Kabine abgestürzt, Verletzte oder gar Tote? FDP-Ständerat Hans Hess rechnete mit dem Schlimmsten, als ihn am zweitletzten Tag der vergangenen Sommersession Albert Wyler anrief. «Etwas Furchtbares ist passiert, eine Katastrophe», erzählte der Geschäftsführer der Bergbahnen Engelberg-Trübsee-Titlis seinem Verwaltungsratspräsidenten am Telefon. Man habe eben festgestellt, dass mehrere Millionen in der Kasse fehlten.
Für die Verantwortlichen der grössten Arbeitgeberin der Region kam die Hiobsbotschaft äusserst ungelegen. In einer Gegend, wo jeder jeden kennt und die Bahnchefs unter besonderer Beobachtung stehen, sorgen solche Vorfälle für unschönen Dorfklatsch. Die lokale Politprominenz, mit den Bahnen eng verbandelt, steht gleich noch mit im Rampenlicht.
Seit Monaten laufen nun die strafrechtlichen Ermittlungen. Noch vor der Aktionärsversammlung vom 15. April will die zuständige Verhörrichterin Ergebnisse präsentieren. Zu ihren bisherigen Erkenntnissen schweigt sie hartnäckig.
Doch bereits steht fest, dass die Behörden nicht nur das Management der Bahn ins Visier nehmen. Sie prüfen derzeit auch die Verantwortlichkeiten der Revisionsstelle. Im Auftrag der Verhörrichterin untersucht das Wirtschaftsprüfungsunternehmen Balmer-Etienne die Rolle von PricewaterhouseCoopers, bestätigen mehrere Insider gegenüber der «Handelszeitung». Der Revisionsriese kontrolliert die Bücher der Bergbahnen Engelberg-Trübsee-Titlis seit 1963.
Was wussten die Revisoren? Beanstandeten sie in dieser Zeit die internen Kontrollsysteme und Abläufe?
Offizielle Anworten gibt es noch keine. Immerhin ist das Ausmass des finanziellen Schadens mittlerweile bekannt. Wie das Unternehmen Ende Januar mitteilte, hatte der Finanzbuchhalter seit April 2009 «eigenmächtig» kleinere und ab Januar 2010 grosse Beträge in eine «vermeintlich seriöse asiatische Investmentgesellschaft» investiert. Diese habe sich jedoch als «mafiöses Konstrukt» herausgestellt. Deliktsumme: 10,4 Millionen Franken.
Als die Sache im Juni 2010 aufflog, wurde der fehlbare Mitarbeiter, der als neuer Finanzchef vorgesehen war, fristlos entlassen. Die Bergbahnen Engelberg-Trübsee-Titlis reichten Strafanzeige ein. Gleichzeitig versucht das Unternehmen seither, über das Justizdepartement von Macau an die veruntreuten Gelder heranzukommen. In der Jahresrechnung 2009/10 wurde der Betrag jedoch schon mal abgeschrieben - «vorsichtshalber», wie der Verwaltungsrat im Rapport schreibt.
Ein Schweizer Kompromiss
Dass sich die Scheinwerfer jetzt auch auf die Revisionsgesellschaft richten, erstaunt nicht. Denn bereits nach dem Bekanntwerden des Falles im vergangenen Sommer hagelte es Kritik. So schrieb ein Leser auf der Webseite des «Tages-Anzeigers»: «Nach derartigen Ereignissen fragt man sich jeweils, wozu die teuren externen Rechnungsprüfer gut sind.» Und ein anderer empfahl der Revisionsstelle, «die Unternehmung einmal auf die drei Buchstaben IKS anzusprechen, die man in Engelberg offenbar nicht kennt».
IKS, damit wird im Revisorenjargon das interne Kontrollsystem bezeichnet. Dessen Wirken ist seit dem 1. Januar 2008 neu geregelt (siehe Kasten). Im Vorfeld der parlamentarischen Diskussionen fand dazu eine ausserordentlich harte Auseinandersetzung statt. Das Endresultat entsprach einem gut schweizerischen Kompromiss.
Die Revisionsstelle prüft heute darum nur, ob ein internes Kontrollsystem existiert. Ob dieses auch funktioniert, sagt ihr Testat nicht. Ursprünglich wollte der Bundesrat deutlich mehr. Das Justizdepartement gelangte im Nachgang zu den milliardenschweren Bilanzskandalen von 2001 und 2002 in den USA zum Schluss, dass mangelnde interne Kontrollprozesse zu den Fehlentwicklungen geführt hatten. In der Folge beantragte der Bundesrat, den Stellenwert des internen Kontrollsystems zu erhöhen. Er schlug vor, dass die Revisionsstelle nicht nur die Existenz eines Systems, sondern auch sein Funktionieren bestätigen sollte.
Der Revisionsbranche ging dies jedoch zu weit. Der Antrag des Bundesrats greife zu tief in die Verantwortlichkeit des Verwaltungsrats ein und verursache zu hohe Kosten. Die Treuhand-Kammer schlug gar vor, das interne Kontrollsystem und seine Existenzprüfung nur für Publikumsgesellschaften vorzuschreiben.
Das hartnäckige Lobbying führte schliesslich zum Erfolg. Die heutige Regelung passierte die Räte oppositionslos, was angesichts des vorangegangenen Kampfes hinter den Kulissen erstaunlich ist. Auch Titlis-Bahn-Präsident Hess stimmte damals im Ständerat der fraglichen Änderung des Obligationenrechts zu.
Er sei überzeugt gewesen, dass das interne Kontrollsystem seiner Unternehmung in Ordnung gewesen sei, sagt Hess heute. Doch der Betrugsfall belehrte ihn eines Besseren: «Der Verwaltungsrat ist sich bewusst, dass das Vieraugenprinzip missbraucht wurde und die Kontrolle in der Unternehmensleitung versagt hat.» Denn höchst wahrscheinlich hat bei der Bergbahnen Engelberg-Trübsee-Titlis erst den Betrugsfall ermöglicht, was der Wirtschaftsprüfer Roland Furger als eine der Todsünden im internen Kontrollsystem bezeichnet - der sorglose Umgang mit Passwörtern und Zugangsberechtigungen (siehe HZ vom 3. Februar).
Mittlerweile erhält Hess bereits viele Anfragen von Unternehmen, «die wissen wollen, wie das alles bei uns passiert ist». Offenbar besteht vor allem bei kleineren und mittleren Firmen ein erheblicher Informationsbedarf.
Ständerat gibt sich geläutert
Vor dem Hintergrund der gemachten Erfahrungen gibt sich Hess inzwischen geläutert. Der Verwaltungsratspräsident und Ständerat räumt indirekt politische Fehler ein. Er hält es nicht für «abwegig», wenn die Revisionsstelle künftig auch das Funktionieren des internen Kontrollsystems überprüfen würde. Konkret meint er das «Vieraugenprinzip». Dazu bräuchte es allerdings die Revision des Gesetzes.
Selbst bei einer Änderung könnten sich allerdings Verwaltungsrat und Geschäftsführung nicht aus der Verantwortung stehlen. Daran erinnert jener Engelberg-Titlis-Trübsee-Aktionär, der gemäss der «Neuen Luzerner Zeitung» der Geschäftsleitung vorwirft, sie habe ihre Aufsichtspflicht «sträflich» vernachlässigt. Er wolle klagen, sofern die Auskünfte an der Generalversammlung ungenügend seien. PricewaterhouseCoopers will sich zum Fall nicht äussern - «weil wir über Kundenbeziehungen generell nicht reden dürfen», wie ein Sprecher erklärt.
Der Verwaltungsrat plant derweil einen Befreiungsschlag. Er will das Revisionsmandat an BDO Visura vergeben. Geschäftsführer Albert Wyler soll seinen Sitz im Verwaltungsrat räumen. Ob das reicht, wird sich am 15. April vor Gericht zeigen.