Gelb leuchtet der Rauch, der die Rakete umnebelt. Ein Sprecher zählt auf französisch rückwärts. Dann schiesst die russische Sojus-Rakete von Europas Weltraumbahnhof in Französisch-Guyana Richtung All. Es ist der 21. Oktober 2011, 12.30 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Über den reibungslosen Start freuen sich auch die Angestellten des Unternehmens Spectratime, die in einem Pausenraum in Neuenburg vor einer Leinwand sitzen. «Wir sind sehr glücklich, dass es jetzt endlich geklappt hat», sagt Firmengründer und Chef Pascal Rochat.

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Der Start der Rakete war mehrfach hinausgeschoben worden. Das liess die Spannung beim Unternehmen steigen, denn an Bord befinden sich die ersten zwei Satelliten des europäischen Navigationssystems Galileo. In diesen stecken je vier Atomuhren mit dem Siegel «Made in Switzerland». Spectratime, das seit 2003 zur französischen Firmengruppe Orolia gehört, hat jahrelang an diesen Uhren geforscht, sie getestet, gebaut und weiterentwickelt. «Jetzt sind sie weg», sagt Daniel Boving, der das Projekt der Wasserstoff-Atomuhren für Galileo leitet.

Spectratime hat sich in den 16 Jahren seit der Gründung zu einem Weltmarktführer bei Atomuhren entwickelt. Sie können die Zeit besonders exakt messen, weil sie sich auf die Beobachtung von Spaltungsvorgängen bei Atomen stützen.

Über Jahre tüftelte Spectratime an den «stabilsten Uhren der Welt», wie sie Firmenchef Rochat nennt. Wer sich jetzt eine Uhr mit Zifferblatt und Zeigern vorstellt, liegt falsch. «Die Bezeichnung ‹Uhr› ist eigentlich nicht ganz treffend», meint Projektleiter Boving. Er beschreibt die Kästen aus Aluminium und Titan als eine Art Taktgeber, ein Metronom, das aber nie aus dem Takt gerät. «In drei Millionen Jahren gehen unsere Atomuhren nur eine Sekunde vor oder nach», erklärt Rochat. Kaum etwas kann sie aus dem Rhythmus bringen. Weder der Raketenstart, bei dem die Atomuhren richtig durchgeschüttelt werden, noch der Moment, in dem sich die Satelliten mit einem Knall von der Rakete lösen. Auch die Temperaturschwankungen, welchen die Atomuhr auf ihrer Reise in und durchs All ausgesetzt ist, können ihr nichts anhaben. Das hat Spectratime im Versuchslabor getestet.

Alternative zu GPS

Sind die Uhren im All, können sie nicht mehr gewartet werden. Die Frequenz muss stimmen. «Unsere Uhren sind während mindestens 15 Jahren absolut stabil», sagt Rochat. Mindestens zwölf Jahre sind zwingend, das ist die Lebensdauer der Galileo-Satelliten. Galileo ist als Alternative zu anderen Navigationssystemen geplant, insbesondere zum amerikanischen GPS. 2020 soll das System mit 30 Satelliten voll einsatzfähig sein. Es wird mindestens 6,5 Milliarden Franken kosten.

Ohne stabil laufende Uhren kann das System aber nicht funktionieren. Die Satelliten senden ständig Informationen über die eigene Position und die genaue Uhrzeit zur Erde. Ein Navigationsgerät kann dann aufgrund der Daten seine eigene Position berechnen. Schon minime Abweichungen von der genauen Zeit verfälschen die Ortung völlig. Fällt die Uhr aus, wird der millionenteure Satellit unbrauchbar. Um dies möglichst auszuschliessen, sind die Satelliten mit zwei Uhrensystemen ausgestattet, wovon eines als Reserve dient. Ein Uhrensystem besteht jeweils aus einer Rubidium-Atomuhr und einer Wasserstoff-Atomuhr. «Diese beiden Uhrentypen ergänzen sich perfekt», erklärt Boving. Die langfristig stabile Wasserstoff-Uhr ist dabei bedeutend aufwendiger in der Herstellung und daher auch teurer. An ihrer Entwicklung arbeiten die Ingenieure von Spectratime seit zehn Jahren. «Sie kostet eine Million Euro», sagt Rochat. Angaben zu Gewinn und Umsatz macht das Unternehmen mit 75 Mitarbeitern keine. Es dürfte aber gut laufen. Nicht nur dank dem Weltraum-Geschäft, sondern auch aufgrund der Produkte, mit denen Spectratime angefangen hat: Atomuhren für die Telekommunikation oder für militärische Zwecke. Sie machen noch immer den Hauptanteil am Firmenumsatz aus. «Die sind einfach weniger spektakulär», meint Rochat. Wegen dieser Geräte setzt sich nicht die ganze Belegschaft vor eine Leinwand.