Nestlé-Konzernchef Mark Schneider weiss, wie man ein Geschäft breiter aufstellt. Das zeigt das Beispiel der Vereinbarung mit Starbucks, wo er für Nestlé für gut 7 Milliarden Dollar auf alle Zeiten die Vermarktungsrechte an den Konsum- und Gastronomieprodukten des Kaffeebrauers aus Seattle sicherte – ein Deal für die Geschichtsbücher.
Beim Tierfutter aber, mit 13 Milliarden Franken Umsatz ebenfalls ein wichtiges Geschäft für Nestlé, war die Konkurrenz schneller. Hier hat Nestlé-Gegenspieler Mars aus dem amerikanischen Bundesstaat Virginia die Nase vorn. Der Hersteller des gleichnamigen Schokoriegels und Besitzer so legendärer Tierfuttermarken wie Whiskas und Sheba hat sich in den vergangenen zwei Jahren im grossen Stil im Geschäft mit den Tierkliniken etabliert.
1100 Praxen, 4000 Tierärzte
Doch nun gibt Mark Schneider -Gegensteuer. Dieser Tage ist der von Deutschland nach Vevey geholte Deal-Turbo mit der Tierarztkette Independent Vetcare (IVC), einer führenden europäischen Klinikkette, ins -Geschäft gekommen.
Der Deal zeigt: Tierkliniken sind ein Topthema für Tierfutterhersteller. Im Vordergrund steht dabei die Erschliessung eines neuen, vielversprechenden Absatzkanals. «Ziel ist es, das Vertriebsnetz zu erweitern», sagt Romano Monsch, Analyst beim Vermögensverwalter Albin Kistler. Doch auch bei der Markenpflege ist es von Vorteil, nicht nur Tierfutter, sondern auch Tierkliniken im Portfolio zu führen. Es helfe der Marke, wenn sie nicht nur im Handel im Regal stehe, sondern auch beim Tierarzt zu kaufen sei, sagt Monsch. «Das kann durchaus dazu führen, dass der Hersteller generell etwas mehr für die Produkte verlangen kann als die No-Name-Konkurrenz.»
Spezialfutter werden wichtiger
Doch der Run auf die Tierkliniken hat noch weitere Seiten. Tierfutter ist eine eigene Wissenschaft, die Verdauungssysteme von Katzen und Hunden haben ihre eigenen Regeln. Da hilft es, wenn man bei der Entwicklung neuer Tierfutter nicht nur auf einige Inhouse--Tierärzte zählen kann, sondern auf die Erfahrung Tausender externer Tierärzte abstellen kann, die überdies auch noch täglich mit den Vierbeinern und ihren Besitzern in der Praxis zu tun haben.
Dazu kommt: Auch Haustiere haben heute Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht oder Diabetes und werden, wie die Menschen, immer älter. Spezialfutter werden deshalb immer wichtiger. Jüngstes Beispiel dafür: ein Hundefutter von Nestlé mit botanischen Ölen, Antioxidantien, Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren und verschiedenen Vitaminen – Ingredien-zen, die geeignet sind, die Hirnfunktionen älterer Hunde zu unterstützen.
Führend im Klinikgeschäft ist Mars, doch jetzt zieht Nestlé nach.
Dazu kommt: Tierfutter ist ein Traummarkt. Gemäss dem Marktforschungsunternehmen Euromonitor International wurden 2018 weltweit mehr als 90 Milliarden Dollar umgesetzt, die Wachstumsraten liegen bei gut 6 Prozent. Und auch die Zahlungsbereitschaft von Herrchen und Frauchen lässt keine Wünsche offen. Amerikanischen Studien zufolge geniessen Haustiere in vielen Haushalten einen ähnlich privilegierten Status wie Kinder; das heisst, sie sind die letzten, bei denen Abstriche gemacht werden, wenn die Zeiten weniger rosig sind.
Führend im Geschäft mit den Tierkliniken ist Mars. Das für seine Verschlossenheit bekannte amerikanische Familienunternehmen stiess schon vor zehn Jahren mit dem Kauf der Banfield Pet Hospitals in den USA ins Klinikgeschäft vor. Doch das war nur der Anfang. 2017 kaufte Mars für mehr als 9 Milliarden Dollar die amerikanische Tierklinikkette VCA . Der Hersteller der in Tierkliniken besonders stark verbreiteten Marke Royal Canin holte sich damit nicht nur 1100 Tierkliniken ins Haus, sondern auch die der Kette angeschlossenen Referenzlabore, die wiederum von 17 000 amerikanischen Tierärzten genutzt werden. 2018 schliesslich expandierte Mars nach Europa und übernahm die 250 Kliniken der Kette Anicura mit ihren 5000 Angestellten, die ihrerseits jedes Jahr 2,5 Millionen Kleintiere in den Praxen der Kette behandeln. Geschätztes Volumen der Transaktion: 2 Milliarden Euro.
Nestlés Deal mit der Independent Vetcare Group
Nestlé-Chef Mark Schneider richtet mit IVC nicht ganz so gross an, doch auch dieser Deal ist keine Kleinigkeit. Beobachter sprechen von einem «bedeutenden ersten Schritt». Die ursprünglich rein britische Gruppe VC mit Sitz im südenglischen Bristol zählt heute 1100 Praxen und Kliniken in zehn europäischen Ländern, darunter fünf in der Schweiz; sie beschäftigt ein Heer von 16 000 Angestellten, unter ihnen 4000 Tierärzte, die wiederum rund zwei Millionen Tierbesitzer erreichen. Die Kette wurde im Dezember 2016 von der schwedischen Private-Equity-Gesellschaft EQT übernommen und im Mai 2017 mit der ebenfalls zu EQT gehörenden Evidensia fusioniert:
ein Platzhirsch im Geschäft mit den Haustieren und ihren zahlungskräftigen Besitzern.
Nestlé und EQT wollten den Deal nicht weiter kommentieren. Doch nach Kleinfutter sieht er nicht aus. Wie einer Mitteilung von EQT vom Februar zu entnehmen ist, wurde die Klinikgruppe damals im Zusammenhang mit einem ersten Teilverkauf im Umfang von 20 Prozent an institutionelle Investoren mit 3 Milliarden Euro bewertet.
Tierarzt und Verkäufer
Bleibt die Frage, wie die Tierärzte mit ihrer Doppelrolle als Mediziner und Verkäufer von Tierfutter zurechtkommen. Aus den USA hört man dazu Geschichten von Tierärzten, die sich schwertun, die von den Herstellern gesetzten Umsatzziele zu erreichen, und die sich darüber beklagen, dass sie nicht mehr frei seien, ein anderes Futter zu empfehlen. IVC werde Zugang zum Produkportfolio von Purina haben, schreibt Nestlé dazu auf Anfrage – und versichert: «Die Tierärzte werden weiter die Freiheit behalten, zu entscheiden, was sie anbieten.» Ein flexibler Deal, wie er zum neuen Nestlé-Chef passt.