Um aus einem Durchschnitts-PC eine ausgewachsene Stereoanlage zu machen, braucht es neben zwei kleinen Boxen eigentlich nur eine Soundkarte, welche die digital gespeicherte Information auf der CD in analoge Signale konvertiert. Dieses einfache Prinzip des mikroelektronischen «Wandlers» funktioniert aber auch in der Gegenrichtung: wenn es darum geht, sensorgenerierte analoge Signale in digitale zu überführen, sie zu speichern und auszuwerten. So wird aus einem einfachen PC ein hochwertiges Aufzeichnungs- und Messgerät. Die Genfer Acqiris nutzt genau dieses Prinzip für die Aufzeichnung elektrischer Ströme. Die welsche Firma um Mitgründer Viktor Hungerbühler hat praktisch sämtliche Funktionalitäten der herkömmlichen Aufzeichnungsgeräte, der sogenannten Oszilloskope, auf eine handflächengrosse Chipkarte gebannt.
Eingesetzt wird diese Karte etwa zur Qualitätssicherung im Produktionsprozess. Statt ein koffergrosses Oszilloskop von Testobjekt zu Testobjekt zu schleppen, braucht man nur den nächsten Steuerungs-PC mit Sensoren auszurüsten, die Acqiris-Karte einzuschieben, und schon stehen die gewünschten Daten zur Verfügung.
«In den meisten Fällen leistet unser Produkt genausoviel wie ein Oszilloskop, braucht aber kaum Platz und ist etwa dreimal günstiger», erläutert Hungerbühler die Vorteile seiner Innovation, in welche die Acqiris, ein Spin-off des amerikanischen Messgeräteherstellers LeCroy, unterdessen gut vier Millionen Franken investiert hat. Geld, mit dem unter anderem das eigentliche Herzstück der Acqiris-Karte, der anwendungsspezifische Mikrochip, der sogenannte ASIC, entwickelt wurde. Entwicklungspartner dabei war die in Brügg bei Biel ansässige Sulzer Microelectronics (SM), eine der wenigen Schweizer ASIC-Anbieter von Weltniveau. Für den gelernten Elementarteilephysiker Hungerbühler ist klar, dass er den SM-Leuten, die er noch aus seiner Zeit bei LeCroy gekannt hat, viel verdankt: «Mit unserer ausfeilten Chip-Architektur sind wir heute doppelt so schnell und erst noch günstiger als die Konkurrenz.» Ausserdem braucht die Acqiris-Karte nur halb soviel Strom wie vergleichbare Produkte und bietet so auch Möglichkeiten für eine weitere Miniaturisierung.
Wie gross die wirtschaftlichen Chancen der Mikroelektronik sind, hat auch die Obwaldner Firma Leister erfahren. Die Kägiswiler Heissluftspezialisten haben einen ASIC entwickelt, der ihnen ursprünglich nur helfen sollte, neuen europäischen Standards zu genügen. Doch der ASIC hatte unvermutetes Potential: Das Kunststoff-Schweissgerät Triac konnte wesentlich verbessert werden, und weil der ASIC auch in den neuen Weldy-Heissluftgeräten zum Einsatz kam, mussten die ersten Prognosen bezüglich der benötigten Chips erheblich nach oben korrigiert werden. «Dabei», so Projektleiter Tobias Gerber, «haben wir alles Know-how in der Firma behalten, und jetzt sind wir daran, die Entwicklung und Fertigung von Mikrotechnologien als eigenen Geschäftszweig aufzubauen.» Die Pilotserie eines Silizium-Flow-Sensors liegt vor.
Um den Einstieg in die Mikrosystemtechnik definitiv zu schaffen, dessen ist man sich bei der Leister bewusst, sind noch grosse Investitionen nötig. Und diese Investitionen, die laut Gerber stets «Risikocharakter» tragen, können sich meist nur grössere Firmen leisten. Zumal viel Know-how aufgeholt werden muss, denn in der Mikrosystemtechnik wird aufgrund von dessen günstigen mechanischen Eigenschaften häufig mit Silizium gearbeitet, und da weisen Halbleitergiganten wie IBM, Siemens oder Motorola einen natürlichen Vorsprung auf. Da wundert es nicht, dass viele Mikrotechnologiebetriebe aus den Entwicklungsabteilungen von Grossfirmen hervorgehen; zum Beispiel, weil sich das Mutterhaus umorientiert und Abteilungen, die nicht zum «core business» gehören, aufgibt.
Ein typisches Beispiel dafür ist die Sensoptic aus Losone bei Locarno. Die beiden Gründer Andreas Braunschweiler und Axel Bertholds haben bis vor anderthalb Jahren für den Tessiner Werkzeugmaschinenbauer Agie berührungslose optische Sensoren entwickelt - bis die Agie mit der Genfer Charmilles fusioniert wurde, an den Georg-Fischer-Konzern kam und der Sensorbereich abgebaut werden sollte. Da entschlossen sich Braunschweiler und Bertholds zur Selbständigkeit. Seither versuchen sie - unterstützt von der Initiative KTI Start-up - ihr Know-how auch ausserhalb der angestammten Branche zu vermarkten. Sieben Mitarbeiter beschäftigen die Tessiner mittlerweile, sie haben schon knapp 3000 Sensoren verkauft und wollen den Umsatz jährlich um 100 Prozent in die Höhe schrauben. Wobei das Erfolgsgeheimnis in den eigenen Produktionskapazitäten besteht: Während andere Firmen nur entwickeln, baut die Sensoptic ihre millimetergrossen künstlichen Augen auch selbst zusammen. Ausgeliefert wird schliesslich eine fertige Kleinserie, die von der Sensoptic auch installiert wird.
Viele Unternehmen, die standardisierte Mikrosensoren einkaufen, können die Winzlinge nicht selbst installieren und sind deshalb auf Partner wie die St. Galler Vosch Electronic angewiesen. Der Betrieb von Rolf Scheuermann und Hansruedi Voser stellt im Kundenauftrag mikroelektronische Steuerungen für Maschinen und Geräte zusammen. «Immer mehr Firmen ziehen sich aus der Elektronik zurück und geben sie ausser Haus», erklärt Scheuermann diese Entwicklung. Und er kennt auch den Grund: «Die Systeme werden immer kleiner, und ihre Montage erfordert immer mehr Know-how und Kapital.» So investiert die Vosch mit ihren 37 Mitarbeitern durchschnittlich eine viertel Million Franken pro Jahr allein in den Maschinenpark.
Scheuermann und Voser feiern heuer das 25-Jahr-Firmenjubiläum. Sie sind gleich zum Beginn der Chip-Revolution eingestiegen und haben davon profitiert, dass sie immer zu den Pionieren gehört haben. Ein Vorteil, der nun auch die Schlieremer Zühlke nutzen will, und zwar im Bereich der Mikrosystemtechnik. Das Zürcher Engineering- und Software-Haus investiert seit rund einem Jahr viel Geld und Energie in den Ausbau seines Know-hows. Drei Leute arbeiten beim Systemhaus mittlerweile ausschliesslich in der Mikrosystemtechnik. Ihr Chef, Victor Jaecklin, ist überzeugt, dass sich die Anstrengungen auszahlen werden: «Die Nachfrage nach mikrotechnischen Systemen seitens der Industrie, vor allem der Pharmaindustrie, ist enorm.»
Am Beispiel der Pharmaindustrie lässt sich besonders gut aufzeigen, worin der Nutzen derartiger Systeme liegt. Als mechanisches System auf einem elektronischen Chip nimmt das System via Sensor auf, was geschieht, errechnet aufgrund der registrierten Daten, was zu geschehen hat, und ein Aktor führt im Zusammenspiel mit passiven Elementen - Düsen, Zahnrädern und anderen Kleinstteilen - die befohlene Tätigkeit aus. In der pharmazeutischen Wirkstofforschung können solche Systeme ganze Labors überflüssig machen. «Im Moment sind wir die einzigen, die in der Schweiz eine solche Dienstleistung anbieten», sagt Jaecklin, und betont zugleich, dass sich seine Firma als reiner Systemintegrator versteht. «Wir kaufen die Mikrobestandteile auf dem Weltmarkt ein und fügen sie auf Kundenwunsch zusammen.»
Nicht als Kunde für die Zühlke in Frage gekommen wäre deshalb die Zürcher Prionics, die daran ist, einen revolutionären BSE-Bluttest zu entwickeln und diesen nun auch auf einen optischen Chip bringen will. Der Grund: Beim benötigten optischen Chip - einem lichtdurchlässigen Kunststoffplättchen mit einer ganz bestimmten atomaren Struktur - handelt es sich nicht um ein Commodity-Produkt, sondern um eine Neuentwicklung, welche die Prionics-Gründer Bruno Oesch und Markus Moser zusammen mit den Forschern vom Centre Suisse d’Electronique et de Microtechnique (CSEM) aufgegleist haben.
Das Prinzip des nun angepeilten Biochips ist im Grunde genommen relativ einfach: Auf die lichtdurchlässige Grundplatte wird eine Schicht von Antikörpern aufgetragen, die sich verändert, wenn sich die einzelnen Antikörper mit den eventuell vorhandenen BSE-Prionen binden. Und der Clou dabei: Anhand der Lichtbrechung der allenfalls veränderten Antikörperschicht kann der Tester in Echtzeit erkennen, ob das getestete Blut von einer kranken oder einer gesunden Kuh stammt.
Sollte das Joint Venture zwischen Prionics und CSEM halten, was sich die Beteiligten davon versprechen, steht der BSE-Überwachung eine Revolution ins Haus. Und damit noch lange nicht genug. Moser und Oesch, beide Schüler des weltberühmten Molekularbiologen Charles Weissmann, denken bereits weiter. «Wenn sich unser Biochip mit einem BSE-Bluttest durchsetzt, verfügen wir über eine Plattform, mit der sich auch Aids- und andere Tests in Jetztzeit durchführen lassen.» Dass eine solche Innovation vom Markt euphorisch aufgenommen würde, liegt auf der Hand: Momentan schlägt ein Aidstest mit einigen hundert Franken zu Buche, während der Einweg-Biochip der Prionics dereinst nur wenige Rappen kosten dürfte.
Die Überschneidung verschiedenster Fachgebiete ist charakteristisch für die Mikrosystemtechnologie, in der auch die Unterschiede zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung zusehends verschwinden. Ein Umstand, der die Kosten für erfolgversprechende Anwendungen weiter in die Höhe treibt. Doch anderseits dürfte sich mit einem entsprechenden Know-how schon bald viel Geld verdienen lassen. Eine EU-Studie geht beispielsweise davon aus, dass der Markt für Mikrosysteme bereits in zwei Jahren rund 80 Milliarden Franken schwer sein wird.
Dass in diesem Zukunftsmarkt auch Schweizer Firmen eine Rolle spielen sollen, ist ein erklärtes Ziel der Schweizer Innovationspolitik. Das Schwerpunktprogramm Mikro- und Nanostrukturen (MINAST) des ETH-Rates, welches in der Industrie schon mehrere 100 Millionen Franken bewegt hat, läuft zwar dieses Jahr aus, soll aber im Projekt Top Nano 21 einen Nachfolger finden. Finanziert wird Top Nano 21 unter anderem von der Kommission für Technologie und Innovation (KTI), was wiederum für die nötige Praxisnähe sorgen wird.
Heinrich Rohrer, Erfinder des Rastertunnelmikroskopes und Nobelpreisträger, ist überzeugt, dass namentlich die Nanotechnologie in naher Zukunft zu einer respektierten Hochtechnologie aufsteigen wird; zu einer Technologie, die vor allem deshalb interessant ist, weil die Gesetze der Alltagsmechanik im Nanobereich nicht mehr gelten. Dort zeitigen atomare Kräfte ungeahnte Effekte. So etwas stimuliert die Phantasie der Ingenieure, und diese denken schon heute weit in die Zukunft. So sind beispielsweise Roboter denkbar, die nur einige Nanometer (ein Nanometer gleich ein Millionstel Millimeter) gross sind und die sich den Wänden von Blutbahnen entlangarbeiten, um verkalkte Arterien zu reinigen.
Momentan allerdings beschränken sich die industriellen Anwendungen der Nanotechnologie noch auf die Oberflächenbearbeitung, etwa bei der Beschichtung von optischen Datenspeichern. Eine Firma, die in diesem Bereich einen hervorragenden Ruf besitzt, ist die Aargauer AWM-Gruppe . Der Betrieb entwickelt und produziert Kunststoff-Spritzgusswerkzeuge mit Nanometer-Toleranzen, die das Herzstück von CD-Produktionsmaschinen bilden. Joseph Krummenacher, Geschäftsführer der AWM, ist überzeugt, dass die Nanotechnologie zu einem Kerngeschäft der AWM wird. Aus diesem Grund hat er sich auch als einer der wenigen Schweizer KMU an einem MINAST-Forschungsprogramm beteiligt. Zusammen mit dem Paul Scherrer Institut im aargauischen Villigen sucht die AWM jetzt nach einem Verfahren, um Nanostrukturen in Kunststoff abzuformen.
«Auszahlen werden sich unsere Investitionen noch lange nicht.» Da gibt sich Krummenacher keinen Illusionen hin. So hat er denn auch erst einen einzigen zahlenden Kunden gefunden: Die Nanosurf, eine junge Spin-off-Firma der Universität Basel, die Rastersondenmikroskope entwickelt. Aber er ist optimistisch:«Wir bleiben weiter dran. Unsere Investitionen sind ein Wechsel auf die Zukunft.» Und in diesem Glauben an das Potential der neuen Technologie wird er von namhaften Experten bestätigt. Hans-Joachim Güntherodt, MINAST-Direktor und im übrigen auch Doktorvater der Nanosurf-Gründer, ist jedenfalls sicher: «Das Nanozeitalter des Menschen hat begonnen.»