Für jemanden, der Egoismus als Triebfeder des wirtschaftlichen Handelns missbilligte, ist es erstaunlich, dass er mit Spekulationen sein Vermögen vervielfachte und davon sorgenfrei leben konnte. Doch wer ist schon ohne Widersprüche? Vielleicht konnte John Maynard Keynes gerade wegen seiner eigenen Widersprüchlichkeit die Widersprüche des kapitalistischen Systems analysieren und ein Instrumentarium dafür entwickeln, dass es besser funktionieren könnte.
Auslöser für Keynes’ wirkungsmächtige Theorie war ein Skandal: der Skandal, dass die wirtschaftliche Depression der 1930er Jahre Millionen von Menschen arbeitslos machte, wodurch in verschiedenen Ländern Europas die Arbeitslosigkeit 30 Prozent erreichte, und dass sowohl Regierungen als auch die führenden Nationalökonomen nichts dagegen unternahmen, sondern auf die Selbstregulierung der Märkte bauten.
Am 29. Oktober 1929 platzte die Spekulationsblase an der New Yorker Börse; die Aktienkurse stürzten fast ins Bodenlose. Viele hatten in der Hoffnung auf höhere Kurse Aktien auf Pump gekauft. Sie konnten ihre Kredite nicht mehr zurückzahlen. Die Banken gerieten dadurch in einen Liquiditätsengpass; zahlreiche Finanzinstitute in den USA und Europa gingen in Konkurs. Der internationale Zahlungsverkehr geriet ins Stocken, die meisten Staaten führten die Devisenbewirtschaftung ein. Depression herrschte nicht nur im wirtschaftlichen, sondern auch im psychologischen Sinn: Das Vertrauen ins liberal-marktwirtschaftliche System wurde zutiefst erschüttert, es geriet zwischen den Hammer eines sozialistischen Wirtschaftsentwurfs und den Amboss der faschistischen Weltanschauung.
Während hundert Jahren war die Wirtschaftspolitik geprägt gewesen vom Laisser-faire und der Theorie der «unsichtbaren Hand» von Adam Smith. Beide Vorstellungen gingen vom freien Spiel der Marktkräfte aus, die automatisch für ein Gleichgewicht sorgen würden, auch im Falle von Arbeitslosigkeit. Nach dieser ultraliberalen Meinung liesse sich Arbeitslosigkeit mit Lohnsenkungen, dank denen das Arbeitsangebot wachsen würde, zum Verschwinden bringen. Wer auch dann noch arbeitslos blieb, der wählte die Arbeitslosigkeit freiwillig. Fast alle westlichen Staaten versuchten noch bis 1936, die Depression mit diesem klassischen Mittel zu bekämpfen – auch dann noch, als sich der Teufelskreis von Unterkonsumption und Arbeitslosigkeit immer schneller zu drehen begann.
Bereits in seiner Schrift «The End of Laissez-Faire» von 1926 nahm Keynes Abschied von der klassisch-liberalen Zuversicht in die Selbststeuerung der Wirtschaft und kritisierte die «beste aller Welten», die ein freier Markt darstellte. Stattdessen brachte er den Staat als Regulator ins Spiel und suchte nach einem besseren Zusammenspiel zwischen Unternehmen, Markt und Staat. In seinem Buch «A Treatise on Money» von 1930 entwickelte er die Theorie, dass Sparen nicht immer sinnvoll sei und in einer Depression die Lage noch verschlimmere, weil die Nachfrage noch stärker zurückgeht.
Diese beiden Werke waren gewissermassen die Vorläufer für sein Hauptwerk, «The General Theory of Employment, Interest and Money», das 1936 erschien. Das Werk richtete sich – wie er im Vorwort schrieb – an seine Fachkollegen und wurde von diesen fast einstimmig verrissen. Vielleicht deshalb, weil «die Grundgedanken der ‹Allgemeinen Theorie› als schockierend empfunden» wurden, wie seine Mitarbeiterin Joan Robinson sagte.
Schockierend dürften sie für liberale Leser gewesen sein, weil er die bestehenden Verhältnisse schonungslos kritisierte und dem Staat eine aktive Rolle zumass: «Die hervorstechendsten Fehler der wirtschaftlichen Gesellschaft, in der wir leben, sind ihr Versagen, für Vollbeschäftigung Vorkehrungen zu treffen, und ihre willkürliche und unbillige Verteilung des Reichtums und der Einkommen», schrieb Keynes. Das bedeutete: Der Staat sollte sich nicht mehr aus der Verantwortung für die Wirtschaft heraushalten, sondern die Wirtschaftspolitik ins Zentrum der Politik rücken.
Keynes schrieb mit der «General Theory» ein äusserst kompliziertes Buch, verstand es aber, seine Kernaussagen in einfache Merksätze zusammenzufassen: «Arbeitslosigkeit entsteht […], weil die Leute zu viel wollen: Sie wollen ihr Geld halten.»
In seiner Kernthese bezeichnete Keynes die Nachfrage als den entscheidenden wirtschaftlichen Bestimmungsfaktor und stellte mit dieser Auffassung die klassische Angebotstheorie auf den Kopf. Keynes behauptete: Ein Unternehmer produziert nur, wenn er sicher ist, dass er seine Ware auch verkaufen kann. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage – also Ausgaben für Konsum und Investitionsgüter – ist instabil. Dabei hängen die Konsumausgaben vom Einkommen beziehungsweise der Konsumneigung ab. Die Konsumneigung, also der Anteil vom Einkommen, der für Konsum ausgegeben wird, ist relativ stabil und nimmt bei steigenden Einkommen ab. Je höher das Einkommen steigt, desto mehr sparen die Haushalte. Sparen, in der klassischen Lehre und in der protestantisch gefärbten Populärökonomie eine Tugend, kann zum Laster werden, meinte Keynes. Dann nämlich, wenn es die Nachfrage drückt und Geld gehortet statt investiert wird. Und gehortet wird es, wiederum nach Keynes, wenn die Zinsen hoch sind. Die Unternehmen erhalten dadurch keine positiven Signale, um zu investieren, im Gegenteil: Sie drosseln die Produktion, senken die Löhne und bauen Arbeitsplätze ab.
Investitionen hängen – und das ist etwas vom herausragend Neuen bei Keynes – auch von Zukunftserwartungen ab. Er führt damit die Psychologie in die Ökonomie ein. Erwartet der Investor eine höhere Rendite, wird er investieren. Tut er das nicht oder zu wenig, öffnet sich eine so genannte Investitionslücke, und dann muss der Staat einspringen, indem er die Zinsen senkt und/oder Investitionsprogramme lanciert. Dabei soll sich der Staat auch verschulden können, eine Politik des Deficit Spending betreiben unter der Voraussetzung, dass er bei einem Konjunkturaufschwung die Schulden wieder abbaut. Auch das war eine radikale Abkehr von der bis anhin gepflegten Finanzpolitik des «guten Hausvaters», die da hiess: Auch der Staat muss sich wie der Familienvater verhalten und darf in keinem Jahr mehr ausgeben, als er einnimmt.
Keynes war überzeugt, dass «eine ziemlich umfassende Verstaatlichung der Investitionen sich als das einzige Mittel zur Erreichung einer Annäherung an Vollbeschäftigung erweisen wird». Wegen solch staatlicher Eingriffe wurde Keynes von bürgerlich-liberaler Seite als Sozialist beschimpft, umgekehrt von den Sozialisten, die damals die Überwindung des Kapitalismus anstrebten, als Retter des Kapitalismus verhöhnt.
Keynes’ «General Theory» wurde beim Erscheinen erregt diskutiert, meist abgelehnt, aber bereits in dieser Zeit teilweise angewandt: Der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt reduzierte erfolgreich mit dem New Deal, der Investitionsprogramme und Arbeitsbeschaffung enthielt, die Arbeitslosigkeit. Und Nazi-Deutschland betrieb im Wesentlichen auch eine keynesianische Wirtschaftspolitik – nicht mit dem Resultat jedoch, das sich Keynes gewünscht hätte.
Auch in der Schweiz ergriffen in den dreissiger Jahren links regierte Kantone und Städte keynesianische Massnahmen. So mussten in Basel die Verdienenden ein Prozent ihres Einkommens, den so genannten Arbeitsrappen, abliefern. Mit diesen Mitteln renovierte und baute die Stadt Häuser und belebte so die Baukonjunktur. Auch die britische Regierung schwenkte noch während des Kriegs auf eine nachfrageorientierte Politik um. Die Rezeption von Keynes’ Werk erfolgte vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, als seine Kollegen wesentlich freundlicher reagierten. So meinte der spätere Nobelpreisträger Paul Samuelson: «Ein schlecht geschriebenes Buch […] dürftig organisiert, arrogant, schlecht gestimmt und polemisch. Kurz: das Werk eines Genies.»
Nichts hätte in den zwanziger Jahren darauf hingedeutet, dass Keynes der wohl einflussreichste Ökonom des 20. Jahrhunderts werden sollte. Vielmehr hätte er auch das Leben eines intellektuellen Dandys führen können, der mit gewitzten und gescheiten Sprüchen das Clubleben bereicherte. In der Tat erinnern etliche seiner Aphorismen an den Schriftsteller Oscar Wilde: «Das Vermeiden von Steuern ist die einzige intellektuelle Tätigkeit, die eine Belohnung mit sich bringt»; das hätte wohl auch von Wilde stammen können. Und seinen Kollegen, die während der Depression meinten, langfristig komme die Wirtschaft wieder ins Lot, entgegnete er: «Auf lange Sicht sind wir alle tot.»
John Maynard Keynes wurde am 5. Juni 1883 in Cambridge in ein gutbürgerliches Haus geboren; sein Vater war Kanzler der Universität, seine Mutter, die ihn stark prägte, war eine der ersten Studentinnen in Cambridge und wurde später Bürgermeisterin dieser Stadt. Wie es sich gehörte, besuchte der junge Keynes die Eliteschule in Eton und studierte später Ökonomie. Er galt schon in jungen Jahren als brillanter Ökonom, war bereits 1911 Herausgeber des «Economic Journal», der führenden Zeitschrift für Wirtschaftswissenschaften.
Keynes war sehr belesen, ein guter Kenner der Schriften von Karl Marx,
humanistisch gebildet und mindestens ebenso sehr an Kunst und dem gesellschaftlichen Leben in London interessiert wie an Wirtschaft. Dort verkehrte er im eleganten Bloomsbury Circle, wo sich Künstler, Intellektuelle und Literaten trafen, etwa die Schriftstellerin Virginia Woolf. Der Umgang mit Schriftstellern mag seinen Stil geprägt haben, der für einen Ökonomen ungewöhnlich farbig und brillant ist. 1925 heiratete er die russische Balletttänzerin Lydia Lopokova.
Während des Ersten Weltkriegs war Keynes Berater des britischen Schatzamtes und entwickelte Pläne zur Finanzierung der Kriegsausgaben. Nach Kriegsende nahm er an den Friedensverhandlungen in Versailles teil und veröffentlichte anschliessend ein Werk, mit dem er zu erster Berühmtheit gelangte: «Economic Consequences of Peace». In diesem Pamphlet wurde er, der sich als unpolitischer Mensch verstand, zum politischen Propheten. Er geisselte harsch die massiven Reparationszahlungen, welche die Alliierten Deutschland aufgezwungen hatten, als «abscheulich und verachtenswert» und prognostizierte den Niedergang eines bankrotten Deutschland. Doch die Alliierten wollten in ihrer revanchistischen Haltung nichts von seinen versöhnlichen, vor allem wirtschaftlich vernünftigen Argumenten wissen. Die Kriegsschuld wurde zu einem Hauptargument der Nazis bei ihrem Konfrontationskurs in den dreissiger Jahren.
In seiner Tätigkeit für die Regierung schien Keynes hin und her gerissen zu sein zwischen Pflicht und Abneigung: «Ich arbeite für eine Regierung», schrieb er 1917, «die ich hasse, weil ich ihr Ziel kriminell finde.»
Keynes erhielt eine Professur angeboten; kokettierend lehnte er mit dem Argument ab, dass er sich das finanziell nicht leisten könne. Tatsächlich konnte er gut von seinem auch mit Spekulationen verdienten Vermögen leben. Das hinderte ihn nicht daran, Hohn und Spott über die Rentiers, diese «funktionslosen Investoren», deren – wirtschaftlichen – Tod er sich wünschte, auszuschütten. Allerdings vertrieb sich Keynes die Zeit nicht mit Jagd und Partys, sondern arbeitete während Jahren an seiner «General Theory». Er war kein Wissenschaftler im Elfenbeinturm, sondern wusste, wovon er schrieb. Das zeigt nur schon die Liste seiner Beschäftigungen: Regierungsberater, Geschäftsmann, Spekulant, Journalist, Direktor der Bank of England, Kunstliebhaber, Theatermäzen, Büchersammler.
Sein Rat war auch während des Zweiten Weltkriegs gefragt. Er diente dem britischen Schatzministerium, leitete Verhandlungen mit den USA über Kriegsdarlehen und nahm 1944 an der Konferenz von Bretton Woods teil, an der eine neue Finanzarchitektur entworfen wurde, deren zwei Pfeiler, nämlich die Weltbank und der Internationale Währungsfonds, sich seither als stabilisierend gezeigt haben.
Die kritischen Bemerkungen, die Keynes ein Vierteljahrhundert zuvor über die englische Regierung hatte fallen lassen, schadeten ihm nicht: Er wurde 1942 in den Adelsstand erhoben. In einer Rede im House of Lords 1944 fasste er sein Lebensziel so zusammen: «Ich habe meine Kraft darangegeben, den Fluch der Arbeitslosigkeit zu beseitigen.» Diese Anstrengung überstieg seine Kräfte. Nach einer Phase extremer Arbeitsbelastung starb Keynes am 21. April 1946 an Herzversagen.
Nach dem Krieg setzten sich Keynes’ Theorien auf breiter Front durch. Die USA wie auch Grossbritannien betrieben eine keynesianische Wirtschaftspolitik, ebenso die skandinavischen Staaten, während sie sich in Deutschland erst unter der Grossen Koalition Ende der sechziger Jahre verbreitete, dafür aber sogar in der Verfassung verankert wurde. Auch in der Charta der Vereinten Nationen sowie in den Römer Verträgen der EWG, wie die Europäische Union damals hiess, fanden keynesianische Grundsätze Einzug.
Der Erfolg dieses gemeinsamen wirtschaftspolitischen Credos der westlich-kapitalistischen Welt war denn auch einmalig: Noch nie gab es in der Geschichte der Menschheit eine Phase so hoher und lang anhaltender Prosperität mit jährlichen Wachstumsraten von durchschnittlich fünf Prozent wie zwischen 1948 und 1973. Und dieser Erfolg machte auch eingefleischte Konservative zu Keynes-Fans: So meinte 1971 der amerikanische Präsident Richard Nixon: «Wir sind alles Keynesianer.»
Allerdings verstanden die Keynesianer in den Regierungen den Meister nur unvollständig. Sie betrieben das Deficit Spending nicht nur bei schwächelnder Konjunktur, sondern machten es sich zur Gewohnheit. Die Folge: Die Staatsquote stieg massiv an, ebenso die Staatsverschuldung, mit dem Effekt, dass die Inflation in den achtziger Jahren nie gekannte Höhen erklomm. Eine hohe Inflation entsprach indes in keiner Weise dem, was Keynes beabsichtigte, im Gegenteil, er erachtete sie als Gift. «Lenin sagte», so zitierte Keynes den russischen Revolutionär, «dass der beste Weg, das kapitalistische System zu zerstören, darin besteht, die Währung zu entwerten. Durch den ständigen Prozess der Inflation können Regierungen – im Geheimen und unbeobachtet – einen bedeutenden Teil des Wohlstands ihrer Bürger konfiszieren. […] Lenin hatte zweifellos Recht.»
In einer schlichten Form wurde Keynes’ Theorie fast Allgemeinwissen. Kaum ein Gewerkschaftsfunktionär, der nicht mit Keynes argumentiert, wenn er vom Arbeitgeber für seine Leute mehr Lohn verlangt. Und das geht so: Mehr Lohn führt zu mehr Konsum, das erhöht die Produktion, und das wiederum schafft Arbeitsplätze. Doch mit solchem Vulgär-Keynesianismus kann Serge Gaillard, Ökonom, Mitglied des Bankrates der Nationalbank und geschäftsleitender Sekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, wenig anfangen: «Für die Gewerkschaften war immer klar, dass Lohnerhöhungen zwei Effekte haben: Sie erhöhen zwar die Kaufkraft, was für die Binnenwirtschaft gut ist, können aber bei exportorientierten Branchen die Wettbewerbsfähigkeit negativ beeinflussen. Wir haben deshalb bei unseren Lohnforderungen immer auch auf die Lohnentwicklung im Ausland Rücksicht genommen.»
Wichtiger ist für Gaillard ein anderes zentrales Element der keynesianischen Theorie: «Eine Geldpolitik kann mit den Zinsen die Investitionen und das Wirtschaftswachstum stabilisieren. In diesem Sinn bin ich Keynesianer.»
Die Ölkrise, die eine Vervierfachung der Ölpreise bewirkte, traf die die kapitalistische Welt unvorbereitet und beendete den Höhenflug der keynesianischen Wirtschaftspolitik abrupt. Es ging das Gespenst der Stagflation um: stagnierende Produktion, hohe Inflation, verbunden mit Arbeitslosigkeit. Mit der Wahl von Margaret Thatcher in Grossbritannien und Ronald Reagan zum US-Präsidenten fand eine radikale wirtschaftspolitische Kursänderung statt. Der auf dem Theoriegebäude von Milton Friedman basierende Monetarismus, der in erster Linie eine tiefe Inflation mittels Geldmengensteuerung zum Ziel hat, löste weitgehend das Konzept der Globalsteuerung ab.
Doch der Keynesianismus, obwohl in den vergangenen zwei Jahrzehnten kaum mehr erwähnt, war nicht tot, wie es die Neoliberalen, wie die Anhänger des Monetarismus auch genannt werden, gerne gehabt hätten. «Die skandinavischen Staaten betreiben durchwegs eine keynesianische Politik, die sie allerdings auf intelligente Weise mit Strukturreformen verbinden», sagt Serge Gaillard. «Und was die USA unter Bush machen, ist ebenfalls ganz traditionell keynesianisch: Zinsen senken und die Staatsausgaben erhöhen. Das hat zu einer Umschuldung bei den Hypotheken geführt und den Konsum angekurbelt. Aber im Aufschwung müssten die Defizite beseitigt werden. In diesem Punkt waren die Republikaner nie vorbildlich.»
Im Jahre 1999 bezeichnete die konservative «Financial Times» Keynes als den Autor, der das einflussreichste Buch zur Wirtschaftspolitik im 20. Jahrhundert geschrieben habe. Der schon in «The End of Laissez-Faire» aufgestellten Forderung, dass der Staat Verantwortung für Beschäftigung und Prosperität trage, verhalf Keynes mit der «General Theory» zum Durchbruch. Dem Staat mass er indes immer nur subsidiäre Funktionen zu: «Es ist nicht wichtig für den Staat, dass er die gleichen Dinge etwas besser oder etwas schlechter ausführt, sondern dass er die Dinge tut, die heute überhaupt nicht getan werden.»
Wenn ihn seine Gegner als verkappten Sozialisten bezeichneten, so hatten sie sowohl seine Theorie missverstanden als auch überlesen, was er mehrfach über die Stärken des Kapitalismus sagte, etwa: «Ich für meinen Teil bin der Ansicht, dass ein klug geleiteter Kapitalismus die wirtschaftlichen Aufgaben wahrscheinlich besser erfüllen kann als irgendein anderes vorläufig in Sicht befindliches System, dass man aber gegen den Kapitalismus an sich viele Einwände erheben kann.» Einer dieser Einwände betrifft etwa die extrem grossen Ungleichheiten bei Einkommen und Vermögen, die sich gerade im Zeitalter des Neoliberalismus noch verschärft haben. Den Linken, die ihn für sich vereinnahmen wollten, erteilte er aber eine Absage.
In einem allfälligen Klassenkampf, sagte Keynes einmal, stehe er «auf Seiten des gebildeten Bürgertums».
Wichtigste Werke
«The End of Laissez-Faire»
1926, mitten in den goldenen zwanziger Jahren, die nach der Überwindung der Inflation von überschäumendem Optimismus geprägt waren, veröffentlichte Keynes sein Buch, in dem er sich kritisch über das kapitalistische System äusserte. Zwar könne der Kapitalismus, sofern er weise praktiziert werde, effizienter als jedes andere System ökonomische Ziele erreichen, aber als System sei er in vielerlei Hinsicht verwerflich, meinte er. (Prometheus Books, 2004.)
«Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes»
Mit seinem 1936 veröffentlichten Hauptwerk leitete Keynes in der Ökonomie einen Paradigmenwechsel ein, der ab Ende des Zweiten Weltkriegs wirksam wurde und 30 Jahre lang die Wirtschaft prägte. Er kehrte die traditionelle Angebotstheorie auf den Kopf und begründete, wieso die Nachfrage nach Gütern die relevante Grösse für den Verlauf der Konjunktur ist. (Duncker und Humblot, 2002.)
Literatur zu Keynes
Gerhard Willke: John Maynard Keynes. Campus Einführungen, Frankfurt 2002, 184 Seiten.
Robert Skidelsky: John Maynard Keynes. A Biography. Macmillan, London 1983–2000. 3 Bände, rund 1800 Seiten, auch als Taschenbuch erhältlich.
Milton Friedman: John Maynard Keynes: Eine kritische Würdigung. Verlag Wirtschaft und Finanzen, Düsseldorf 1989, 156 Seiten.
Antoinette Gall: John Maynard Keynes. Leben – Werk – Epoche. Ibidem Verlag, Stuttgart 2002, 161 Seiten.
In der nächsten Ausgabe:
Friedrich A. von Hayek, wichtigster Vertreter der österreichischen Schule der Nationalökonomie und Verfechter des freien Marktes.