Die 164-seitige Anklageschrift «United States v. Jeffrey Webb et al.» ist eine Schatztruhe. Sie zeigt, wie minutiös und skrupellos die sieben Verhafteten Fifa-Offiziellen vorgingen. Das Papier hilft auch, in die Psyche der Beschuldigten einzudringen, ihre inneren Verhaltensweisen und Vorstellungen der Welt zu verstehen.
Das Vorgehen der Funktionäre ist teilweise so schamlos, dass es schon wieder komisch erscheint. Ein paar Beispiele:
1. Dank «Demenz» zum US-Pass
Der Uruguayner Eugenio Figueredo - ehemaliger Fifa-Vizepräsident und Präsident des Südamerikanischen Fussballverbandes Conmebol kaufte sich in Kalifornien ein Grundstück und wollte US-Bürger werden. Als Beruf gab er an, im «Verkauf» tätig zu sein und mit «dekorativen Steinen» zu handeln. Die nötigen Prüfungen für die Einbürgerung als Amerikaner umging er, indem er ein falsches Arztzeugnis ablieferte, das ihm «Demenz» bescheinigte. Der Greisen-Trick funktioniere, im August 2006 wurde er Bürger der Vereinigten Staaten.
2. Das Karussell: «Jetzt sind wir an der Reihe»
José Mari Marin ist Rechtsanwalt und seit 2012 Präsident des brasilianischen Fussballverbandes CBF und Nachfolger des korrupten Ex-Fifa-Funktionärs Ricardo Teixeira. Im April 2014 reiste er nach Miami an eine Pressekonferenz. Dabei wurde auch wieder über Schmiergeld diskutiert, das ihm noch aus der Copa do Brasil zustehe, wie er meinte. Als ihn ein Mitverschwörer fragte, ob es denn wirklich nötig sei, mit den Schwarzgeldtransaktionen an Marins CBF-Vorgänger Ricardo Texeira weiterzumachen, meinte Marin gemäss der Anklageschrift: «Es ist langsam Zeit, dass es den Weg zu uns findet. Nicht wahr?» Darauf meinte sein Kumpel: «Sicher, sicher, sicher. Dieses Geld hätte dir überwiesen werden sollen.» Darauf Marin: «So ist es. Genau.»
3. Zahlungsprobleme vom Staat Südafrika
Auch die Vergabe der WM 2010 an Südafrika war wohl manipuliert. Wichtige Entscheide fielen in Marokko. Der korrupte Ex-Fifa-Vize Jack Warner soll bei einem Treffen im nordafrikanischen Staat seine Freunde informiert haben, dass hohe Fifa-Funktionäre, die südafrikanische Regierung und das südafrikanische WM-Berwerbungs-Komitee bereit seien, 10 Millionen Dollar aus der südafrikanischen Staatskasse abzuzweigen, um die «Afrikanische Diaspora» zu unterstützen. Es war klar, dass im Gegenzug alle für Südafrika stimmen sollten. Das passierte dann auch: In der Sitzung des zuständigen Fifa-Komitees am 15. Mai 2004 schwang Südafrika gegenüber den Mitbewerbern Marokko und Ägypten oben aus.
Das Problem war nur, dass die 10 Millionen lange nicht flossen - auch Jahre nachher nicht. Ein Mitverschwörer fragte daraufhin immer wieder seinen Geschäftspartner Jack Warner, wo denn das Geld bleibe. Die südafrikanische Regierung sah sich offenbar ausserstande, die Gelder direkt aus einem Staatsbudgetposten abzuzweigen.
Offenbar kein Problem. Es wurde gemäss der Anklageschrift mit Fifa-Offiziellen abgemacht, dass die versprochenen Gelder direkt vom Weltfussballverband überwiesen werden. Gelder, die eigentlich für die Ausrichtung der WM in Südafrika vorgesehen waren. Die Gelder wanderten von einem Schweizer Konto über ein Korrespondenzkonto der Bank of America in die Taschen Jack Warners.
4. «Wenn ihr fromm seid, baut eine Kirche»
Als Joseph Blatters langjähriger Freund und Stimmenbeschaffer bin Hammam 2011 plötzlich auch Gelüste aufs Fifa-Präsidium verspürte, soll der Katarer in der Karibik nach alten Gepflogenheiten Fussballfunktionäre bestochen haben. Doch einer bekam kalte Füsse und fragte seinen Vorgesetzten, ob er denn das «Geschenk» annehmen soll oder wie er zu verfahren hätte. Dies kam gemäss der Anklageschrift Warner zu Ohren. Und sorgte für eine Wutrede, in der er seine Mitstreiter in den Senkel stellte: «Da sind einige Leute, die meinen, frommer zu sein als Ihr. Wenn Ihr fromm seid, baut eine Kirche. Unser Geschäft ist unser Geschäft.»
5. Schwarzgeld fürs nasse Vergnügen
Ex-Fifa-Vize Jack Warner umgab jahrenlang der Duft der Korruption. 2011 wurde es zuviel, er musste wohl oder übel aus seinen Fifa-Ämtern zurücktreten. Sein Kollege Jeffrey Webb sollte die Stimmen der Karibikländer weiter gut verwalten und wurde im Mai 2012 zum Präsidenten der Nord- und Zentralamerikanischen und karibische Fussballkonföderation (Concacaf) gewählt sowie ein Mitglied im wichtigen Fifa-Exekutivkomitee.
Er gilt als Blatters Zögling und Warners inoffizieller Nachfolger mit sauberer Weste. Doch weit gefehlt, wie die Anklageschrift zeigt. Wie andere Verhaftete besitzt auch er Immobilien in den Vereinigten Staaten. Da es zunehmend schwieriger wurde, Schwarzgelder unerkannt in die USA zu transferieren, liessen er und seine Mitstreiter sich etwas einfallen: Warum das Geld nicht im Namen einer Baufirma bezahlen, denn Webb baute gerade einen Swimmingpool im Garten? Die Idee gefiel und wurde in die Tat umgesetzt.
6. «Ist es illegal? Es ist illegal»
Seit Ende der 1980er-Jahre wurden in regelmässigen Abständen Geschichten um dreckige Deals im Fifa-Umfeld bekannt, einige klangen weniger überzeugend, andere mehr. Der Image-Schaden für den Weltfussballverband wurde mit jedem Jahr grösser. Das war auch Aaron Davidson bewusst, dem Chef der Fort Lauderdale Strikers. Doch um mitzuspielen, sah er offenbar keine andere Lösung, als weiterzumachen, wie bisher. In einem Meeting letztes Jahr meinte er zu den fortwährenden Schmiergeldzahlungen: «Ist es illegal? Es ist illegal. Ist es schlimm? Ja, es ist schlimm.»