Die Schweiz ist kein Land der Discounter. Auch nach zehn Jahren Lidl und 14 Jahren Aldi nicht. Trotzdem haben die deutschen Player den hiesigen Detailhandel viel stärker verändert, als Zahlen vermuten lassen.
Gemeinsam setzen sie drei Milliarden Franken um. Coop und Migros generieren mit ihren Supermärkten zusammen 22 Milliarden. Die Kräfteverhältnisse sind deutlich. Aber sie wanken.
Denn Lidl Schweiz und Aldi Suisse wollen weiterhin wachsen und nun Innenstädte und Bahnhöfe erobern. Die ersten Filialen eröffneten sie stets etwas fernab vom Schuss; an billigen Lagen, an denen Coop und Migros kaum gebaut hätten.
Neu haben die Discounter neben Autofahrer auch Laufkunden im Visier: Ende 2017 eröffnete Lidl eine Filiale mitten in der Zürcher Altstadt. Konkurrent Aldi startete im Bahnhof von Lausanne und feierte kürzlich in Lugano die Eröffnung des 200. Ladens. Aldi-Suisse-Chef Timo Schuster plant weitere Filialen in Zürich, in der Fussgängerzone von Luzern und im Stadtzentrum von Neuenburg. In den nächsten zehn Jahren will er 100 neue Läden eröffnen.
Lidl holt Jackpot in Bern
Rivale Lidl hat in Bern den Jackpot gezogen. An bester Lage verdrängt der Discounter die Buchhandlung Orell Füssli und wird 2022 im Warenhaus Loeb eine zweistöckige Filiale eröffnen – direkt zugänglich durch die Bahnhofspassage. Auch im Stadtzentrum von Biel wird Lidl im Loeb einziehen. In Zusammenarbeit mit den SBB ist zudem in Morges (VD) eine Bahnhofsfiliale geplant, wie Lidl an der heutigen Medienkonferenz zum 10-Jahre-Jubiläum verkündete. Weiterhin will Lidl pro Jahr zehn neue Filialen eröffnen.
Um auf das Bedürfnis der Städter einzugehen, wird Lidl besonders in den Ballungszentren Self-Checkout-Kassen einbauen. Alle Läden sollen zudem künftig mit digitalen Preisschildern ausgestattet werden. «Wir können damit noch schneller auf Preisreduktionen im Markt reagieren und so stets der günstigste Anbieter sein», sagt Alessandro Wolf von Lidl Schweiz.
Dass Aldi nun 200 Filialen betreibt und Lidl schon auf 126 kommt, ist beachtlich. Experten hatten ihnen vor dem Markteintritt in die Schweiz kaum zugetraut, neben den Platzhirschen Migros und Coop zu bestehen. Geschweige denn ihnen Marktanteile abzuringen.
Genau das ist jedoch geschehen, wiewohl in geringem Ausmass. Im Jahr 2000 hatten Coop und Migros einen Anteil von 69 Prozent, Discounter machten nur 5 Prozent aus. Heute kommen die Grossverteiler noch auf 58 Prozent und die Discounter bereits auf 16 Prozent. Davon ist allerdings die Hälfte Denner zuzuschreiben.
Migros antizipierte den Markteintritt
Dass die Migros 2007 Denner kaufte und diesen 2009 einverleibte, war auch eine Abwehrmassnahme gegen Aldi und Lidl. Ob ohne die Bedrohung der deutschen Harddiscounter Denner von 1,5 Milliarden Franken Umsatz im Jahr 2000 auf aktuell 3,2 Milliarden gewachsen wäre, ist anzuzweifeln. Aldi und Lidl wirkten als Katalysatoren für den hiesigen Discount-Markt.
Zwar ist ein Preissturz ausgeblieben. Doch Migros und Coop stehen unter Zugzwang. Aus Sicht des Konsumenten haben sie preislich an Attraktivität eingebüsst, wie eine Studie der Credit Suisse zeigt. 2005 sahen noch 40 Prozent der Schweizer Konsumenten Migros als Preisführer, 2017 waren es nur noch 22 Prozent. Der neue Leader ist Aldi mit 28 Prozent, gefolgt von Lidl mit 23 Prozent.
Die Migros hat ihre Position als Preisführerin verloren, und damit auch ein Stück der Identität. Dabei antizipierte sie schon früh die Expansion der deutschen Discounter und führte 1996 die Billiglinie M-Budget ein. Anfangs gab es 70 Produkte. Kurz nach Markteintritt von Aldi erweiterte der orange Riese das Sortiment auf 500 Artikel.
Coop erhöht Prix-Garantie-Sortiment
Auch Coop musste reagieren und lancierte 2005 das Pendant Prix-Garantie. Coop-Chef Joos Sutter verkündete im Februar, die Prix-Garantie-Linie um 100 Artikel auf insgesamt 600 Produkte auszubauen. Als Grund nannte er die Expansionspläne der Discounter. Zudem will Sutter den Anteil der meist günstigeren Eigenmarken von heute 55 auf 60 Prozent ausbauen.
Der Konkurrenzdruck machte Einkaufen also durchaus billiger. Aldi und Lidl agieren aber hierzulande nicht als hartgesottene Discounter, wie man sie aus Deutschland kennt. Zwar litten anfangs beide unter Vorbehalte: Tiefe Löhne, hässliche Ladenlokale, ungesunde Lebensmittel. Doch das Bild hat sich gewandelt. Beide haben sich Coop und Migros angenähert und machen heute eher auf Supermarkt denn auf Discounter.
Die Swissness-Offensive
Aldi und Lidl setzen längst auf Frischware, Regionalität und Bio-Produkte. Bio Suisse denkt gar darüber nach, dass sie die Knospe verwenden dürfen. Beide versuchen zudem ein Swissness-Image zu etablieren. Aldi etwa zahlt indessen die höchsten Mindestlöhne im Detailhandel und warb mit dem Slogan «Aldi-Kind» – in Anspielung auf Coop und Migros. Laut eigenen Angaben machen Produkte von Schweizer Lieferanten bereits die Hälfte des Umsatzes aus. Lidl wiederum gewann 2010 den damaligen Schwingerkönig Christian Stucki als Testimonial. Auch Starkoch René Schudel macht Werbung und entwarf Rezepte und Kochboxen für den Discounter.
Allerdings gelingt Lidl nicht alles. Die im August 2017 lancierten Kochboxen werden auf den 8. März «wegen fehlender Zukunftsperspektive» eingestellt.