Irans Staatsreederei NITC besitzt die zweitgrösste Tankerflotte der Welt, nach Saudi-Arabien. Einige dieser Riesenschiffe haben eine Kapazität von zwei Millionen Barrel (je 159 Liter), doch neuerdings werden diese weniger zum Transport eingesetzt. Derzeit dümpeln die meisten irgendwo vor sich hin, vollbetankt – und fungieren nurmehr als gewaltiges schwimmendes Öllager. Denn der Iran wird sein Öl nicht mehr los.
Dies zeigen Statistiken der Londoner Schiffsdatei Vessels Value, die WELT vorliegen. Demnach haben sich die grössten Abnehmer iranischen Öls praktisch komplett zurückgezogen, als Reaktion auf die verschärften US-Sanktionen gegen den Iran.
Allerdings gibt es bei den Zahlen einen entscheidenden Unsicherheitsfaktor. Denn Teheran versucht seine Exporte zu verschleiern – teilweise auf abenteuerliche Weise, die sogar Menschenleben und die Umwelt gefährdet.
Chinas Einfuhren sinken um 90 Prozent
«Zwei der fünf Top-Importeure von iranischem Rohöl, Südkorea und Frankreich, haben ihre Öleinfuhren nahezu gestoppt», sagt Court Smith, Analyst bei Vessels Value. Es sehe ganz danach aus, dass die Handelssanktionen durch die USA ihre Wirkung zeigten.
China, das wichtigste Abnehmerland für Öl aus dem Iran, hat im Vergleich zum zweiten Halbjahr 2018 in den vergangenen Wochen die Einfuhren auf nur noch zehn Prozent der vorherigen Menge verringert. Die anderen beiden Grosskunden in dieser Fünfergruppe sind Japan und Indien. Auch sie fielen zum Jahresanfang 2019 als Käufer nahezu aus. Unter den wenigen Ländern, die überhaupt noch Abnehmer waren, sind Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Vor den verschärften Sanktionen durch die USA hat der Iran täglich rund 2,3 Millionen Barrel (Fass mit 159 Litern) Öl am Tag gefördert. Rund fünf Prozent der weltweiten Versorgung mit Rohöl und Ölprodukten stammten damals aus dem Land. Knapp zwei Drittel davon wurden in asiatische und gut ein Drittel in europäische Staaten ausgeführt. China und Indien waren in früheren Jahren in Asien stets Hauptkunden des iranischen Öls.
Ölpreis ist in vergangenen Monaten deutlich gestiegen
Frankreich, die Türkei und Italien waren Hauptabnehmer in Europa. Doch von einer Abhängigkeit kann nicht die Rede sein. Weitaus wichtigere Öllieferanten sind Saudi-Arabien, die Vereinigten Staaten von Amerika und Russland. Seit Jahrzehnten schon sind dies die Länder mit der weltweit höchsten Ölförderung.
Und diese profitieren vom Wegfall des Konkurrenten. «Die Situation im Iran hat mit dazu beigetragen, dass sich das Preisniveau erhöht hat», sagt Rainer Wiek, Chefredakteur des Energie Informationsdienstes (EID). Rohöl der Sorte Brent war Ende Februar für bis zu 67 Dollar je Barrel gehandelt worden.
Im Rahmen der neuen Sanktionen drohen die USA Unternehmen, die weiterhin Öl aus dem Iran importieren, Strafen an. Unter anderem sollen diese Firmen von Geschäften mit den Vereinigten Staaten ausgeschlossen werden. Die Staaten der Europäischen Union haben sich diesen Handelssanktionen bislang nicht angeschlossen.
Ein Schiffsunglück gibt wichtige Hinweise
Allerdings finden nach wie vor Ölexporte statt, für die es teilweise Ausnahmeregelungen von den Sanktionen gibt. Und darüber hinaus versucht der Iran seine Exporte mindestens teilweise auch zu verschleiern. Wie das geht, darauf gibt eine schwere Schiffshavarie Ende vergangenen Jahres im Ostchinesischen Meer einen Hinweis.
Die Ursache dafür ist bis heute nicht geklärt. Damals war jedoch der Öltanker «Sanchi», der zur National Iranian Tanker Company (NITC) gehört, mit einem chinesischen Frachter zusammengestossen und anschliessend gesunken. Mehr als 30 Seeleute starben, die geladenen 113.000 Tonnen an Ölprodukten lösten eine Umweltkatastrophe in dem Meeresgebiet vor Schanghai aus.
Doch jüngst kamen Spekulationen auf. Denn in der internationalen Schifffahrt ist bekannt, dass Tanker der staatlichen Reederei NITC gelegentlich das sogenannte AIS-Signal (Automatic Identification System, automatische Identifikation) ausschalten, um nicht geortet werden zu können. Nachgewiesen in einem konkreten Fall hat dies zum Beispiel ein Reporter des kanadischen Rundfunksenders CBC. Die Staatsreederei will damit verhindern, dass Öllieferungen der Tanker nachvollzogen werden können.
Kollision erfolgte bei ruhiger See
«Das Land ist sogar dazu bereit, das Risiko von katastrophalen Unfällen grosser Öltanker zu erhöhen, so wie es sich mit der ‚Sanchi‘ ereignet hat, nur um die Geheimhaltung aufrechtzuerhalten», sagt Court Smith. Die Situation sei einzigartig. «Iranische Stellen vermeiden aktiv, dass die Exporte nachverfolgt werden können», sagt er. Dazu gehöre es, Daten bewusst in schlechter Qualität oder über veraltete Satellitentechnik zu versenden.
Die «Sanchi» war auf ihrer Unglücksfahrt vergangenes Jahr auf dem Weg nach Südkorea gewesen, dem zweitwichtigsten Abnehmer der iranischen Ölindustrie. Bei vergleichsweise ruhiger See kam es zur Kollision mit dem chinesischen Frachter. Dass dieses Schiff den Öltanker wegen abgeschalteter Signaltechnik gar nicht erkennen und dadurch nicht ausweichen konnte, ist bislang nur ein Gerücht. Sollte es sich bestätigen, wäre dies jedoch ein Zeichen für die verzweifelte Lage der iranischen Ölindustrie.
Dieser Text erschien zuerst bei der «Welt» unter dem Titel «Iran wird sein Öl nicht mehr los – und reagiert verzweifelt».