Seine Beliebtheit ist bereits minim. An der Generalversammlung wird der CEO des Unternehmens seinen unpopulären Standpunkt vertreten müssen. Damit sinkt seine Reputation beim Verwaltungsrat, bei den Aktionären und bei den Angestellten ins Bodenlose. Das weiss der CEO – kein abgebrühter Bursche wie allgemein angenommen. Und er fühlt sich nicht wohl.
Dieses Beispiel ist aus der Schweizer Wirklichkeit gegriffen. Es ist Beweis dafür, dass das subjektive Gefühl der Unsicherheit zunehmend Wirtschaftsführer in diesem Land befällt. Davon profitieren die Personenschützer, Vertreter einer Branche, die Sicherheit zelebriert.
Seit dem CEO verschiedene Telefonanrufer mit Angriffen gedroht haben, ist für ihn entschieden: An der Generalversammlung wird er sich schützen lassen. Bodyguards müssen her. Grosse, breitschultrige Männer mit Knopf im Ohr. Kerle in dunklen Anzügen, auf deren Stoff sich die Schusswaffe abzeichnet.
Doch halt, sagt der Personenschützer, den der firmeneigene Sicherheitsbeauftragte zugezogen hat. Der private Experte sitzt in der Vorbesprechung und fragt: Was will der Kunde, diskreten Schutz oder prestigeträchtige Show? Muss er zeigen, dass er Angst hat, oder will er Stärke demonstrieren?
So verschieden die Möglichkeiten des Personenschutzes sind, so unterschiedlich präsentiert sich die Branche als Ganzes. Ihre Akteure selber sind sich nicht einig: Eine der wenigen privaten Schweizer Bodyguard-Schulen etwa, Elite Guard in Hünenberg, bildet zukünftige Sicherheitsbegleiter unter anderem in Selbstverteidigung aus – ein Besuch dort ist eindrücklich – und übt in einer Abschlussprüfung schon mal die Abwehr eines Entführungskommandos. Anderswo schwört man auf Psychologie und bezichtigt den Konkurrenten aus dem Zugerischen der Verfälschung des Berufsbildes.
Bodyguards begleiten heute Wirtschaftsgrössen zum Skilaufen, in die Ferien oder an Sitzungen, in denen Kündigungen anstehen. Bemerkt werden die in Worst-Case-Szenarien Denkenden selten – und machen deshalb ihre Arbeit gut. Es zeichnet sie aus, dass in ihrem Alltag öfters rein gar nichts geschieht. Manchmal muss der Bodyguard eine fliegende Torte auffangen, meist hat er nur stumm neben einem Kunden zu stehen, zum Beispiel neben einem Bundesrat, der eine Rede in einem Fotomuseum hält. Das alles verspricht wenig Adrenalinausstoss. Schon eher droht ein Zuckersturz, weil es vorkommen kann, dass der Wächter zwölf Stunden lang nicht zum Essen kommt, während der Beschützte ausgiebig diniert.
Der Beruf des Personenschützers hält ein Missverständnis nach dem anderen parat. Dazu passt, dass gesicherte Marktdaten fehlen. Zu speziell ist der Beruf des Bodyguards im weiten Geschäftsfeld Sicherheit.
Unterschiedliche Geschäftsverläufe
Wie also soll der Personenschützer an der Generalversammlung auftreten? «Wirtschaftsvertreter wollen in der Regel nicht auffallen. Ihre Bodyguards sind meistens nicht leicht erkennbar. Showstars jedoch wollen das Gegenteil: Ihre Beschützer sind dominant und gross.» Das sagt einer der wenigen privaten professionellen Ausbildner von Leibwächtern in der Schweiz, der anonym bleiben möchte. Er ist 21 Jahre im Geschäft. Sportlich, trainiert, aber nicht muskulös. 1,75 Meter gross, 75 Kilogramm schwer.
Der Mann leitet für die Schweizer Branchenleaderin im Sicherheitswesen, die Securitas, Aus- und Weiterbildungen. Er sagt: «Das Rambo-Bild der Personenschützer ist falsch. Die Kunden aus der Wirtschaft wollen nicht 100 Kilogramm schwere Athleten. Sie möchten vor allem Beratung.» Für nächstes Jahr ist die Agenda des Ausbildners beinahe voll, nur noch zwanzig Tage sind unbelegt.
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Nach 9/11, im Zeitalter des Terrors, ist Sicherheit Mangelware. Bomben in Istanbul, Anschläge am Feriendomizil. Nach dem 11. September 2001 haben etliche Grossunternehmen sofort ihre Sicherheitsbestimmungen neu geschrieben. Leib und Leben gilt es zu schützen. Flugreisen wurden panisch gestrichen und vermehrt Videokonferenzen eingerichtet.
Selbst in der Schweiz, die in der internationalen Wirtschaftsgemeinschaft als komfortabel ruhig gilt, hat sich die subjektive Wahrnehmung verändert: Eine regelmässig erstellte Univox-Umfrage erklärt, dass sich die Schweizer heute weniger sicher fühlen als noch vor fünf Jahren.
Ausserdem lässt sich eine Tendenz erkennen, dass sich Bund, Kantone und Gemeinden immer mehr von teuren Sicherheitsaufgaben zurückziehen. Sie lagern aus und überlassen das Feld den privaten Anbietern. Heime für Asylbewerber werden durch Private bewacht. Bei öffentlichen Grossveranstaltungen, etwa Fussballspielen, sind kommerzielle Sicherheitsfirmen gefragt. Fühlt sich ein CEO lediglich in seiner subjektiven Wahrnehmung bedroht, darf die Polizei ihn der Vorschriften wegen nicht beschützen. Und wo die Polizei nicht kann, kommen die Privaten zum Einsatz: Securitas, Protectas, Delta und Co.
Die Margen im Business sind hoch
Dieses Jahr dürften die Sicherheitsfirmen Geschäfte wie nie zuvor machen. Für Unternehmen, die Personenschutz anbieten, sind hohe Margen möglich: Den Endkunden kostet der einzelne Bodyguard durchschnittlich 1500 Franken pro Tag – Stundenansätze von 150 Franken sind keine Seltenheit. Der Bodyguard selber darf mit einem Stundenlohn von 30 bis 35 Franken rechnen. Kommt hinzu, dass Personenschützer selten alleine im Einsatz stehen. Im Hochrisikobereich steigen die Tagespauschalen schnell auf 1800 Franken an. Ein wunderbares Geschäft für die Sicherheitsfirmen.
Könnte man meinen. Denn nicht alle der befragten Unternehmen wollen etwas von einem Boom wissen. Bei der Marktführerin Securitas beispielsweise ist man vorsichtig beim Deuten der aktuellen Zahlen. Um die 330 Millionen Franken Umsatz dürfte die Firma dieses Jahr generieren. «Nur maximal zwei Prozent dieses Gesamtumsatzes entfallen jedoch auf den Bereich Personen- und Begleitschutz», sagt Generalsekretär Reto Casutt. Auf jenes Feld also, wo die klassischen Bodyguards im Einsatz sind. Gerade mal zwanzig ausgebildete Personenschützer hat das international tätige, diskrete Unternehmen auf seiner Lohnliste. Viel mehr als 6,5 Millionen Franken verdient Securitas dieses Jahr mit dem Personenschutz nicht. Verglichen mit dem Vorjahr, bedeutet dies keine Veränderung.
Ähnliches weiss Fabian Kurzawa zu berichten. Der Bayer ist Inhaber einer eigenen Sicherheitsfirma in Baar bei Zug. Seine PSA beschäftigt 44 Mitarbeiter, davon momentan vier in Vollzeitanstellung. Das Unternehmen gehört zu den rund 1200 kleinen Anbietern in der unübersichtlichen Schweizer Sicherheitsbranche. Kurzawa macht pro Jahr rund eine halbe Million Umsatz, einen grossen Teil davon mit Objektüberwachung und nicht mit klassischem Personenschutz. Seine Leute verdingen sich in ihrer restlichen Zeit als Sicherheitspersonal in Kasinos.
Aufträge wie neulich für die Mentor-Stiftung sind zwar attraktiv, aber leider selten: Im Zürcher Opernhaus beschützten zehn Mann aus Kurzawas Team die schwedische Königin, deren Tochter sowie 350 namhafte Gäste aus der europäischen Wirtschaft. Sie taten dies in einer konzertierten Aktion zusammen mit schwedischen Sicherheitskräften und der Sondereinheit Diamant der Zürcher Kantonspolizei. Musikmillionär Phil Collins oder Unternehmer wie H&M-Eigentümer Stefan Persson und Modeunternehmer Nino Cerruti fühlten sich sicher. Wer ohne Einladung zum feinen Galadiner auf die Bühne vordringen wollte, den wiesen Kurzawas Mannen diskret, aber bestimmt ab.
«Unmittelbar nach dem 11. September 2001 stiegen die Sicherheitsanforderungen der Firmen», sagt Fabian Kurzawa. «Auch das Attentat auf den Zuger Kantonsrat liess viele in und um Zug nochmals aufmerksam werden. Doch schon nach einem halben Jahr haben dieselben Firmen und dieselben Leute ihre erhöhte Wachsamkeit wieder zurückgenommen.» Der Schutzexperte formuliert es prägnant: «Wer von einem Boom spricht, hat keine Ahnung.»
Anders tönt es bei der Delta Security in Weinfelden, nach BILANZ-Schätzungen hinter Securitas und Protectas die Nummer drei im Geschäft mit reinem Personenschutz in der Schweiz. Delta hat unter anderem laufende Verträge mit dem Grasshopper-Club Zürich für dessen Fussballspiele und mit der Konzertveranstalterin Good News. Die Firma bewacht oft die Stars aus dem Showbiz, bringt sie vom Flieger ins Hotel oder zum Konzertort und danach wieder zurück. Delta hat beispielsweise die Rolling Stones abgeschirmt, die dieses Jahr im Letzigrund-Stadion aufspielten.
Qualität und Netzwerk entscheiden
Christian Schöttli, als Personalchef Mitglied der Geschäftsleitung bei Delta, sagt, dass die Nachfrage für Personen- und Begleitschutz enorm gewachsen sei: «Wir sehen einem sehr guten Geschäftsergebnis entgegen.» Das Unternehmen, das 300 (Teilzeit-)Angestellte zählt, geht mit Umsatz- und Gewinnzahlen äusserst diskret um. Immerhin so viel berichtet Christian Schöttli: «Unser Wachstum wird dieses Jahr in zweistelliger Prozenthöhe liegen. Wir bewegen uns erfreulicherweise definitiv in einem Wachstumsmarkt.»
Nicht alleine der Geschäftsgang innerhalb der Branche variiert beträchtlich, auch die Qualitätsunterschiede der Angebote sind augenfällig. Bekannt ist beispielsweise der Fall eines Schweizer «Bodyguards», der sich in einem berüchtigten Camp in Israel hatte ausbilden lassen, später in der Schweiz im Einsatz mit einem Kunden einen Autounfall baute – und der verblüfften Polizei eine Plastikpistole präsentierte. Sein Kunde wird sich nicht so gut beschützt gefühlt haben. Oft gesehen sind auch die muskulär Übergewichtigen, die in Eigenregie arbeiten und an Wochenenden die gut und gern 1000 Türen der diversen In-Lokale im Land bewachen.
Mit ihnen wollen die führenden Personenschutzfirmen nichts zu tun haben. Deren Problem aber ist, dass «Personenschützer» keine geschützte Berufsbe-zeichnung ist. Ausserdem ist der Aus- bildungsweg mehr als verschlungen. Offizielle staatliche Schulen gibt es nicht. Dementsprechend bunt sind die Corps der Firmen. Dort arbeiten ehemalige Grenzwächter, Grenadiere und Staatsschützer aus Frankreich, Deutschland und den Niederlanden. Andernorts treffen ehemalige Bodyguards des einstigen französischen Staatspräsidenten François Mitterrand auf Fremdenlegionäre, Landwirte auf Spengler und Studenten.
Kürzlich hat der Verband Schweizerischer Sicherheitsdienstleistungs-Unternehmen (VSSU) den Versuch begonnen, diesem Wildwuchs einen Riegel vorzuschieben. Im Herbst haben die ersten vier Absolventen eines Kurses in Bern den eidgenössisch anerkannten Fachausweis für Sicherheit und Bewachung entgegennehmen dürfen. VSSU-Geschäftsführer Wolfram Manner sagt: «Bisher hat der Kunde Qualität nur schlecht bewerten können. Mit der Ausbildung von privaten Sicherheitsdienstleistern wollen wir einen Qualitätsstandard setzen.»
Doch schon wird Kritik laut. Sehr theorielastig sei die Schule des VSSU, befindet Cosmas Mutter von Elite Guard, dem die Konkurrenz wiederum eine zu grosse Praxisorientierung vorwirft.
Christian Schöttli von der Delta bringt die wichtigsten Unterschied zwischen den Sicherheitsanbietern auf den Punkt: «Nur wer dank qualitativ hoch stehender, seriöser Leistung einen überregional hohen Bekanntheistgrad erarbeitet hat, erhält die Chance, Wirtschaftsführer zu bewachen.»
Securitas, Protectas und Delta dienen dafür als Beweis: Sie spielen ihre Markt- und Markenmacht voll aus. Und das macht Sinn. Der CEO, der sich unsicher fühlt und einen Schutz für die Generalversammlung will, holt sich das Vier-Personen-Team von einer Firma, die sein Sicherheitsbeauftragter bereits kennt und der er vertraut. Verständlich, denn kein Chief Executive Officer will am Ende von angeheuerten Soldaten mit Torten beworfen werden.