Und wieder steht der Verdacht im Raum, Novartis meine es mit seinem Commitment zur Schweiz nicht ernst. Anlass ist die Streichung der Funktion des Schweizer Länderpräsidenten. Matthias Leuenberger, ein altgedienter Novartis-Manager, wird frühpensioniert und nicht mehr ersetzt, wie die «NZZ» berichtet. Die Aufgaben von Leuenberger übernimmt Lutz Hegemann, er leitet die Abteilung Global Health, zu der die Anstrengungen von Novartis im Kampf gegen Tropenkrankheiten wie Malaria und Leishmaniose und Tuberkulose und zur Verbesserung des Zugangs zu Medikamenten in unterprivilegierten Medikamentenmärkten gehört.
Gewiss, Leuenberger war ein wichtiges Scharnier zwischen dem ansonsten weitgehend in anderen Sphären agierenden Basler Pharmakonzern und seinem Chef Vas Narasimhan und den Niederungen der Schweizer Politik, zumal Leuenberger auch noch Präsident des Branchenverbandes Scienceindustries war. Da kann man sich schon fragen, ob es Vas Narasimhan ernst meinte, als er vor ein paar Tagen in einem Call mit Journalisten und Journalistinnen sagte: «Ich liebe Novartis und ich liebe die Schweiz.»
Das grosse Bild zählt – und das stimmt
Gleichzeitig sollte die Personalie den Blick auf das grosse Bild nicht verstellen. Denn das stimmt. Kaum ein anderer Konzern hat in den vergangenen Jahren so viele volkswirtschaftliche Werte in der Schweiz geschaffen wie Novartis. Der Rückbau des von Daniel Vasella aufgebauten Multispartenhauses zu einem rein auf die Entwicklung von innovativen Therapien fokussierten Pharmakonzerns hat der Schweiz mit Alcon und Sandoz zwei neue Grosskonzerne beschert, die ihren Hauptsitz in Genf beziehungsweise Basel haben und damit für hochwertige Arbeitsplätze und üppige Steuereinnahmen sorgen.
Doch auch die Aktionäre und Aktionärinnen können sich nicht beklagen. Mama Novartis und ihre inzwischen flügge gewordenen beiden Kinder weisen aktuell, zusammengerechnet, eine Marktkapitalisierung von mehr als 260 Milliarden Franken auf. Das sind 55 Milliarden mehr als bei Roche und gar 60 Milliarden mehr als bei Nestlé. Und selbst bei einer Einzelbetrachtung ist die lange unbestrittene Rollenverteilung unter den «Big Three» im Schweizer Leitindex nicht mehr so wirklich klar. Die ewige Nummer eins Nestlé hat der selbsterklärte Schweiz-Freund vom Rheinknie bereits hinter sich gelassen, und auch Roche muss sich sputen, wenn sie den Verfolger von der anderen Seite des Rheins noch abschütteln will. Gut möglich, dass die drei Grosskonzerne gerade neu ausmachen, wer Junior und wer Senior ist.
Fauxpas bei der Kommunikation
Gewiss, Novartis mag manchmal etwas unbeholfen agieren im Umgang mit der Öffentlichkeit. Restrukturierungen gehen auf dem Campus oft mit unschöner Begleitmusik einher, während es Roche, wie aktuell unter Konzernchef Thomas Schinecker, immer wieder schafft, selbst grosse Personalrochaden ohne Nebengeräusche über die Bühne zu bringen. Dass sich Novartis, anders als Roche, nicht an der Startup-Initiative der Basler Standortförderung beteiligt, ist schade und womöglich auch etwas kleinlich, und mit einem Geldentzug beim FCB macht man sich im fussballverliebten Basel auch keine Freunde. Und dass Vas Narasimhan vorübergehend seinen Finanzchef Harry Kirsch vorschickte, um die Jahreszahlen zu präsentieren, war ein Fauxpas. Fehlende Kommunikation stellt selbst ansonsten intakte Liebesbeziehungen auf die Probe, das weiss jeder Paarberater.
Die grossen Linien aber stimmen. Vas Narasimhan hat Novartis als führenden Pharmakonzern zurück ins Spiel gebracht, das Unternehmen betreibt in Basel eine der grössten Forschungsküchen der Industrie, die mit Fiona Marshall zudem von einer Forschungschefin geleitet wird, die unter anderem auch deshalb vom amerikanischen Pharmakonzern MSD nach Basel kam, weil sie die europäische Kultur von Novartis für einen Gewinn hält.
Vas Narasimhans Liebeserklärung mag vielen als Charmeoffensive erscheinen. Und das war sie wohl auch. Ein Blick aufs die Facts aber zeigt: Der Liebesbeweis ist längst erbracht.