In Deutschland wird Eckart Seith als Held gefeiert, als Aufklärer «des grössten Steuerbetrugs» aller Zeiten. Es geht um sogenannte Cum/Ex-Geschäfte, also um Aktien-Transaktionen rund um den Dividendenstichtag, bei denen die Verrechnungssteuer angeblich mehrmals zurückverlangt wurde. Sie sollen den deutschen Steuerzahler Milliarden gekostet haben und sind seit 2012 nicht mehr möglich. Die Kölner Staatsanwaltschaft ermittelt.
In der Schweiz aber steht der Stuttgarter Anwalt ab morgen vor Gericht, zusammen mit zwei ehemaligen Mitarbeitern der Bank Sarasin. Eckart Seith hatte für den deutschen Drogerie-Unternehmer Erwin Müller von der Basler Bank (heute J. Safra Sarasin) letztes Jahr in Deutschland 45 Millionen Euro Schadenersatz erstritten – nach einem Totalverlust durch Cum/Ex-Geschäfte.
Geheime Geschäftsunterlagen
Im Verfahren vor dem Zürcher Bezirksgericht beantragt die Staatsanwaltschaft für alle drei Angeklagten nun unbedingte Gefängnisstrafen. Der Angeklagte Seith sagt, die Vorwürfe seien nicht begründet.
Die Anklage lautet auf wirtschaftlichen Nachrichtendienst in einem «schweren Fall». Den Angeklagten wird vorgeworfen, geheime Geschäftsunterlagen der Bank einer «fremden amtlichen Stelle» zugänglich gemacht zu haben – konkret: dem Landgericht Ulm, wo die Causa Müller verhandelt wurde, sowie der Staatsanwaltschaft Köln.
Zu den Unterlagen gehörte ein von der Bank Sarasin in Auftrag gegebenes Gutachten der Anwaltskanzlei Freshfields, welches der Bank schlechte Karten in der Auseinandersetzung mit Erwin Müller bescheinigte. Das Gutachten hätten der Bank Sarasin zur «internen Lagebeurteilung» gedient und «waren geeignet, in den Händen der Gegenpartei immensen Schaden zu bewirken», schreibt die Staatsanwaltschaft.
Hinzu kamen Client Contact Reports, also Notizen zu den Kundengesprächen mit Erwin Müller, welche die jeweiligen Bankmitarbeiter verfasst hatten, E-Mails und eine «Chronologie EM» (für Erwin Müller), welche die Bank Sarasin im Zusammenhang mit dem Ulmer Verfahren für sich selbst erstellt habe.
«Nach zehn Minuten war man beim Du»
Die Anklage zeichnet das Bild eines planmässigen und einvernehmlichen Vorgehens. Seith und die beiden ehemaligen Sarasin-Banker hätten aufgrund «eines gemeinsamen – ausdrücklich und konkludent – gefassten Tatentschlusses» gehandelt, schreibt Ankläger Maric Demont.
Das erste Treffen soll im März 2013 im Weinkeller des Restaurants Santa Lucia in Schaffhausen stattgefunden haben, wobei die drei Männer alleine gewesen seien: «Nach zehn Minuten war man per Du».
Bei diesem Nachtessen sei erörtert worden, wie der Klage von Müller gegen die Bank Sarasin «durch den Beizug geeigneter Dokumente aus den Beständen der Bank Sarasin zum Erfolg verholfen werden könnte». Dabei sei vereinbart worden, dass Seith «bilateral» mit Erwin Müller sprechen sollte, um ihn zu fragen, wie viel ihm denn eine «beförderliche Behandlung durch Dokumente wert sei».
Auf der Rückfahrt von Schaffhausen hätten sich die beiden ehemaligen Sarasin-Mitarbeiter untereinander auf eine Fifty-fifty-Teilung geeignet. Zudem habe sie in den Tagen darauf die Nachricht erreicht, dass Müller bereit sei, «eine Partizipation von 1 Prozent am Prozesserlös zu zahlen»; von wem, lässt die Anklage offen.
Nachgezeichnet wird zudem, wie Seith einem Anwalt der Kanzlei Lenz & Staehelin Unterlagen habe zukommen lassen. Dies in der Annahme, dass er der richtige Ansprechpartner für die «vorliegend heikle Angelegenheit sein könnte», weil er «Netzveröffentlichungen» entnehme, dass er die Safra Group bei der Übernahme der Bank Sarasin beraten habe. Dabei schloss er mit dem Satz: «Sie können auf mich zukommen, falls Ihre Klientin die bisher eingenommene Position überdenken will».
Hintergrund dazu ist, dass die Safra-Gruppe trotz schlechter Prozessaussichten keinen Vergleich und es auf einen Prozess ankommen liessen.
«Erpressung», «Nötigung»…
Für Seith fordert die Staatsanwaltschaft eine unbedingte Freiheitstrafe von drei Jahren und sechs Monaten für Seith. A.K, Compliance-Chef der Sarasin-Bank zwischen 2009 und 2014, wird zudem der «fortgesetzten Erpressung» und – eventualiter – der «versuchten, mehrfachen Nötigung» und der «mehrfachen ungetreuen Geschäftsbesorgung in Bereicherungsabsicht» beschuldigt; für ihn fordert die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und 10 Monaten. Für S.E. ist eine Freiheitsstrafe von drei Jahren beantragt, davon ein Jahr unbedingt.
Seith sagt auf Anfrage, dass er sich – auch nach Schweizer Recht – korrekt verhalten habe. Die Vorwürfe seien unbegründet. Zudem hält er fest, dass er sich in der ganzen Angelegenheit «vorbildlich verhalten habe».
…versus «organisierte Kriminalität»?
In einer schriftlichen Stellungnahme fährt er schweres Geschütz gegen die Schweizer Behörden auf und dreht den Spiess um: Bei den Cum/Ex-Gestaltungen handle es sich um «organisierte Kriminalität». Doch strafbare Machenschaften seien «keine rechtsstaatlich geschützten Geheimnisse». Der Schweizer Staat könne «kein Interesse an der Abschirmung rechtswidrig handelnder Schweizer Wirtschaftsunternehmen haben».
Schützenhilfe von Mark Pieth
Schützenhilfe erhält Seith von einem Gutachten, das der Basler Strafrechtprofessor Mark Pieth zusammen mit Anton K. Schnyder (ehemals Uni Zürich) und Ingeborg Zerbes von der Universität Bremen verfasst hat. Die Gutachter kommen zum Schluss, dass es sich bei dem Grossteil der Unterlagen nicht um rechtlich geschützte Geschäftsgeheimisse gehandelt habe.
Im Gegenteil: Die Bank Sarasin sei gegenüber ihrem Kunden «vollumfänglich auskunfts- und aufklärungspflichtig» gewesen, «was das fragliche Investment betraf». Das gelte auch für «rein interne Dokumente».
Für das Verfahren sind zwei Verhandlungstage angesetzt.