Siemens-Chef Joe Kaeser spaltet den deutschen Industriekonzern auf. Das Geschäft mit der Energiebranche soll abgespalten und im kommenden Jahr eigenständig an der Börse gelistet werden, wie Siemens am Dienstagabend mitteilte. Damit trennt sich der Konzern von rund einem Drittel seines Umsatzes und knapp einem Viertel seiner 380’000 Mitarbeiter zählenden Belegschaft.

«Wir zerschlagen nichts, wir sorgen für neue Perspektiven», sagte Kaeser in einer Telefonkonferenz. Er will den Konzern ganz auf Technologie ausrichten: Kerngeschäft seien künftig die Automatisierung von Fabriken (Digital Industries) und die Vernetzung von Gebäuden, Städten und Ländern (Smart Infrastructure). In den beiden Bereichen und in der Verwaltung sollen aber zunächst rund 10’000 Stellen gestrichen werden.

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Geringe Auswirkungen auf die Schweiz

Betroffen von den Veränderungen seien fast 20 Standorte in Deutschland mit zusammen deutlich über 20'000 Beschäftigten, erklärte die Gewerkschaft IG Metall.

Die Restrukturierung hat auch Auswirkungen auf die Schweiz. Das Energiegeschäft in der Schweiz ist aber sehr klein. Es beschäftige rund 20 Mitarbeitende, erklärte Siemens-Schweiz-Sprecher Benno Estermann auf Anfrage der Nachrichtenagentur AWP.

Windkraft-Tochter wird ausgegliedert

Die Abspaltung der Sparte Gas & Power in eine eigenständige börsennotierte Gesellschaft ist der grösste Einschnitt, den der umtriebige Siemens-Chef vollzieht. Gesamtbetriebsratschefin Birgit Steinborn sprach von einer Zeitenwende, Kaeser sagte: «Das ist ein grosser Schritt, aber wir sind überzeugt, dass wir ihn jetzt gehen müssen.»

Auch die Beteiligung von 59 Prozent an der spanischen Windkraft-Tochter Siemens Gamesa soll an die ausgegliederte Firma abgegeben werden, die damit auf 27 Milliarden Euro Umsatz und 88’000 Mitarbeiter kommt.

Nach dem Abbau von 6000 Stellen im schrumpfenden Geschäft mit Gas- und Dampfturbinen für konventionelle Kraftwerke steht erst einmal ein weiterer Stellenabbau an. Je ein Drittel des Umsatzes entfallen bisher auf die konventionelle Stromerzeugung und auf erneuerbare Energien, ein Fünftel auf Hochspannungsnetze.

Gewerkschaften sind mit an Bord

Die Arbeitnehmervertreter tragen die Abspaltungspläne mit. «Es entsteht ein Unternehmen, das trotz mancher Unwägbarkeiten insgesamt die besseren Perspektiven für die Beschäftigten bietet», sagte IG-Metall-Hauptkassierer Jürgen Kerner, der auch im Siemens-Aufsichtsrat sitzt.

Steinborn sagte, bei Siemens habe der Energie-Bereich keine Zukunft. «Damit würde der Bereich sprichwörtlich verhungern.» Gegen einen Verkauf der Kraftwerks-Sparte an die japanische Mitsubishi Hitachi hatten sich die Gewerkschafter gesperrt.

Die Siemens AG werde an der ausgegliederten, noch namenlosen Gesellschaft - intern unter dem Schlagwort «Siemens Power House» gehandelt - nach dem Gang an die Börse maximal noch 49 Prozent halten, sagte Finanzvorstand Ralf Thomas. Die restlichen Aktien verteilt Siemens an die eigenen Aktionäre.

Bei Osram ging Siemens ähnlich vor

Eine Sperrminorität von mehr als 25 Prozent wolle der Konzern aber auf Dauer halten. Nach dem gleichen Muster hatte Siemens auch die Lichttechnik-Tochter Osram an die Börse gebracht, die nun vor einer Übernahme durch Finanzinvestoren steht.

Angesichts ihrer Grösse und des grossen Streubesitzes könnte die neue Firma ebenfalls in den Leitindex Dax einziehen. Ihren Sitz soll sie in Deutschland haben, das hat die IG Metall dem Vorstand abgerungen. Bisher lenkt Siemens die Sparte aus dem texanischen Houston, Gamesa sitzt im spanischen Baskenland.

Während sich das Geschäft mit Öl- und Gasförderern gerade wieder erholt, muss sich Siemens im Kraftwerksgeschäft auf die Energiewende einstellen. Siemens Gamesa kämpft mit anhaltendem Preisdruck für Windräder. «Die Eigenständigkeit gibt uns jetzt mehr Freiheit und Flexibilität», sagte die Amerikanerin Lisa Davis, die im Siemens-Vorstand bisher für Gas & Power zuständig ist. Ob sie den neuen Konzern leiten wird, ist unklar. Ihr Vertrag läuft ein Jahr nach dem Börsengang aus.

Milliardeneinsparungen

«Wir fokussieren Siemens mit der 'Vision 2020+' und machen unsere Geschäfte schneller und flexibler», sagte Vorstandschef Joe Kaeser. Doch auch die beiden Aushängeschilder, die künftig den Kern von Siemens ausmachen sollen, müssen umgebaut werden. Bis zu 4900 Stellen stehen bei Digital Industries auf der Kippe, 3000 bei Smart Infrastructure.

In der zentralen Verwaltung will Kaeser rund 2500 jener 12’500 Stellen abbauen, die im Zuge der jüngsten Umstrukturierung nicht auf die Sparten verteilt worden. Gleichzeitig werde Siemens mehr als 20’000 neue Arbeitsplätze schaffen. Mit dem Abbau will Kaeser 2,2 Milliarden Euro bis 2023 einsparen, er kostet aber erst einmal eine Milliarde.

An den Zukunftssparten hält Siemens fest

Die verbleibenden, softwarelastigen Sparten versprechen weit höhere Renditen als der Bau von Kraftwerken oder Windrädern. 14 bis 18 Prozent peilt Kaeser langfristig an, wie er am Dienstag sagte. Zuletzt waren es 10,6 Prozent.

Im vergangenen Jahr hatte Kaeser bereits die Medizintechnik-Sparte Healthineers an die Börse gebracht und damit vier Milliarden Euro eingenommen, obwohl der Konzern weiter 85 Prozent der Anteile hält. Die geplante Fusion der Zug-Sparte Mobility mit dem französischen Rivalen Alstom war aber am Widerstand der EU-Wettbewerbshüter gescheitert. Über einen ‘Plan B’ für die Sparte will sich der Vorstandschef noch nicht den Kopf zerbrechen: «Wir haben erstklassige Optionen. Wir haben viel Zeit.» Zuletzt hielten sich Spekulationen, Mobility könne auch ohne Alstom an die Börse gehen.

(reuters/awp/mbü/gku)

 

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