An Angeboten fehlte es nicht. Walter Meier hätte Chancen gehabt, das Unternehmen zu wechseln. «Noch im alten Jahrtausend, auf Montage für Georg Fischer (GF) in Südafrika, hat mir eine Firma in Kapstadt einen Job angeboten», erzählt der gelernte Maschinenschlosser. «Aber warum sollte ich wechseln, wenn es mir in einem stabilen und gesunden Unternehmen gut geht?» Walter Meier geht es schon ziemlich lange gut bei GF. Seit 46 Jahren arbeitet er für die Schaffhauser Industriefirma.
Auch wenn es fast nicht mehr in eine Zeit passen will, die von digitaler Disruption überrumpelt und von kurzlebigen Trends und forschen Börsenanalysten geprägt wird: Einem Unternehmen die Treue zu halten, seinen Arbeitgeber als Zweit-familie zu hegen, ist kein Konzept von gestern. So ergab eine Auswertung des Bundesamts für Statistik für die «Bilanz», dass im Jahr 2013 rund 15 Prozent aller Beschäftigten in der Schweiz 20 Jahre und mehr im Betrieb waren. Und jüngst bescheinigte eine weltweit angelegte Studie der Marktforscher von Nielsen den Schweizern «moderate Unternehmens-treue»: 18 Prozent der hiesigen Workforce möchten 6 bis 10 Jahre, 20 Prozent 11 bis 20 und immerhin 11 Prozent über 20 Jahre in der gleichen Firmen-Familie bleiben.
Umfrage bei 50 Firmen
Solche Treue wird auch heute noch belohnt. Georg Fischer etwa zeigt sich mit Bargeschenken von 500 Franken (fünf Dienstjahre) bis zu 6000 Franken (25 Dienstjahre) erkenntlich. Wahlweise kann man, wenn das GF-Vierteljahrhundert ansteht, auch eine IWC-Uhr plus Bargeld wählen. GF-Urgestein Walter Meier hält seinen Edel-ticker in Ehren.
Wie bedanken sich hiesige Arbeitgeber für Firmentreue? Die «Handelszeitung» hat 50 Unternehmen in der Schweiz angeschrieben und sie nach ihren Belohnungsprogrammen gefragt. Nur gerade zwei (Google und Easyjet) kennen keine Dienstaltersgeschenke, alle anderen honorieren Firmentreue, oft schon ab dem fünften Jahr. Der Wandel der Zeit zeigt sich klar: Wurden in der Hochkonjunktur noch Heerscharen von geschätzten Mitarbeitern mit Zinnbechern und Wappenscheiben belohnt, so haben diese Staubfänger ausgedient. «Unternehmen, die ihren Dank für Firmentreue in Form von Zinnbechern zeigen, sind mir keine bekannt», sagt Michael Hermann, Geschäftsführer der Organisation Great Place to Work. Was im Trend liegt: Geldbeträge oder zusätzliche Ferientage.
Familie wird eingebunden
Daneben lassen sich Firmen auch Aussergewöhnliches einfallen. Für Victorinox etwa ist es wichtig, dass «neben materiellen auch immaterielle Faktoren das Wir-Gefühl stärken». Konkret geschieht das am Hauptsitz in Ibach SZ mit musikalischer Untermalung und Teilnahme der Familien der Jubilare sowie per Gratulationstour eines Gros der Mitarbeitenden. Ikea-Mitarbeitende erhalten Gutscheine ab dem fünften Jahr, ab zehn Jahren dann den silbernen Ikea-Pin, bei 25 Jahren das goldene Exemplar. Auf Schmuck für Bluse oder Revers setzen auch die Hotels der Rezidor-Gruppe: Alle fünf Jahre erhalten treue Angestellte einen Brillanten, den sie auf einen Pin stecken können. «Yes I can», steht auf dem Pin.
Eine weitere Form der Belohnung sei es, die Familie einzubinden, sagt Hermann. Ein Geschenk mit Hintergedanke: «In der Pharmabranche kennen wir Unternehmen, die langjährige Mitarbeiter mit Reisen für die ganze Familie belohnen. Was den Nebeneffekt bringt, dass die ganze Familie daran interessiert ist, dass die Bindung zur Firma bestehen bleibt.» Natürlicher Feind der Treueprogramme sind Controller. Man muss kein studierter Erbsenzähler sein, um zu sehen, dass sich hier Kosten sparen lassen. So geschehen jüngst bei der Bundesverwaltung. Dort werden ab 2016 nur noch Dienstaltersgeschenke ab zehn Jahren Mitarbeitertreue ausgerichtet – bis 2015 kam man schon ab fünf Jahren zum Handkuss.
SNB will nichts preisgeben
Für manche Firmen scheint die Jubiläumspraxis zur geheimen DNA zu gehören. Die Nationalbank etwa möchte konkrete Gaben für langjährige Mitarbeiter «lieber nicht» nennen. Deren Personalabteilung offeriert dafür einen Denkanstoss: «Modernes Retention Management arbeitet nicht primär mit geldwerten Leistungen, sondern mit anspruchsvollen Auf-gaben, guter Führung, wertschätzender Kultur.»
Der langjährige GF-Angestellte Walter Meier sagt das etwas weniger gestelzt: «Nicht nur Dienstaltersgeschenke sind eine Form der Wertschätzung, sondern dass einem das Unternehmen auch immer wieder die Möglichkeit eröffnet, neue Funktionen zu übernehmen.» Tatsächlich hat Meier vor drei Monaten mit 62 eine neue Aufgabe übernommen. Der Mann, der 1969 ins Unternehmen eintrat, wirkt nun als Leiter des GF-Logistikzentrums in Schaffhausen. Der absolute Firmen-Dino ist Meier dort aber nicht: «Ein Arbeitskollege im Logistikzentrum hat schon 47 GF-Jahre auf dem Buckel.»
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