Der Mega-Deal wurde in einem Restaurant am Rande des Highways eingefädelt. Alles sollte möglichst unauffällig über die Bühne gehen. Vor genau zehn Jahren kaufte der Internet-Riese Google für 1,65 Milliarden Dollar die Videoplattform Youtube. Es war der bis dato teuerste Zukauf in der Google-Geschichte – und vielleicht einer der schnellsten Deals dieser Art.
An einem Wochenende im Oktober 2006 wurde das Geschäft in trockene Tücher gebracht. Das Ganze habe sich innerhalb von 72 Stunden abgespielt, erinnerte sich Youtube-Mitgründer Steve Chen auf dem diesjährigen South-by-Southwest-Festival in Texas. «Von den ersten Übernahme-Gesprächen bis zur Bekanntgabe nach Börsenschluss am Montag.»
Als Dating-Plattform gescheitert
Der damalige Google-Chef Eric Schmidt verkündete dann: «Das ist der nächste Schritt in der Evolution des Internets.» Nur 19 Monate zuvor, im Februar 2005, hatten die drei ehemaligen PayPal-Mitarbeiter Chen, Chad Hurley und Jawed Karim Youtube gegründet, das eigentlich als Dating-Plattform starten sollte.
«Die Idee war, dass sich die Leute mit Kurzvideos vorstellen», sagte Chen. Nachdem sich aber nach fünf Tagen niemand gemeldet habe, sei der Dienst für alle möglichen Videos geöffnet worden. «Somit kamen dann auch die süssen Katzenvideos und alles andere.»
Hilfe bei Expansion
Nach den Anlaufschwierigkeiten setzte der Erfolg rasant ein: Youtube zählte nach eineinhalb Jahren etwa 100 Millionen Videoabrufe pro Tag. Mehrere Interessenten klopften bei dem Start-up an, das mit etwa 65 Mitarbeitern im kalifornischen San Bruno agierte.
«Aber Google war die richtige Wahl», sagte Chen rückblickend. Das Start-up habe dringend Hilfe bei der Internationalisierung, aber auch in technischen Bereichen gebraucht. Mehr als 50 Prozent der User kamen nach Angaben des heute 38-Jährigen bereits von ausserhalb der USA. Zudem zeichnete sich die mobile Internetnutzung als wichtiger Markt ab.
Explosionsartiger Erfolg
Bei einem Geheimtreffen mit Schmidt und Google-Gründer Larry Page wurde der Deal abgestimmt. Als unauffälliger Treffpunkt wurde ein Restaurant nahe des Highways zwischen dem Google-Standort in Mountain View und San Bruno gewählt. «Ich war zu nervös, um überhaupt etwas zu essen», erinnerte sich Chen.
In den kommenden Jahren entwickelte sich die Plattform zum Massenphänomen. 2012 knackte der koreanische Rapper Psy mit «Gangnam Style», als erster die Marke von einer Milliarde Abrufen. 2014 konnte man zuschauen, wie auf der ganzen Welt Menschen zu Pharrell Williams Hit «Happy» tanzten. Und Youtube-Stars – von LeFloid bis zu Bibi mit ihrem «Beauty Palace» – sind die Teenie-Idole von heute.
Nutzer bekannt, Gewinn nicht
Zehn Jahre nach der Übernahme durch Google hat Youtube heute mehr als eine Milliarde Nutzer. Der Dienst steht in 76 Sprachen zur Verfügung. Minütlich werden weltweit mehr als 400 Stunden Material hochgeladen.
Allerdings, so gigantisch die Zahlen sind – ob und wieviel Geld Google letztendlich mit Youtube verdient, ist unbekannt. Die Marktforschungsfirma eMarketer schätzt, dass 2014 etwa 1,13 Milliarden Dollar Umsatz mit Werbung gemacht wurde. Youtube selbst erklärte 2015, dass die Partnerumsätze im Werbebereich im Vergleich zum Vorjahr um 50 Prozent gestiegen seien, «bereits das dritte Jahr in Folge in dieser Höhe».
Kritik aus der Musikindustrie
Doch Youtube steht dennoch vor Problemen: Prominente Künstler wie Lady Gaga, Coldplay oder Ed Sheeran beschwerten sich erst im Sommer bei der EU-Kommission, dass der Dienst durch seine Gratisangebote die Musik entwerte. Die Branche kritisiert, dass Youtube gemessen an seiner Grösse viel zu wenig Geld abgebe.
«Es muss endlich klargestellt werden, dass auch Online-Plattformen wie Youtube Lizenzen für ihre Inhalte zahlen müssen – so, wie es Spotify, Apple Music oder Deezer tun», fordert etwa Florian Drücke vom Bundesverband Musikindustrie (BVMI).
Youtube verweist auf sein «Content-ID»-System, eine Art digitaler Fingerabdruck zur Piraterie-Bekämpfung. Darüber werden Rechteinhaber benachrichtigt, wenn ihre Inhalte auf Youtube auftauchen. Sie können dann entscheiden, ob das Material gesperrt wird – oder ob sie an den Umsätzen, die aus dem Werbeumfeld generiert werden, beteiligt werden.
Problem mit Hasskommentaren
Ein weiterer Vorwurf, der Youtube – aber auch Facebook und Twitter – gemacht wird, ist, nicht effizient genug gegen problematische Inhalte wie etwa islamistische Propaganda oder Hasskommentare vorzugehen.
Nach Angaben der Google-Tochter löschte der Konzern 2014 weltweit 14 Millionen Inhalte, 2015 waren es bereits 92 Millionen. Allerdings wächst auch die Menge des hochgeladenen Materials rasant und hat sich von 2014 bis heute vervierfacht. Und: Von den 92 Millionen gelöschten Inhalten stand demnach nur ein Bruchteil (1 Prozent) im Zusammenhang mit Hasskommentaren oder terroristischen Inhalten. Grösstenteils handelte es sich etwa um Spam, pornografisches oder sonstiges Material, das gegen die Youtube-Richtlinien verstiess.
Konkurrenz schläft nicht
Doch die wahrscheinlich grösste Herausforderung für Youtube ist die verschärfte Marktsituation. Googles grosser Konkurrent Facebook mit seinen 1,6 Milliarden Mitgliedern setzt inzwischen massiv auf Video und konnte sich dort zuletzt besonders im Bereich Live-Streaming positionieren. Und auch andere Netzwerke wie Snapchat, Twitter und Instagram haben Videos längst in ihr Angebot integriert.
(sda/jfr)