Die Hitze des frühen Sommers liegt schwer über Baku. Die Hauptstadt Aserbaidschans hat sich herausgeputzt. Drei neue Glastürme in Form von Gasflammen dominieren das Stadtbild, dazu als Wahrzeichen das neue Stadion, eigens gebaut für den Eurovision Song Contest. Daneben wirkt das Hauptquartier der staatlichen Öl- und Gasgesellschaft unscheinbar. Dabei sorgt Socar für den Löwenanteil der Staatseinnahmen.

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Elshad Nassirov empfängt den Besucher mit einem Schmuzeln. Der Vizechef von Socar berichtet mit Freude vom «Schock», der durch die Schweiz gegangen sei, als sein Unternehmen die Tankstellen von Esso in der Schweiz kaufte. Aserbaidschan und Socar seien in Europa eben noch sehr unbekannt, sagt Nassirov. Das werde sich spätestens ab August ändern. Wer dann an den rund 170 Esso-Stationen tankt, tut es bei Socar, der State Oil Company of Azerbaijan Republic.

Nassirov ist überzeugt, dass dann endgültig die Zweifel an Socar zerstreut würden. Letztlich handle es sich bei Socar Energy Switzerland ja um ein Schweizer Unternehmen. «Betrieben von Schweizern für die Schweizer», sagt Nassirov. Tatsächlich hat Socar den Sitz in Zug, in den Entscheidungsgremien sitzen aber nur Aseris, teils mit Wohnsitz in der Schweiz.

Eigenes Logo für den Schweizer Markt

«Der Prozess der Übernahme war ein schwieriger und zäher Mechanismus», erzählt Nassirov, der seit 2005 als Vizepräsident für Investments und Marketing verantwortlich ist. «Wir befinden uns in kontinuierlichem Kontakt mit Esso.»

Vor dem Kauf konnte Socar dem Vernehmen nach nicht tief in die Bücher der Tankstellenbetreiberin schauen. Nassirov sagt dazu nichts. «Ein Risiko ist immer da», erklärt er bloss, «aber es ist kein grosses. Esso hat eines der besten Netze in Europa. Wir haben einfach ein gutes Tankstellennetz gekauft.» Für die Schweiz sei es positiv, dass kein internationaler Multi zum Zug gekommen sei. Sonst hätte «Burger King McDonald’s abgelöst». «Wir aber sind eine kleine und flexible Firma.»

Klein ist untertrieben. Socar hat über 75000 Angestellte und macht umgerechnet gegen 7 Milliarden Franken Umsatz. Flexibel ist zutreffender. Für den Schweizer Markt hat Socar bereits ein spezielles Firmenlogo entwerfen lassen. Es soll den hiesigen Vorlieben Rechnung tragen. «Noch ist das Logo ein Geschäftsgeheimnis», sagt Nassirov: «Nur so viel: Das A, das in unserem Schriftzug als Ölförderturm stilisiert ist, wird Umfragen zufolge in der Schweiz mit einem Strommasten assoziiert.» Allein schon deswegen habe man Änderungen vornehmen müssen.

Die Flexibilität Socars zeigt sich auch darin, dass die Firma die Läden an ihren Tankstellen von der Migros-Tochter Migrolino betreiben lässt. Schliesslich wollte der Detailhändler die Esso-Tankstellen ursprünglich selbst kaufen und war damit im Bieterverfahren ein harter Konkurrent Socars. Diplomat Nassirov, der vor seinem Management-Posten Aserbaidschan bei der Uno vertrat, nimmt es locker: «Es gab eine Menge Angebote. Wir wollten aber, dass etwas Populäres und Bekanntes vom Schweizer Markt zum Zug kommt.»

«Man muss nicht unbedingt kaufen, sondern kann auch Allianzen eingehen»

Zuletzt hatte Socar in der Schweiz für Diskussionen gesorgt, weil das Unternehmen beim Verkauf der Petroplus-Raffinerie Cressier nicht punktete. Nassirov versteht die Aufregung nicht. Man habe faktisch gar nicht an der Ausschreibung teilgenommen. Man brauche zwar für einen möglichst einträglichen Betrieb des Tankstellennetzes eine eigene Raffinerie. «Aber vor dem Kauf muss man den technischen Zustand, die Effizienz und die Nutzbarkeit für den Verkauf der Produkte auf dem Schweizer Markt berücksichtigen.» Und so sei es gekommen, dass man einen Kauf von Cressier zwar «in Betracht gezogen», eine Teilnahme an der Ausschreibung zum gegebenen Zeitpunkt aber nicht für nötig gehalten habe.

Cressier bleibe aber auf dem Radar, genau wie die Tamoil-Raffinerie in Collombey. «Man muss ja nicht unbedingt kaufen, sondern kann auch Allianzen eingehen oder an etwas teilnehmen, was mit der Raffinerie verbunden ist. Es gibt massenhaft Varianten», sagt Nassirov. Socar prüfe aber auch Raffinerien in den Nachbarländern der Schweiz: «Der Prozess läuft parallel.» In der Schweiz betreibt Socar bereits seit einiger Zeit die Handelstochter Socar Trading und hält die Hälfte der Firma Supra Investments.

Wie ernst es die Aseris mit ihrem Engagement in der Schweiz meinen, zeigt sich nicht nur in der Übernahme der Esso-Tankstellen. Socar ist seit letztem April der neue Sponsor des Montreux Jazz Festival, eines der traditionellsten Musikereignisse des Landes überhaupt. Der Deal kam aber nicht überall gut an. Nichtregierungsorganisationen kritisierten ihn und verwiesen auf Menschrechtsverletzungen in Aserbaidschan.

Aserbaidschan deckt die Hälfte des israelischen Ölbedarfs

Diplomat Nassirov bleibt während des Gesprächs immer freundlich, weicht heiklen Antworten aus. Nur einmal wird er zornig. Gefragt, ob er sich nicht vor Boykotten in der Schweiz fürchte, weil in Aserbaidschan Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung und Demokratiedefizite allgegenwärtig sind, donnert es aus ihm heraus: «Wenn uns der Westen in Wertefragen belehren will, dann soll man sich daran erinnern, wer 1918 als erster Staat allen Bürgern, und zwar auch Frauen, ohne Rücksicht auf ethnische oder religiöse Zugehörigkeit, das Wahlrecht gegeben hat!» Aserbaidschan habe einen Fünftel seines Territoriums im Krieg mit Armenien verloren und sei im Unterschied zur Schweiz nicht von friedlichen Ländern umgeben. «Dass ein Land trotzdem innert zwei Jahrzehnten solch wirtschaftliche und demokratische Veränderungen hingelegt hat, macht mich stolz.»

Die Veränderungen wurden vor allem auch wegen des Schwarzen Goldes möglich. Öl ist Aserbaidschans wirtschaftliches Schmiermittel. Mit der Ölpipeline BTC von Baku zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan, welche BP und Socar 2005 eröffneten, begann sich die Ex-Sowjetrepublik aus der geographischen Isolation beim Ölexport zu befreien. 2011 hat Aserbaidschan 45,6 Millionen Tonnen Öl gefördert. Das ist zwar weniger als die geplanten 50 Millionen, aber doch drei Mal so viel wie vor zehn Jahren. Laut der Statistical Energy Review von BP verfügt das vorderasiatische Land über 0,5 Prozent aller nachgewiesenen Ölreserven und liegt damit gleichauf mit Norwegen.

Heute deckt Aserbaidschan die Hälfte des israelischen Ölbedarfs, ist zum sechstgrössten Lieferanten Deutschlands aufgestiegen, ist stark in der Türkei und in Georgien investiert. Und das Land deckt seit Ausbruch der Libyen-Krise einen guten Drittel des schweizerischen Ölbedarfs.

Neues Gas für Europa

Neben Öl verfügt Aserbaidschan über Gas, welches das Land gerne in den Westen liefert. «Der Gasexport bedeutet für uns eine Verbindung zu Europa und damit den Zugang zum einzigen freien Markt. Für Europa aber bedeutet es Energiesicherheit», erklärt Nassirov. Vor allem ab 2018. Dann beginnt die zweite Förderphase für das riesige Gasfeld Shah-Deniz. Sie soll dem jetzigen Fördervolumen von 9 Milliarden Kubikmetern weitere 16 Milliarden hinzufügen. 6 Milliarden sind für die Türkei vorgesehen, der Rest für Westeuropa.

Mit dem zusätzlichen Gas aus Shah-Deniz soll die diskutierte neue Pipeline nach Europa befüllt werden. Noch ist offen, wo sie verläuft und welchen Namen sie letztlich trägt. Und noch will Nassirov die von der EU forcierte Nabucco-Pipeline von Aserbaidschan nach Österreich nicht gänzlich abschreiben. Für sehr wahrscheinlich freilich scheint auch er sie nicht mehr zu halten. Denn die Zeit dränge und das Shah-Deniz-Konsortium würde die sogenannte Transanatolische Pipeline (Tanap) durch die Türkei bevorzugen. «Wir hoffen, dass die bindende Vereinbarung mit der Türkei bis Ende Juni steht», sagt Nassirov: «Tanap wäre anfänglich billiger als Nabucco, könnte dann aber erweitert werden, um Gas auch aus anderen Lagerstätten aufzunehmen.»

Nicht gelöst ist damit die Frage, ob das Gas aus der Westtürkei über die von BP forcierte Pipeline nach Österreich oder über die von der Schweizer EGL gemeinsam mit Statoil und E.on Ruhrgas geplante Trans-Adriatic Pipeline (TAP) nach Süditalien fliessen wird. Die Entscheidung fällt nächstes Jahr.

 

Migrolino: Auch Migros wollte Essos Tankstellen

Gescheiterte Offerte
Auch die Migros interessierte sich für die Esso-Tankstellen. «Esso hat seine Schweizer Organisation im Rahmen eines internationalen Bieterverfahrens – an dem auch die Migros teilgenommen hatte – angeboten und verkauft», bestätigt ein Migros- Sprecher zum ersten Mal offiziell. Gemäss Informationen der «Handelszeitung » wirkte der orange Riese in einem Konsortium mit. Nachdem er bei den Tankstellen leer ausging, verhandelte die Tochter Migrolino mit Socar über den Betrieb der Tankstellen-Shops und erhielt den Zuschlag für 55 Läden.

Franchising-Konzept
Die Migros lancierte das Convenience-Konzept Migrolino vor vier Jahren und verfügt mit dem Socar-Deal über 230 Standorte an SBB-Bahnhöfen, attraktiven Citylagen, Tankstellen oder Raststätten. Der Detailhändler betreibt die Läden nicht selbst. Er ist Konzeptgeber, stellt die Marke zur Verfügung und liefert die Produkte.

Schwierige Logistik
Logistisch birgt die Belieferung der Convenience-Shops Schwierigkeiten. Werden die grossflächigen Migros-Filialen mit ganzen Paletten beliefert, sind für die kleineren Migrolino-Läden Rollcontainer im Einsatz. Dieser Kleinmengenlogistik musste sich der Detailhändler erst anpassen. Seit Januar betreibt Migrolino darum in Suhr AG ein eigenes Verteilzentrum. Darüber werden alle Produkte vertrieben – Eigenmarken wie Markenartikel. Damit könnten Qualität und Handhabung der Logistik wesentlich verbessert werden, so Migrolino. (bv)