Robert Roth ist ein exemplarischer Social Entrepreneur: Seine Job Factory in Basel integriert Jugendliche in die Arbeitswelt und verhindert, dass sie sich in den Mühlen der Sozialinstitutionen verfangen. Die Job Factory wird nicht nur durch Finanzspritzen am Leben erhalten, sondern setzt mit eigenen Profitzentren jährlich 13 Millionen Franken um. Zu diesen Profitzentren gehören unter anderem ein eigenes Warenhaus, ein Restaurant, ein Montage- und Printbereich, in dem Druckaufträge für Novartis und KMU erledigt werden.

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Die Jugendlichen sollen nicht in der Job Factory sesshaft werden, sondern nach einem sechs- bis zwölfmonatigen Praktikum hinaus in die «normale» Arbeitswelt. Um ihnen diesen Schritt zu erleichtern, werden sie geschult – in Mathematik, Deutsch und durch Bewerbungstrainings. Rund achtzig Prozent der Jugendlichen schliessen das Praktikum nach sechs Monaten bis einem Jahr erfolgreich ab. Siebzig Prozent von ihnen finden einen Job oder eine Lehrstelle. Aus all diesen Gründen ist Robert Roth von einer Jury – darunter Mobiliar-CEO Urs Berger, Professor Peter Gomez von der Universität St. Gallen und CVP-Präsidentin Doris Leuthard – zum Schweizer Social Entrepreneur des Jahres 2005 gewählt worden.

Über zwanzig Schweizer Kandidaten haben sich bei der Schwab Foundation
als Social Entrepreneurs beworben. Die Voraussetzungen: Die Kerntätigkeit der Organisation soll einem sozialen Zweck dienen. Zugleich soll die Organisation eine eigene Wertschöpfung erzielen. Wenn also ein klassisches Unternehmen ein Kinderheim sponsert, dann erfüllt es die Voraussetzungen nicht. Ebenso wenig, wenn eine sozial tätige Organisation ausschliesslich mit Spendengeldern finanziert wird. Eine weitere Voraussetzung ist, dass die Idee auf andere Städte oder kulturelle Umfelder übertragbar ist.

Bereits in den neunziger Jahren machte sich WEF-Gründer Klaus Schwab Gedanken über soziales Unternehmertum. Er wollte die Leute ans WEF holen, die an den Themen arbeiten, über die unter anderem in Davos gesprochen wird – Wohlstandsgefälle, Hunger, Arbeitslosigkeit. «In der Öffentlichkeit hat man diese Menschen kaum wahrgenommen», sagt Schwab. Dies möchte er ändern. Also hat er den Begriff Social Entrepreneur eingeführt, der deutlich jünger ist als das Phänomen, das er bezeichnet.

Seit fünf Jahren werden solche Social Entrepreneurs in verschiedenen Ländern gewählt und ans WEF nach Davos eingeladen. Die insgesamt über achtzig Social Entrepreneurs bilden ein globales Netzwerk, das sich durch gegenseitigen Informationsaustausch professionalisiert und durch die Präsenz am WEF Nähe zu Grossunternehmen findet. Es ergeben sich Synergien, wenn etwa Mel Young, Gründer der Obdachlosen-Fussballweltmeisterschaft, mit Fifa-Boss Joseph Blatter an einem Podiumsgespräch teilnimmt.

Über zwanzig neue Social Entrepreneurs wurden im Jahr 2005 ins Netzwerk der Schwab Foundation aufgenommen. «Vor wenigen Jahren war ein Held, wer in kurzer Zeit Millionen machte», sagt Schwab. Social Entrepreneurs waren Exoten und Bittsteller. Jetzt bezeichnet Schwab die Social Entrepreneurs als Helden des WEF. Das Ganze einfach als PR-Gag zu bezeichnen, wäre ein bisschen zu einfach. Denn was auch immer die Absicht sein mag, das Resultat ist aus utilitaristischer Sicht sinnvoll: Die Betroffenen haben einen Nutzen davon. Und Schwab antizipiert eine Entwicklung, die früher oder später eine grosse gesellschaftspolitische Bedeutung erlangen dürfte, zumal die Finanzierung unseres Sozialstaates auf längere Frist nicht gewährleistet ist. Die soziale Verantwortung verlagert sich somit vom Umverteilungsprogramm auf der Makro- hin zum Engagement auf der Mikroebene – so wie dies in den USA gehandhabt wird.

«Die wahren Probleme werden in unseren Gesellschaften nicht mehr gelöst, sondern an die verantwortlichen bürokratischen Stellen abdelegiert», sagt André Habisch, Professor für Sozialethik an der Universität Eichstätt. Die Kontakte zwischen herkömmlichen und sozialen Unternehmern eröffnen spannende Möglichkeiten. «Das Problem ist doch, dass die besten Köpfe in die Privatwirtschaft gehen und dort Hundefutter und Schuhcrème verkaufen», sagt Habisch, der ebenfalls am Treffen der Social Entrepreneurs in Davos
anwesend ist.

Wenn soziales Engagement eine Wertschöpfung herstellt, bleibt es nicht abhängig von Mäzenen. Das traditionelle Modell der Wohltätigkeit, dessen Ursprünge in der religiösen Almosengabe liegen, kann so überwunden werden.

Gegen jenes Modell gibt es an sich wenig einzuwenden, ausser dass die Almosengabe bestehende Abhängigkeiten verhärtet. Im Gegensatz zur traditionellen Umverteilung auf Makroebene soll soziales Unternehmertum die ökonomische Mikroebene beleben. Aber erst befreit vom Birkenstock-Sandalen- und vom Drittweltlädeli-Mief, wird es zur Herausforderung für MBA-Absolventen. Und damit sich auch wirklich etwas ändert, braucht es nicht ideologische Weltverbesserer, sondern Pragmatiker mit betriebswirtschaftlichem Know-how.

Es braucht Menschen wie Gisele Yitamben aus Kamerun, die einst in Strassburg Ökonomie studierte. Bereits Ende der achtziger Jahre gründete sie in Kamerun ein Institut für Mikrofinanzierungen. Kleine Händler in ländlichen Gebieten bringen abends ihre Tageseinnahmen zur Bank und müssen folglich ihren Ertrag nicht solidarisch teilen, sprich: die Trinktouren eines Onkels finanzieren. Das Kapital, das Gisele Yitamben erwirtschaftet, setzt sie für ihr IT-Trainingsinstitut in Kamerun, Kongo, Benin und Tschad ein, an dem inzwischen über 5000 Frauen ausgebildet worden sind. Ein ökonomisches System, das sich aus eigenen Ressourcen reproduziert.

Das Beispiel der mexikanischen Bank Compartamos zeigt, dass solche Mikrofinanzierungsinstitute nicht einfach Nischenmärkte sind. Compartamos-Boss José Avalos Hernandez hatte kürzlich ein Übernahmeangebot einer internationalen Bank vor sich liegen. Weil deren Interesse ausschliesslich darauf beruhte, dass seine Bank mit 500 000 Kunden 200 Millionen Dollar Umsatz macht und schwarze Zahlen schreibt, verkaufte Hernandez nicht. Er sah die Idee gefährdet.

Armut, sagt José Avalos Hernandez, sei ein komplexes Phänomen und die Aussagekraft jeder methodischen Quantifizierung bleibe begrenzt. Er definiert Armut als Mangel an Möglichkeiten. Es gehe in erster Linie darum, Lösungen zu schaffen – und nicht durch Umverteilung Defizite zu kompensieren. Einer seiner Lösungsansätze neben Compartamos ist das Projekt Mi Tienda, ein Distributionssystem, bei dem Händler kleinere Mengen einkaufen und folglich – insbesondere bei Frischwaren – weniger Verluste und eine höhere finanzielle Liquidität haben. «Das kostet niemanden etwas, wir erhöhen lediglich die Effizienz», sagt Hernandez.

Soziale Unternehmer bedienen sich also derselben Mittel wie herkömmliche Unternehmer. Natürlich werden Kritiker dies als weitere Verbreitung des kapitalistischen Systems anprangern. Natürlich kann man wie der Philosoph Slavoj Zizek sagen, dass der Kapitalismus den Schaden, den er zuerst anrichtet, mit solchen Massnahmen wieder repariert. Das mag eine wahre Erkenntnis sein, die aber sehr wenig zur Verbesserung der Lebenssituation der Betroffenen beiträgt.

Der Wissenstransfer verläuft nicht einseitig von der Ersten in Richtung Dritte Welt. Alle im Netzwerk betreiben Benchmarking. In Westeuropa kann man einiges von Projekten in der Dritten Welt lernen, die knapp budgetiert sind. Wertschöpfung wird dort durch Effizienzsteigerung und Volumenerhöhung erreicht.

In Indien ist man in dieser Hinsicht sehr innovativ, wie der MBA-Absolvent Thulasiraj Ravilla mit seinem Aravind Eye Hospital zeigt. In Indien erblinden Millionen Menschen wegen des grauen Stars – obwohl sich die Krankheit ganz leicht operativ behandeln lässt. Im Aravind Eye Hospital werden pro Jahr 1,4 Millionen Augenoperationen durchgeführt. Zwei Drittel der Patienten bezahlen nichts. Wer umsonst behandelt wird, verzichtet auf jeden denkbaren Komfort, hat aber Anspruch auf dieselben Operationen und Medikamente wie die zahlenden Patienten. Möglich ist die Querfinanzierung nur wegen der äusserst hohen Volumina an Patienten. Dies ist auch relevant für uns: Muss wirklich in jedem Provinzspital in dieselben modernen Technologien investiert werden? Würde nicht eine Spezialisierung und folglich eine höhere Auslastung einzelner Technologien zu Kostenvorteilen führen?

Was die Multiplikation angeht, ist auch das Modell von Robert Roth zukunftsträchtig. Zurzeit werden Job Factorys in Bern und Freiburg realisiert. «Wir sind keine Holding, die das Modell vorantreibt, sondern wir suchen geeignete Partner mit gutem Know-how», sagt Robert Roth. In ländlichen Gegenden brauche es kein eigenes Warenhaus mit hohen Fixkosten, sondern eine Drehscheibe, die eng mit KMU kooperiere.

Die Sozialversicherungen seien vor dem Hintergrund der Vollbeschäftigung geschaffen worden, sagt Roth. Man habe lange auf eine Erholung der Konjunktur gehofft, welche die Leute wieder in die Arbeitswelt integriere. «Aber selbst wenn wir drei bis vier Prozent Wachstum haben, bleibt das wegen laufender Rationalisierungsprozesse praktisch ohne Folgen für die Arbeitswelt.» Deshalb könne man nicht mehr ausschliesslich auf Sozialwerke bauen, deren Finanzierung langfristig nicht gewährleistet sei, sagt Roth. «Wir müssen das Problem im Markt selbst lösen, indem wir unsere Aktivitäten mit Wertschöpfung verbinden und die Leute mit günstigen Rahmenbedingungen in die Arbeitswelt integrieren. Wir brauchen Firmen, die da mitmachen.»

Schon in den achtziger Jahren gründete Robert Roth in Basel eine Stiftung namens Weizenkorn, eine geschützte Werkstatt: Er brachte in den Werkstätten Jugendliche unter, die bereits im Dunstkreis der IV-Rente waren. Gegen Ende der neunziger Jahre tauchte ein neues Problem auf: Jugendliche fanden keinen Einstieg mehr in die Arbeitswelt, besonders dann, wenn sie einen ausländisch klingenden Namen trugen. Roth empfindet es als fatalen Fehler, junge und gesunde Menschen Sozialämtern zuzuweisen. Diese Situation brachte ihn auf die Idee der Job Factory. Wie sich Jugendarbeitslosigkeit auswirken könne, dies habe man bei den Unruhen in den französischen Vorstädten gesehen.

Die Job Factory ist den Gesetzen des Marktes ausgesetzt; die 15 Arbeitsfelder müssen ihre Umsätze generieren. Um einen soliden Eigenkapitalwert der Job Factory zu erreichen – derzeit steht er bei 20 Prozent –, braucht Robert Roth Unterstützung. Er bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Ökonomie und sozialer Verantwortung, relativiert aber den scheinbar unüberwindbaren Dualismus, der diesen beiden Feldern zu Grunde liegt. «Sollten Ökonomen denn nicht auch die Fürsorger einer Gesellschaft sein?»