er mit Hilfe von Jenks ein Stipendium für die Universität von New York. Während seiner Zeit in Amerika sammelt Hayek wichtige Kenntnisse über Methoden der Konjunkturforschung und Wirtschaftsstatistik. Begeistert von dieser Arbeitsweise, will Hayek auch in Wien ein Konjunkturforschungsinstitut errichten.
Mit seinem Freund Ludwig von Mises macht er sich auf die Suche nach Investoren. Viel Geld treiben die beiden nicht auf, aber es reicht, um 1927 das Österreichische Konjunkturforschungsinstitut zu gründen. Hayek widmet sich eifrig dem Thema Wirtschaftszyklen, entwickelt eine neue Konjunkturtheorie und erstellt aufwändige Analysen. Die Weltwirtschaftskrise verhilft dem Institut ironischerweise zu bleibendem Ruhm. Hayek und Mises sagen die grösste ökonomische Krise der globalen Wirtschaft voraus und liefern plausible Gründe für deren Ausbruch. Ihre Arbeit erlangt internationale Beachtung. Lionel Robbins, Leiter der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der London School of Economics (LSE), wird auf die beiden Österreicher aufmerksam. Er bietet Hayek eine Gastprofessur an der LSE an. Und so wird Hayek mit 30 Jahren der erste ausländische Professor an der renommierten britischen Hochschule.
Er zieht mit seiner Ehefrau Berta Maria und seinen beiden Kindern nach England. Dort fühlt er sich sehr wohl. «Sein Auftreten war das eines englischen Gentleman», erinnert sich Christian Watrin. «Als er nach England kam, blühte er regelrecht auf.» Vor allem liebt er das Clubleben. Er geniesst die Treffen mit intelligenten Menschen und interessanten Gesprächen. Die besondere Atmosphäre der Londoner Clubs mit ihren wunderschönen Bibliotheken behagt ihm.
Sosehr ihm England auch zusagt, so schwer ist doch sein Stand an der Universität. Die Wissenschaftler Grossbritanniens sind zu dieser Zeit mehrheitlich Anhänger der keynesianischen Wirtschaftslehre. Als Vertreter der so genannten Österreichischen Schule muss Hayek sich erst eine Anhängerschaft erkämpfen. Hayek kritisiert immer wieder vehement Keynes’ Werke. Umgekehrt bezeichnet Keynes Hayeks Buch «Prices and Production» als unverständlich. Das Werk enthält eine Konjunkturtheorie, die im krassen Gegensatz zu Keynes’ Erklärungsversuchen für die Depression in den dreissiger Jahren steht. Hayek hält die Lehre von Keynes, der staatliche Interventionen in die Wirtschaft befürwortet, für falsch. Doch die Theorien des fast 20 Jahre älteren Ökonomen sind zu dieser Zeit sehr en vogue. Im Gegensatz zu Hayeks Thesen, die nicht auf grosse Zustimmung stossen.
«Sie waren immer unterschiedlicher Meinung», sagt Christian Watrin, der heute Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des österreichischen Hayek Instituts ist. «Sie haben sich aber sehr geschätzt und gemocht.» So wurde während des Zweiten Weltkriegs und der Bombardierungen Londons die London School of Economics nach Cambridge verlegt. Keynes half der Familie Hayek, dort eine Unterkunft zu finden.
Während des Aufenthalts in Cambridge schreibt Hayek sein berühmtes Werk «Der Weg zur Knechtschaft». Mit diesem Buch rückt er von der strikten Wirtschaftstheorie ab und befasst sich von nun an mit Fragen von Ordnungspolitik und Sozialphilosophie. «Unter dem Druck der politischen Ereignisse dieser Zeit machte sich Hayek Sorgen um die westliche Welt», sagt Watrin, «er entwickelte sich vom Ökonomen zum Sozialphilosophen.»
Das Werk erscheint 1944 in den USA unter dem englischen Titel «The Road to Serfdom». Es wird Hayeks politisch einflussreichstes Buch. Die erste Auflage von 2000 Exemplaren ist innert eines Monats vergriffen. Bis heute wurde das Buch in zahlreiche Sprachen übersetzt und millionenfach verkauft. In dieser Kampfschrift gegen den Sozialismus fasst Hayek zusammen, was ihn sein ganzes Leben lang bewegt: die Auseinandersetzung mit jeder Form der Zentralverwaltung. Gewidmet ist sein Werk «den Sozialisten aller Parteien». Hayek will mit seinem Buch vor den Gefahren der Planwirtschaft warnen.
Kollektivismus und individuelle Freiheitsrechte sind für ihn nicht vereinbar. Im Sozialismus wird automatisch die Freiheit des Einzelnen beschnitten. Der Nationalsozialismus in Deutschland und der Faschismus in Italien sind für ihn genauso eine Weiterentwicklung des Sozialismus wie der Kommunismus in der Sowjetunion. All diese Systeme führen nach Hayek zwangsläufig in die Unterdrückung oder, wie er es nennt, in die Knechtschaft. In diesem Zustand gibt es keinen individuellen wirtschaftlichen Entscheidungsspielraum mehr. Dabei führen Sozialismus, Faschismus und Nationalsozialismus alle in eine Diktatur. Nicht zuletzt weil er den Sozialismus mit dem Faschismus und dem Nationalsozialismus in einem Atemzug nennt, macht er sich bei den Linken seiner Zeit viele Feinde. Hayek wird zum gefährlichen Klassenfeind erklärt. Aber Hayek bleibt immer höflich. «Nicht einmal seine schärfsten Gegner hat er je beschimpft», erzählt Watrin, «obwohl deren Kritik oft sehr harsch und verletzend war.»
Von seinem ewigen Widersacher Keynes, der auch ein Gegner des Sozialismus ist, heimst Hayek sogar ein grosses Lob für die Publikation ein: «Es ist ein grosses Buch. Ich bin moralisch und philosophisch nahezu gänzlich damit einverstanden. Und zwar nicht einfach überzeugt, sondern tief bewegt.»
Im «Weg zur Knechtschaft» wettert Hayek gegen jede Art der staatlichen Einmischung in den Wettbewerb. Eine Zentralverwaltungsgesellschaft lehnt er ab. Solche Systeme seien einer Marktwirtschaft unterlegen und zudem nicht funktionsfähig. Dabei sei jede noch so kleine Einmischung abzulehnen, da diese weitere Massnahmen nach sich ziehe. Aus dieser Spirale von Interventionen folgten Planwirtschaft und Diktatur. Der Niedergang des Ostblocks und des sozialistischen Systems Anfang der neunziger Jahre geben ihm Recht. Zeit seines Lebens hat er den Zusammenbruch vorausgesagt. Im hohen Alter erlebt er dies noch mit und sieht darin eine Bestätigung seiner Arbeit.
Zahlreiche Wirtschaftswissenschaftler und Politiker schreiben Hayek einen grossen Beitrag daran zu, dass der Sozialismus nach dem Zweiten Weltkrieg in der westlichen Welt nicht Fuss fassen konnte. Tatsächlich unternahm Hayek viel, um die Ideen des Liberalismus nach 1945 wieder aufblühen zu lassen. Zum Beispiel gründet er 1947 im Hotel du Parc auf dem Mont Pèlerin bei Vevey eine Diskussionsgesellschaft. Mit 36 liberalen Denkern wie Milton Friedman, Ludwig von Mises, Karl Popper, Ludwig Erhard, Walter Eucken und Wilhelm Röpke ruft er einen der ersten liberalen Think Tanks ins Leben. Heute hat die Mont Pèlerin Society über 500 Mitglieder. Sie gilt als Knotenpunkt neoliberaler Bestrebungen und als eine der bedeutendsten Denkfabriken überhaupt. Derzeitige Präsidentin ist die Genfer Professorin Victoria Curzon-Price. Zahlreiche Vertreter des Neoliberalismus sind heute Mitglieder. So etwa der tschechische Staatspräsident Vaclav Klaus oder die Nobelpreisträger Gary Becker, James Buchanan und Ronald Coase.
Dennoch setzt sich der Keynesianismus nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen durch. Auch Mahnungen Hayeks vor den Gefahren staatlicher Wirtschaftstätigkeit stossen bei den Politikern seiner Zeit auf taube Ohren. In Deutschland entwickeln Ludwig Erhard und Wilhelm Röpke die soziale Marktwirtschaft. Zwar basiert dieses Wirtschaftssystem in vielen Punkten auf Hayeks Theorien. Doch in dessen Augen ist es keine Marktwirtschaft. Er hält sie für zu interventionistisch: «Eine soziale Marktwirtschaft ist keine Marktwirtschaft, ein sozialer Rechtsstaat kein Rechtsstaat, ein soziales Gewissen kein Gewissen, soziale Gerechtigkeit keine Gerechtigkeit – und ich fürchte auch, dass soziale Demokratie keine Demokratie ist.»
In der Schweizer Wirtschaftspolitik hat Hayek keine deutlichen Spuren hinterlassen. «Hierzulande brauchte es diesen Erdrutsch nicht», erklärt Robert Nef, Leiter des Think Tank Liberales Institut in Zürich. «Es ist in unserer Tradition verankert, dass ein freier Wettbewerb einer Zentralverwaltung überlegen ist.» Trotzdem hatte Hayek eine enge Beziehung zur Schweiz. Er publizierte viele seiner Aufsätze im Land und hielt an der Universität Zürich oft Vorträge. An einer dieser Vorlesungen nahm Robert Nef als Student teil. «Hayek sprach nicht besonders laut oder eifernd, trotzdem war sein Vortrag sehr fesselnd», erinnert er sich. Weder arrogant noch dogmatisch sei Hayeks Auftreten gewesen, sondern sympathisch, bescheiden und charmant.
Hayek selbst bezeichnete sich als Tüftler. Er sitzt lange an seinen Manuskripten, überarbeitet diese von morgens bis abends. Spontane Aussagen und Diskussionen liegen ihm nicht. «Seine Kinder sagten einmal, sie hätten ihren Vater immer nur lesen gesehen», erinnert sich Christian Watrin, der von 2000 bis 2002 Vorsitzender der Mont Pèlerin Society war.
Mit 50 Jahren lässt sich Hayek von seiner Frau scheiden. Er will seine Jugendliebe Helene Bitterlich, die er noch aus Wiener Zeiten kennt, heiraten. An der Universität in London wird dieser Schritt sehr negativ aufgenommen. Viele ehemalige Kollegen, Anhänger und Förderer wenden sich von ihm ab und stellen sich auf die Seite der Frau. Unter diesem Druck verlässt Hayek England. Er geht für zwölf Jahre an die Universität Chicago. Dort arbeitet er als Professor für Social and Moral Science. Der Wechsel nach Chicago kommt einem sozialen Abstieg gleich. Einziger Trost: Friedrich August von Hayek arbeitet dort mit Milton Friedman und George Stigler zusammen. Das Klima an der Universität Chicago ist sehr fruchtbar, und Hayek verfasst in dieser Zeit zahlreiche bedeutende Publikationen.
An seinem 60. Geburtstag überreicht Hayek seinem Verleger ein Mauskript mit dem Titel «The Constitution of Liberty». Die Verfassung der Freiheit wird sein Opus magnum, sein wissenschaftlich bedeutendstes sozialphilosophisches Buch. Das Werk ist repräsentativ für den Liberalismus des 20. Jahrhunderts. Es ist das systematisch ausgearbeitete Konzept der liberalen Gesellschaft. Eine solche sei nicht konstruierbar, sondern Resultat einer spontanen Ordnung. Diese sei die Essenz der Marktwirtschaft. Hayek vertritt Adam Smiths These der unsichtbaren Hand. Individuelle oder persönliche Freiheit definiert Hayek als einen Zustand, in dem der Mensch nicht dem willkürlichen Zwang durch den Willen eines anderen oder anderer unterworfen ist.
Nach zwölf Jahren in Amerika kehrt Hayek nach Europa zurück. Er erhält einen Ruf an die Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau. Dort wird er Nachfolger von Walter Eucken. Er übernimmt den Vorsitz des Walter Eucken Instituts und arbeitet dort bis zu seiner Emeritierung.
1967 kehrt Hayek nach Österreich zurück. Er ist seiner Heimat immer verbunden geblieben – trotz den vielen Jahren im Ausland. Er tritt eine Honorarprofessur in Salzburg an. Doch seine hohen Erwartungen an die neue Aufgabe und an Salzburg werden nicht erfüllt. Hayek missfällt das Klima an der Universität. Er fühlt sich als Liberaler drangsaliert. «Der Prophet gilt nichts im eigenen Land», bedauert Barbara Kolm-Lamprechter, Generalsekretärin des Hayek Instituts in Österreich. An den Universitäten Österreichs würde Hayek nach wie vor viel zu wenig gelehrt. Das Institut hat aus diesem Grund eine Hayek-Gastprofessur ins Leben gerufen.
Das grosse Highlight dieser Zeit ist für Hayek die Verleihung des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften im Jahr 1974. Es trifft den inzwischen 75-Jährigen ganz überraschend. Ironischerweise teilt er sich die Auszeichnung mit dem schwedischen Sozialisten Gunnar Myrdal, dem Begründer des schwedischen Modells des Wohlfahrtsstaats. Myrdal ist Ökonom, Soziologe und Politiker. Er beschäftigt sich mit den allgemeinen und ökonomischen Problemen der Entwicklungsländer. Er ist der Meinung, dass die asiatischen Länder mit Hilfe einer Planwirtschaft ihren Schwierigkeiten entkommen könnten. Hayek erscheint es lächerlich, dass ausgerechnet er sich mit einem Sozialisten den wichtigen Preis teilen soll. Doch in Schweden scheint es aus politischen Gründen nicht möglich, nur Hayek den Preis zu verleihen.
Zwei Jahre später kehrt Hayek nach Freiburg im Breisgau zurück. Dort wird er nach wie vor sehr geschätzt. Anlässlich seines 80. Geburtstags organisiert die Universität ein grosses Fest.
Hayek ist nie politisch beratend tätig und auch nicht parteipolitisch aktiv – auch wenn dies oft behauptet wird. Der Wissenschaftler Friedrich August von Hayek sucht nie politische Macht. Dennoch beeinflusst er zahlreiche Politiker in den siebziger und achtziger Jahren – doch dies nur auf ideologische Art und Weise. Hayek ist als Mitglied und Referent verschiedener unabhängiger Denkfabriken, so genannter Think Tanks, tätig. Die bekannteste davon ist wohl das Institute of Economic Affairs (IEA) in London.
Eine von Hayeks prominentesten Anhängern ist Margaret Thatcher. Als Chemiestudentin in Oxford liest sie zum ersten Mal Hayeks «Der Weg zur Knechtschaft». Später macht sie seine Thesen zur Basis ihrer Wirtschaftspolitik. Während einer Debatte soll sie sogar einen Redner unterbrochen haben, der zu sehr den Middle Way vertrat. Sie soll eine Ausgabe der «Verfassung der Freiheit» aus ihrer Handtasche geholt und gerufen haben: «This is what we believe!» 1985 verleiht die Premierministerin Hayek die britische Auszeichnung Companion of Honour.
Hayek beeinflusst auch Ronald Reagans Wirtschaftspolitik. Als Reagan 1980 zum Präsidenten gewählt wird, schreibt dieser sich den Neoliberalismus auf die Fahne, er zügelt die Staatstätigkeit und senkt die Steuern. 1991 verleiht der US-Präsident Hayek die höchste amerikanische zivile Auszeichnung: die Presidential Medal of Freedom.
Friedrich August von Hayek stirbt am 23. März 1992 in Freiburg. Auf Wunsch seiner Frau wird er in Neustift im Wienerwald begraben.
Wichtigste Werke
«The Road to Serfdom»
Mit seinem im Jahr 1944 veröffentlichten Werk «Der Weg zur Knechtschaft» erntete Hayek Hohn und Spott. Seine Ansichten über Individualismus und Marktwirtschaft waren nicht zeitgemäss. Inzwischen ist das Buch ein Klassiker, und es hat nichts von seiner Aktualität eingebüsst. Hayek weist in seinem Werk auf die Gefahren des Sozialismus hin. Seiner Meinung nach würde jede Form von Kollektivismus und Sozialismus zum Abbau individueller Freiheit führen. Eine zentrale Wirtschaftsplanung hätte die Zerstörung von Wohlstand und Gerechtigkeit zur Folge.
«The Constitution of Liberty»
In der Schrift «Die Verfassung der Freiheit», die 1960 publiziert wurde, wettert der österreichische Ökonom gegen den Wohlfahrtsstaat. Dieser verhindere den Fortschritt und eine Zunahme des Wohlstands. Nur in einer freien Gesellschaft sei eine Wohlstandsmehrung möglich. Denn eine Zentralverwaltung könne nur über einen Bruchteil des relevanten Wissens verfügen, das für eine erfolgreiche Planung nötig sei. Hayek schliesst sich damit Adam Smiths Theorie von der «unsichtbaren Hand» an. Auch mit diesem Werk stiess Hayek vorerst auf wenig Gegenliebe.
Literatur zu Hayek
Hans J. Hennecke: Friedrich August von Hayek. Die Tradition der Freiheit. Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2000.
Gerd Habermann: Philosophie der Freiheit. Ein Friedrich-August-von-Hayek-Brevier. Ott Verlag, Thun 2005.
Bruce Caldwell: Hayek’s Challenge. An Intellectual Biography of F.A. Hayek. University of Chicago Press, Chicago 2005.
In der nächsten Ausgabe:
Milton Friedman, führender Vertreter des Monetarismus und des freien Marktes. Der Amerikaner gilt als Begründer der Chicagoer Schule.