Privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen müssen Gewinne erwirtschaften, profitabel sein. Dazu verpflichtet sie der Gesetzgeber, und es ergibt sich dies auch aus dem Zwang der Märkte. Denn ein Unternehmen, das auf Dauer nicht kommerziell Erfolg hat, ist über kurz oder lang dem Untergang geweiht.
Im letzten Jahrzehnt wurden die Apologeten der freien Marktwirtschaft nicht müde, unter dem Stichwort Shareholder-Value zu proklamieren, die Schaffung von Mehrwert für den Aktionär sei das alleinige Ziel eines börsenkotierten Unternehmens.
Seit der Jahrtausendwende liegen die Gewichte anders: Die ausschliessliche Orientierung an der ökonomischen Bottom Line – also am Reingewinn – ist abgelöst worden durch den Triple-Bottom-Line-Ansatz: Nicht nur die Leistungen zu Gunsten der Investoren sollen zählen, sondern ebenso der Leistungsausweis hinsichtlich des Umweltverhaltens (Environmental Responsibility) und die Verantwortung gegenüber dem gesellschaftlichen Umfeld (Social Responsibility). Es sollten die Interessen aller durch unternehmerische Tätigkeit Betroffenen berücksichtigt werden. Und allerneuestens scheint das Hauptinteresse bei der sozialen Verantwortung von Unternehmen zu liegen.
Hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden? Selbst wenn dies zunächst so scheint: Ich glaube, nein. Denn die Denkansätze Shareholder-Value versus Stakeholder-Value sind keineswegs so unvereinbar, wie der erste Blick glauben macht. Ganz im Gegenteil: Sie ergänzen sich, sind miteinander verbunden, sind «Ying und Yang». Dies jedenfalls dann, wenn man grössere Unternehmen, die auch auf lange Sicht erfolgreich sein wollen, im Fokus hat. Denn längerfristig – nachhaltig – wird ein Unternehmen ökonomisch nur dann erfolgreich sein, wenn es sich gegenüber seinem Umfeld verantwortungsbewusst zeigt. Aber auch umgekehrt: Unternehmen, die nicht Gewinn machen, werden auf Dauer nicht überleben, und dann können sie auch keine soziale Verantwortung tragen, sondern stellen im Gegenteil eine Belastung für ihr Umfeld dar. Publikumsgesellschaften werden daher gut daran tun, ihre soziale Verantwortung wahrzunehmen.
Was heisst das nun aber konkret, dass Unternehmen ihre soziale Verantwortung wahrnehmen sollen? Darüber macht man sich in einem verklärten Blick auf das Hehre, Schöne und Gute nicht selten falsche Vorstellungen:
In aller erster Linie muss die soziale Verpflichtung eines privatwirtschaftlichen Unternehmens darin bestehen, die eigene Arbeit gut zu machen oder – marktwirtschaftlich definiert – seine Dienstleistungen und/oder Produkte effizient und in der richtigen Qualität bereitzustellen, am Markt abzusetzen und so Gewinn zu erwirtschaften. Dadurch sichert es sein Überleben. Dadurch leistet es aber auch einen Beitrag – seinen ganz spezifischen – an das soziale Umfeld.
Lassen Sie mich dies am Beispiel des Unternehmens, in dem ich tätig bin, illustrieren: Die Swiss Re ist als Teil der Versicherungsbranche dazu da, gegen angemessenes Entgelt vor übermässigen und unvorhersehbaren Risiken Schutz zu bieten. Sie hilft Unternehmen wie Privaten, sich gegen unerwartete Schicksalsschläge abzusichern, ihr Kapital nutzbringend einzusetzen, statt es als Risikopuffer auf die hohe Kante legen zu müssen. Dies ist die Value-Proposition der Swiss Re und anderer Versicherer und Rückversicherer, daran verdienen sie Geld, und damit leisten sie auch einen Beitrag an die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft.
Daneben steht das Sponsoring, bei dem schon auf den ersten Blick offenkundig ist, dass es dem sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Umfeld dient. Aber aus Sicht der Unternehmung wird Sponsoring nicht bloss als Dienst an der Allgemeinheit betrieben: Vielmehr geht es darum, einen Gegenwert zu erhalten – in der Form von Geschäftschancen und vor allem in der Steigerung des wohl wichtigsten Aktivums einer Unternehmung, das freilich in keiner Bilanz aufscheint: der Reputation.
Sponsoring ist nur glaubhaft, wenn es mit der Unternehmenstätigkeit im Einklang steht. Im Falle der Swiss Re bedeutet dies etwa, dass wir uns beim Thema Klimawandel engagiert haben. Global Warming ist für uns genauso eine zentrale Herausforderung wie für die Allgemeinheit. Wenn wir uns dafür einsetzen, dass die CO2-Belastung der Umwelt reduziert wird, dass strenge Energieeffizienz-Standards Anwendung finden und dass die Awareness für die möglichen Folgen des Klimawandels geschärft wird, dann haben wir daran durchaus ein eigenes Interesse. Aber wir erbringen damit auch eine Dienstleistung für Umwelt und Gesellschaft.
Am Thema Klimawandel lässt sich übrigens gut illustrieren, wie Geschäftstätigkeit und Sponsoring Hand in Hand gehen können. Swiss Re begegnet der Herausforderung des Klimawandels mit einer Politik, die vier Bereiche umfasst:
Erstens versuchen wir, das Phänomen und die damit verbundenen Risiken genau zu verstehen. Zu diesem Zweck arbeiten wir auch mit externen Organisationen zusammen: mit der Harvard University, dem Nationalen Forschungsschwerpunkt Klima (NFS Klima) oder dem Entwicklungsprogramm der Uno.
Zweitens bemühen wir uns, unsere Kunden und die Öffentlichkeit auf die Risiken hinzuweisen, die der Klimawandel birgt. In diesem Zusammenhang sind unsere einschlägigen Fachpublikationen und die Veranstaltungen, die wir zusammen mit Dritten organisieren, zu erwähnen.
Drittens untersuchen wir Möglichkeiten, spezifische Rückversicherungslösungen zu erarbeiten und andere Geschäftschancen wahrzunehmen, etwa im Rahmen der im Aufbau befindlichen Systeme für den Handel mit Emissionszertifikaten.
Viertens schliesslich wollen wir das eigene Haus in Ordnung halten. Viele Immobilien im Besitz der Swiss Re sind nach strengen Energieeffizienz-Standards gebaut oder renoviert worden. Auch Büroeinrichtungen und -maschinen müssen solchen Kriterien genügen. Und 2003 haben wir als erster grosser Finanzdienstleister ein Zehn-Jahre-Programm lanciert, um CO2-neutral zu werden.
Zu den geschäftlichen Aktivitäten und zum Sponsoring kommt ein drittes Element im Dienst der Allgemeinheit hinzu: Auch einer juristischen Person ist es nicht verboten, ein verantwortungsbewusster Bürger zu sein. Mäzenatentum und karitative Tätigkeit stehen auch einem Unternehmen, wenn es sich dies leisten kann, wohl an. Aber sie müssen sich in engen Grenzen halten, denn letztlich ist es am Aktionär zu entscheiden, wie die Unternehmensgewinne zu verwenden sind. Und keinesfalls dürfen Vergabungen dazu dienen, dass Manager oder Verwaltungsräte von Publikumsgesellschaften mit Firmengeldern persönlichen Hobbys frönen.
Durch alle drei Komponenten – effiziente Geschäftstätigkeit, Sponsoring und Donations – dient ein Unternehmen der Allgemeinheit, nimmt es seine soziale Verantwortung wahr. Aber es legt damit auch die Basis für seinen eigenen nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg. Was kurzfristig und vordergründig als unvereinbar erscheint, steht daher in einer langfristigen Betrachtung im Einklang.
Peter Forstmoser ist Präsident des Verwaltungsrates der Swiss Re. Der Text ist Teil einer BILANZ-Serie über Social Management und Wettbewerbsfähigkeit. Zum Thema «Allianzen in der Arbeitsintegration: Mehrwert auch für Unternehmen?» findet zudem am 9. November im Schulhaus Im Birch, Zürich Oerlikon, eine Veranstaltung statt, an der an Workshops und Podien das Thema mit Exponenten aus Wirtschaft und Wissenschaft erörtert wird.