Im wahrsten Sinne des Wortes haben Sie nun Sarna «Unter Dach und Fach». Sika kann nach der Übernahme der «Obwaldner» das Abdichtungsgeschäft mit Kunststoffbahnen massiv ausbauen. Was bringt Sarna Ihrer Sika neben 400 zusätzlichen Umsatzmillionen?
Walter Grüebler: Nun ist Sika in allen ihren Zielmärkten globaler Marktführer. Im Dach-Abdichtungsgeschäft war Sika bisher nur in Europa tätig, nun weltweit. Sarnafil und Sikaplan sind zwei sich ergänzende Produkte. Sika ist zudem in vielen Ländern mit eigenen Tochtergesellschaften etabliert, die Sarna überhaupt nicht bearbeitet oder nur über Drittfirmen.
Die Sarna-Sparte Sarnafil behält ihre Eigenständigkeit auch mit einem eigenen VR. Weshalb verzichtet Sika auf eine noch tiefer gehende Integration?
Grüebler: Das Dach-Abdichtungsgeschäft ist ein spezielles Geschäft. Es wurde auch bisher in der Sika als eigenständiges Profitcenter geführt. Das Managementteam der Sarna hat in der Vergangenheit bewiesen, dass es sein Geschäft ausgezeichnet versteht und erzielte mehr als den doppelten Umsatz als Sika im Dach-Abdichtungsgeschäft, das sich zudem nur auf Europa konzentrierte. Man sollte ein «Winning Team» möglichst im bestehenden Umfeld belassen. Wir wollen deshalb auch vom spezifischen Sarnafil-Know-how profitieren und werden im VR Sika-Sarna zwei der VR-Mitglieder der Sarna behalten.
Hat Sika bereits entschieden, wie die akquirierte Sparte neu heisst: Sarna-Sika, Sika-Sarna oder eventuell gar Sika-Sarnafil?
Grüebler: Sika-Sarna.
Auch Sarnafil ist ein rohmaterial-intensives Geschäft, dementsprechend stark tangiert von den Preiserhöhungen auf den internationalen Rohstoffmärkten. Wie wirken sich diese aus?
Grüebler: Die Bruttomarge ist in den letzten Monaten beträchtlich gesunken.
Im 1. Halbjahr 2005 verbesserte Sika das operative Ergebnis vor Abschreibungen den Ebitda nur unmerklich von 163,6 auf 165,3 Mio Fr. Konnte die Rohmaterialteuerung nicht auf die Kunden überwälzt werden?
Grüebler: Wir haben erst seit dem 3. Quartal 2005 Anzeichen, dass wir die Verteuerung des Rohmaterials in Form von Preiserhöhungen auf unseren Produkte weitergeben können. Preiserhöhungen lassen sich in unserem Geschäft erst mit einer Verzögerung von sechs bis neun Monaten realisieren. Allenfalls kann die Inflation abgesichert werden, aber nicht so ausserordentliche Steigerungen der Rohmaterialpreise wie dieses Jahr.
Darf man den Halbjahresabschluss mit einem um 25% verbesserten Reingewinn von 75,3 Mio Fr. und einem um 10,7% auf 1,37 Mrd Fr. gesteigerten Umsatz rechnerisch verdoppeln, um zum Jahresergebnis 2005 zu kommen?
Grüebler: Nicht ganz aber annähernd. Das Jahr ist noch nicht zu Ende und wir haben erhebliche Einmalkosten durch die Akquisition Sarna, die nicht budgetiert waren. Zudem wird sich das Dezember-Ergebnis der Sarna voraussichtlich in den Sika-Büchern niederschlagen. Der Dezember liefert normalerweise das schwächste Monatsergebnis.
Die Gewinnsteigerung ist dennoch eklatant: Was ist das Rezept?
Grüebler: Volumen bringt immer auch Kosteneffizienz, damit einhergehend ist eine Verbilligung der Herstellkosten. Das hat einen Teil der enorm gestiegenen Rohmaterialpreise kompensiert. Einen positiven Einfluss üben zusätzlich unsere neuen Produkte aus, diese sind ertragsstärker. Und letztlich hat die Währung diesmal zu unseren Gunsten gespielt.
Sie verzichten auf einen Hinweis auf die Leistungen des Managements.
Grüebler: Selbstverständlich hat das Management einen wichtigen Anteil am Erfolg. Prozesse wurden angepasst, verbessert und damit die erwähnte Effizienzsteigerungen erreicht.
Ist das 1. Halbjahr gewinnträchtiger als das 2. Semester?
Grüebler: Üblich fällt das 1. Halbjahr jeweils leicht stärker aus, in diesem Jahr hatten wir aber zwischen Januar und Juli die markanten Preissteigerungen beim Rohmaterial zu verdauen. Ausnahmsweise verläuft daher 2005 eher untypisch. Schrittweise können die Margen dank angepasster Verkaufspreise korrigiert werden.
Nochmals: Wie wird 2005?
Grüebler. Wir werden einen Jahresabschluss präsentieren können, mit dem wir und unsere Aktionäre zufrieden sein können.
Ein gutes Jahr?
Grüebler: Ja, aber wir sind unzufrieden, wenn es nur «gut» ausfällt. Unsere Messlatte liegt höher, wir verfolgen ehrgeizige Ziele.
Die da sind?
Grüebler: Beim Umsatz streben wir Wachstumsraten zwischen 8 bis 10% in den jeweiligen Landeswährungen an. Vor allem erwarten wir aber eine deutliche Verbesserung der Eigenkapital-Rendite von 13% im Jahre 2004.
Auch für 2005?
Grüebler: Beim Wachstum werden wir eher im Bereich der oberen Zielvorgabe oder sogar darüber liegen. Bei der Ebit-Marge erwarten wir eine weitere Verbesserung. Ebenso bei der Kapitalrendite.
Diese Prognose gilt sowohl für die Sparte Bau wie für die Industrie?
Grüebler: Ja.
Verdienen Sie aktuell nicht etwas besser in der Sparte Industrie?
Grüebler: Ja, weil die Preisanpassungen schneller durchgesetzt werden können. Die Umsatzrendite ist in der Industriesparte leicht höher als im Bereich Bau, bei der Kapitalrendite liefern beide Sparten etwa ähnliche Werte.
Sie haben mit Ihrem neuen CEO und Nachfolger, Ernst Bärtschi, die Strategie für die nächsten fünf Jahre überarbeitet. Sind markante Anpassungen nötig?
Grüebler: Nein, aber wir werden uns in Zukunft noch mehr fokussieren.
Auf was?
Grüebler: Auf unsere Kundengruppen. Deren Bedürfnisse kennen wir heute noch besser als früher. Wir wollen deshalb fokussiert wachsen. Wir haben unsere Kundengruppen neu strukturiert und von zehn auf sieben reduziert. In allen Geschäftsfeldern wollen oder belegen wir die Nummer-eins-Position. Wo wir bisher schwach waren und unsere Kundengruppen nicht vollumfänglich befriedigen konnten, haben wir nicht nur auf internes Wachstum gesetzt, sondern Firmen dazugekauft, wie eben jetzt Sarna.
Sieben Zielmärkte sind quantitativ viel. Müssen Sie nicht noch stärker Prioritäten setzen?
Grüebler: Das stimmt, wir können nicht alle Märkte gleichzeitig gleich stark bearbeiten. Deshalb haben wir Prioritäten festgelegt.
Wo?
Grüebler: Geografisch auf Asien und Osteuropa. Produktemässig auf die Klebstoffe Sikaflex und die Betonzusatzmittel SikaViscocrete.
Aber die Sika-Märkte sind regional, teils gar lokal.
Grüebler: Wir geben die Strategie als Gesamtpaket vor, daraus resultiert für die Regionalleitung die Aufgabe, diese Strategie zu differenzieren und regional umzusetzen. Wir wollen «Länderfürsten», nicht «Landsknechte». Man darf zudem nicht vergessen: Wir wollen mit 20% unserer Produkte 80% des Umsatzes erwirtschaften.
Wo bringt diese Fokussierung das raschere Wachstum?
Grüebler: Vom Potenzial her gesehen ist der Baumarkt um ein Mehrfaches grösser. Wir bewegen uns in einem Markt für Bauchemie von global rund 32 Mrd Fr., jener für den Fahrzeugbau kommt inklusive die verwandten Gebiete wie Schiffsbau usw. hingegen lediglich auf knapp 4 Mrd Fr. Er verspricht aber, dank Substitution bisheriger Werkstoffe, einen zusätzlichen Wachstumsimpuls.
Die vier weltweit grössten Anbieter von Bauchemie, zu denen Sika gehört, kommen auf einen Marktanteil von unter 30%. Auch hier eröffnen sich doch Chancen?
Grüebler: Diese wollen wir über den Gewinn von Marktanteilen nutzen, primär mit Innovationen und Serviceleistungen.
Wie jetzt mit der Akquisition von Sarna. Wo investiert Sika in nächster Zeit stärker in der Sparte Bau oder in der Industrie?
Grüebler: Wir wollen auf beiden Schienen jährlich mehr als 8% wachsen enthaltend jeweils 1 bis 2%, die aus Akquisitionen stammen.
Das schloss bisher Grossakquisitionen aus.
Grüebler: Sarna ist in diesem Sinne eine Ausnahme, ja.
In den letzten vier Jahren hat Sika mit 4% Investitionen 15% Volumen-Wachstum generiert. Läutet Sarna jetzt eine neue Ära ein?
Grüebler: Wir haben immer darauf hingewiesen, dass wir dank unserer Liquidität grössere Akquisitionen tätigen könnten wenn diese zu einem vertretbaren Preis zu erwerben sind und in unser Portefeuille passen. Es ist alles andere als leicht, derartige Kandidaten zu finden, die eine Win-Win-Situation sowohl für den Verkäufer wie den Käufer bringen.
Sarna war für Sie ein Wunschkandidat?
Grüebler: Ja, der nun in den nächsten ein, zwei Jahren integriert und konsolidiert werden muss. Das benötigt Zeit und Human Resources. Wir würden wahrscheinlich an die personellen Limiten gehen, wenn wir relativ rasch wieder eine solch grosse Akquisition tätigen würden.
Das widerspricht Ihrer Strategie. Sie streben konsequent die Nummer-eins-Rolle an. Was, wenn sich Möglichkeiten zur Abrundung dieser Position offerieren?
Grüebler: Der Baumarkt konsolidiert sich, da stehen plötzlich zwangsläufig Anbieter zum Kauf. Da wollen wir mitmachen, deshalb schliesse ich weitere Übernahmen nicht kategorisch aus. Nur nebenbei: Es gibt auch Kreise, die würden liebend gerne Sika übernehmen. Dank unserem Mehrheitsaktionär sind wir glücklicherweise kein Spielball.
Steckt eine weitere Akquisition in der Sika-Pipeline?
Grüebler: Die Prüfung von Kandidaten gehört zum Alltagsgeschäft.
Sika ist grundsätzlich kein kapitalintensives Unternehmen. Was bedeutet dies für die Investitionen?
Grüebler: Wir müssen primär in jenen funktionalen Märkten investieren, in denen wir Wachstum erwarten. Geografisch heisst dies in Asien und in Osteuropa, inklusive Russland.
Sie sind Skeptiker, was den wirtschaftlichen Aufschwung Europas betrifft. Sie meinen, in den OECD-Ländern werde die konjunkturelle Erholung «herbeigeschnorrt». Weshalb Ihre Befürchtungen?
Grüebler: Ich fühle mich bestätigt in meiner Beurteilung und Skepsis. Die Musik spielt ausserhalb des OECD-Raumes, in Asien, in Osteuropa und in Südamerika.
Verpasst Europa den Zug, der offenbar auf anderen Kontinenten wesentlich mehr Fahrt aufnimmt?
Grüebler: Nehmen wir Deutschland als Beispiel. Von der grossen Koalition erwarte ich keine grossen Änderungen, gerade dieses Deutschland aber sollte die Lokomotive für die europäische Wirtschaft spielen.
Welche Folgen hat dieses Zurückbleiben Europas für Sika?
Grüebler: In unserer Strategie sehen wir die Wachstumsschwerpunkte in Osteuropa, in Asien und in Südamerika. In diesen Räumen haben wir in den 90er Jahren und zu Beginn dieses Jahrhunderts entscheidende Vorleistungen erbracht. Diese Positionen wollen wir festigen das wird sich auszahlen.
Der Macher: Steckbrief
Name: Walter Grüebler
Geboren: 19. Mai 1942
Wohnort: Risch ZG
Zivilstand: Verheiratet
Ausbildung: Dr. oec. Hochschule St. Gallen
Karriere
1968-1974: Hayek Engineering AG, Zürich; Projektleiter/Geschäftsleitungsmitglied
1974-1990: Airex AG, Sins (Lonza-Tochter); Geschäftsführer
1990-1999: Algroup Alusuisse, Zürich; Leiter Geschäftsbereiche Composites sowie Road & Rail
1999-2005: CEO Sika AG, Baar
Seit Frühjahr 2005: VR-Präsident Sika Holding, Baar
Sika
Letzter Kurs: Fr. 915
Fazit
Die Übernahme der Sarna kann finanziell gut verdaut werden, der Appetit auf weitere Akquisitionen vergeht nicht. Seit Januar 2005 hat die Sika-Aktie um über 35% zugelegt; dieses hohe Tempo wird allerdings kaum länger beibehalten werden können.