Die Branche hat das Image einer Sumpfblüte, doch ihre Vertreter gebärden sich wie eine Vereinigung von Altruisten. Sie öffnen ihre Portemonnaies für Kulturschaffende, Sportler und sonstwie Notleidende und polieren ihre Glaubwürdigkeit mit dem Beizug honoriger Persönlichkeiten auf, die im wirklichen Leben wohl noch nie einen Jackpot geleert haben. Die grassierende Wohltätigkeit ist nicht ganz unbegründet. Im Herbst vergibt der Bundesrat auf Antrag der Eidgenössischen Spielbankenkommission (ESBK) rund 20 Konzessionen mit einer Laufzeit von 20 Jahren – eine Lizenz zum Gelddrucken. Vorgesehen sind 4 bis 8 A-Konzessionen für Grands Casinos mit Tischspielen mit unlimitiertem Einsatz und 15 bis 20 B-Konzessionen für Kursäle mit maximal drei Tischspielen mit beschränktem Einsatz.

Was im Vorfeld abläuft, ist eine «ganz grosse Lobbyübung, über die man nicht spricht», wundert sich der Zürcher PR-Berater Klaus Stöhlker. In Zürich tobt der Kampf um die einzige A-Konzession besonders heftig. So verspricht Bewerber Grand Casino, die Kulturstiftung für die Region Zürich mit jährlich mehr als einer Million Franken zu alimentieren. Die Stiftung kaschiert ihre Abhängigkeit nicht: Sie ist selbst an der Standortkonzession des Grand-Casino-Projekts Zürich Nord beteiligt. Als ihr Präsident amtet die graue Eminenz der Zürcher Wirtschaft, der freisinnige alt Nationalrat Ulrich Bremi, sekundiert von Verlegergattin Ellen Ringier, einer hochaktiven Fund-Raiser-Lady, Top-Headhunter Mark Hoenig (Egon Zehnder) oder NZZ-Kulturchef Martin Meyer. Und für das geforderte Sozialkonzept ist Suchtforscher Ambros Uchtenhagen verantwortlich. Bei der härtesten Konkurrentin, der Swiss Casinos mit dem Airport-Projekt, bürgt der umtriebige FDP-Nationalrat und Präventivmediziner Felix Gutzwiller mit seinem Namen für soziale Sensibilität. Die Alibifunktion eines Ethikberaters hat Swiss-Casino-Präsident Peter Arbenz just an einen professoralen Kritiker des entfesselten Casinokapitalismus delegiert, den rührigen Hans Ruh.

Besonders reichlich sprudeln die Spendenquellen in der Provinz. Das skandalumwitterte Casino de Saxon schüttete letztes Jahr über dem Wallis stattliche 3,8 Millionen Franken aus. Auf der Empfängerliste stehen etwa der notorisch klamme FC Sion, der HC Sierre und das Sapin Rock Festival. Mit dem Rasensprenger wird im Sopraceneri die artenreiche Polit- und Kulturlandschaft bewässert. In den letzten Jahren beliefen sich die Sponsorenbeiträge des kommunalen Casinò di Locarno auf jeweils weit über zwei Millionen Franken: Von 1992 bis 1999 wurde die stolze Summe von 27 299 011 Franken und 45 Rappen zwecks Imagepflege ausgegeben. Davon verabreichten die edlen Spender über zwei Millionen in homöopathischen Dosen von weniger als tausend Franken. Wen wunderts, dass letztes Jahr bei Bruttospielerträgen von 25 Millionen der Gewinn des Spielsaals mit weniger als 100 000 Franken bescheiden ausfiel und die Aktionäre seit Jahren keine Dividenden erhielten?

Die grösste Wohltätigkeitsveranstaltung geht jedoch in der Westschweiz über die Bühne. Dort überweist die Loterie Romande, die sich im Vollbesitz der welschen Kantone befindet, schon heute 81 Millionen Franken aus der Lottokasse an Organisationen in den Kantonen zwecks Weiterleitung an Not leidende Altersheime und darbende Musikvereine. Wenn nächstes Jahr der Casinokapitalismus ausbricht, sollen die mäandrierenden Geldströme noch anschwellen. Als aussichtsreiche Kandidatin für die einzige A-Konzession in der Westschweiz gilt nämlich La Romande des Jeux, die zu zwei Dritteln direkt den Kantonen, zu einem Drittel der Loterie Romande gehört. Sollte sie mit dem Grossprojekt Lausanne Ouchy zum Zug kommen, will sie den Wohltätigkeitstopf mit jährlich zehn Millionen äufnen, wie Claude Jaccard, Koordinator von La Romande des Jeux, verspricht. Gegen die geballten Interessen der öffentlichen Hand kämpft das Casino de Montreux mit knapp vier Millionen Sponsoringfranken pro Jahr und ein paar prominenten Namen wie Pierre Landolt (Sandoz-Stiftung), Festivallegende Claude Nobs und Vorzeige-Unternehmer André Kudelski.

Auch an Raffinesse sind die welschen Wohltäter nicht zu überbieten. Der finanzschwache Kanton Jura, der nicht an den Segnungen des angekündigten Casinobooms partizipieren dürfte, soll, so Jaccard, «besonders viel profitieren». Zufälligerweise stammt der einzige Regierungsvertreter in der ESBK aus dem Jura: CVP-Finanzdirektor Gérald Schaller. Trotz dem brisanten Interessenkonflikt schreckte er nicht davor zurück, bei der Prüfung der Gesuche «eine enge und harmonische Zusammenarbeit» zwischen den Kantonen und der ESBK zu fordern. Dass Schaller als Vertreter der kantonalen Finanzdirektoren der ESBK angehört, ist für Präsident Benno Schneider kein Ausstandsgrund, obwohl der Jura «vom Füllhorn der Romande des Jeux profitiert».

Die Standortkantone kassieren ohnehin kräftig ab. Von den Abgaben der B-Casinos dürfen sie 40 Prozent einbehalten; 60 Prozent fliessen in den AHV-Fonds. Insgesamt streicht der Fiskus 40 bis maximal 80 Prozent des Bruttospielertrages ein, den ESBK-Präsident Schneider auf jährlich 500 bis 800 Millionen veranschlagt. Zum Vergleich: Die heutigen Kursäle spielen 314 Millionen ein – praktisch ausschliesslich mit Slot-Machines.

Wie die Kugel rollt, entscheidet nicht der Markt, sondern die Bürokratie. Mit einer Monsterübung versucht die ESBK, die künftige Schweizer Casinolandschaft, die dichteste Europas, zu gestalten. Statt den Markt freizugeben und nach dem System der Banken- aufsicht zu kontrollieren, setzte das Parlament auf totale Regulierung. Ein Beispiel: Das Stadtcasino Baden lieferte nicht weniger als 55 Bundesordner in Bern ab, davon enthielten 15 Dokumente über die Sicherheit des Casinos. «Die Kommission ist ein grausamer Apparat, ihre Mitglieder sind in ihrer Grundeinstellung Casinoverhinderer», kritisiert ein Branchenexperte.

So verknurrte die siebenköpfige Spielbankenkommission ohne explizite gesetzliche Grundlage die 41 Gesuchsteller dazu, je nachdem 30 Prozent der Bilanzsumme oder 20 Prozent des budgetierten Brottospielertrages auf Sperrkonti zu hinterlegen. Swiss Casinos und ihr Partner Casinos Austria, die am meisten Lizenzen beantragen, bezahlen ihre Vorwärtsstrategie teuer: Gemeinsam mussten sie knapp 100 Millionen Franken auftreiben – ein «volkswirtschaftlicher Unsinn», lamentieren Branchenvertreter. Von einer «schweren Bürde» spricht auch Benno Schneider, doch dieses Vorgehen sei «wirtschaftsfreundlicher», als noch vor der Konzessionserteilung die Gründung einer Gesellschaft zu verlangen.

Nach der ersten Evaluation, die für 22 Projekte das Aus bedeutete, steht die ESBK unter erheblichem Rechtfertigungsdruck. Ursprünglich sollten in der ersten Runde nur jene Projekte ausgesiebt werden, die den hohen Qualitätsstandards nicht genügten. Doch nun hat die ESBK den Wald im Hinblick auf die definitiven Entscheide gezielt gelichtet, und zwar höchst willkürlich, wie Kritiker behaupten. So schied mit Chiasso ein Topstandort aus, weil die Dossiers laut Schneider schlechter waren als jene der Konkurrenz von Lugano und Mendrisio. «Der Kommission ist alles und jedes recht gewesen, um eine Vorselektion zu treffen», meint FDP-Nationalrat Hans-Rudolf Merz. Schneider ficht die Kritik nicht an: «Es gibt keinen Rechtsanspruch auf eine Konzession, selbst wenn alle Kriterien erfüllt sind.»

Zum Testfall für die eisern hochgehaltenen Qualitätsanforderungen wird Zürich. Die Grossagglomeration erhält ein A-Casino. Nach dem Ausscheiden des Kongresshauses stehen zwei Projekte, Zürich Nord und Airport, im Vordergrund. Beide überzeugen jedoch nicht restlos, weil sie auf Provisorien angewiesen sind. Nach rein qualitativen Kriterien hätte das Stadtcasino Baden, der derzeitige Umsatzrenner, wohl die besten Chancen. Doch hat die Kommission den Mut, die Wirtschaftsmetropole zu übergehen? «Der Entscheid ist sehr heikel», erklärt Schneider. Mokiert sich Hans-Rudolf Merz: «Die Kommission wird schon ein Härtefallkriterium für Zürich finden.»

Brisant ist der Entscheid auch in der Westschweiz, wo sich die staatlichen Bewerber von Lausanne und Genf mit der französischen Konkurrenz um die einzige A-Lizenz rangeln. Lucien Barrière, der zweitgrösste «Casinotier» Frankreichs, kämpft um Montreux, L’Européenne de Casinos, die Nummer vier, setzt auf Saxon. Im französischen Umfeld der Rhonestadt baut Didot-Bottin seine dominierende Stellung im Geschäft mit dem Glücksspiel noch aus. Neben Divonne und Annemansse rollt künftig die Kugel auch in St-Julien.

Eine delikate Konstellation zeichnet sich auch in der Ostschweiz ab, die gemäss bundesrätlicher Marktanalyse nicht zwingend als A-klassig gilt. Benno Schneider und die zuständige Justizministerin Ruth Metzler stammen pikanterweise aus diesem Landesteil, der von Bern oft benachteiligt wird wie jüngst bei der Standortwahl für das Bundesverwaltungsgericht. Die empörten St.-Galler werden eine weitere Brüskierung nicht goutieren. Für Irritation sorgt zudem das kürzlich lancierte 1,8-Milliarden-Projekt Swiss Marina. Die Promotoren des gigantischen Vergnügungsparks in Rorschach verlangen eine A-Konzession, ohne allerdings ein Gesuch eingereicht zu haben. Schneider erteilt den «Wunschträumen», den Entscheid über die Ostschweizer A-Lizenz wegen der Planspiele der Fordgate-Gruppe zu verschieben, eine Absage. Swiss Marina hätte nur dann eine Chance für eine A-Konzession, wenn St. Gallen als einziger verbliebener Bewerber die Anforderungen nicht erfüllen und der Bundesrat später eine zweite Runde anordnen würde.

Bei der Ausmarchung in der Deutschschweiz stehen sich zwei Konkurrenten gegenüber: Swiss Casinos / Casinos Austria und Grand Casino, ein Joint Venture von ACE, einer Tochter des österreichischen Automatenherstellers Novomatic, sowie Escor und der German Casino Baden-Baden. Für die ESBK geniesst Swiss Casinos wieder Kredit, nachdem für den gestrauchelten Casinokönig Hans Jecklin ein neuer Glücksritter als Mehrheitsaktionär auf den Plan getreten ist: Phonak-Mitbesitzer Hans-Ueli Rihs. Der Swiss-Casinos-Gründer Jecklin hatte mit dem «Regent Las Vegas» eine dreistellige Millionensumme in den Wüstensand gesetzt. Die Firewall zwischen dem ramponierten Jecklin-Imperium und der neuen Swiss Casinos hält die Kommission für rechtlich stabil, um allfälligen Forderungen aus Amerika standzuhalten. Diese Einschätzung wird nicht überall geteilt.

Swiss Casinos / Casinos Austria hofft noch mit sieben Projekten auf den Zuschlag. Gut sind die Chancen für eine A-Konzession in St. Gallen und Basel, weniger gut in Zürich und St. Moritz. Für die B-Konzession ist Schaffhausen ein sicherer Wert, im Gegensatz zu Pfäffikon. Thun ist praktisch out. Still und leise hat Swiss Casinos die 45-Prozent-Beteiligung am A-Projekt Bern an den Minderheitspartner Casinos Austria abgetreten – mit einer Option, einen Teil zurückzuerhalten, wenn Bern die Lizenz erhält. Auch in Luzern bewirbt sich Casinos Austria ohne den Schweizer Partner um eine A-Konzession.

Im Windschatten von Swiss Casinos hat sich die österreichische ACE/Novomatic in eine starke Position geschoben. Im Joint Venture mit Escor und Baden-Baden hat ACE gute Karten für eine A-Konzession in Zürich sowie zwei B-Lizenzen in Locarno und Egerkingen. Gleich mit fünf lokalen Partnern bemüht sich ACE um Lizenzen in Mendrisio (A), Davos, Bad Ragaz, Rapperswil und Weggis (B). Für alle Bewerber gelten letztlich die brutalen Gesetze des Glücksspiels. Das Verdikt der sieben Bundesräte ist unumstösslich. Verlierer haben keine Rekursmöglichkeit.
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