Vor kurzem leiteten Sie noch die Privatklinik St.Raphael in Küsnacht, jetzt sind Sie Spitaldirektor an der Uniklinik Balgrist in Zürich, Herr Altmann. Was hat sich für Sie grundlegend geändert?

Serge Altmann: Nicht alles ist am Balgrist öffentlich. Die Trägerschaft der Klinik ist privat. Der wesentliche Unterschied zu den privaten Kliniken besteht jedoch darin, dass wir einen Leistungsauftrag vom Kanton haben, den wir erfüllen müssen. Wir haben also nicht freie Hand im Festlegen der Fachbereiche und der Patientensegmente.

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Mit andern Worten: Ihre Auflagen sind heute höher als früher.

Altmann: Genau.

Beneiden Sie, Herr Dünneisen, Ihren Kollegen Altmann um diese Auflagen?

Hans-Joachim Dünneisen: Nein, überhaupt nicht. Übertrieben gesagt trägt Herr Altmann jetzt eine Zwangsjacke, darum beneide ich ihn wahrlich nicht. Genau diese Vorgaben des Kantons oder der Trägerschaft gaben für mich vor 14 Jahren den Ausschlag, von einem öffentlichen Spital in ein privates zu wechseln.

Sie sind also mehr Unternehmer, während Herr Altmann mehr Verwaltungsdirektor ist.

Dünneisen: Das kann man so sagen. Als Privatklinik ohne Subventionen behandeln wir fast ausschliesslich Privatpatienten oder ausländische Patienten. Und: Wir müssen marktwirtschaftlich denken und handeln.

Wie steht es denn bei Ihnen in der öffentlichen Klinik um das marktwirtschaftliche Denken?

Altmann: Die unternehmerische Freiheit ist in öffentlichen Spitälern klar eingeschränkt. Bei Investitionen braucht es beispielsweise die Zustimmung der öffentlichen Hand bei einer Privatklinik kann ein Verwaltungsrat darüber frei entscheiden.

Trotzdem haben Sie vor kurzem die Seiten gewechselt. Worin liegt der Reiz an Ihrem Verwaltungsjob?

Altmann: Ich sehe meine Aufgabe ganz und gar nicht als Verwaltungsjob. Wir müssen genauso wirtschaftlich denken, damit wir den Leistungsauftrag erfüllen können und finanziell erfolgreich sind. Das Finanzierungssystem des Gesundheitswesens hat den Nachteil, dass es für allgemein versicherte Patienten keine kostendeckenden Tarife gibt. Deshalb decken die Privatkliniken dieses Segment nicht ab. Als öffentlich-subventioniertes Spital müssen wir alle Patientenklassen behandeln. Dafür erhalten wir teilweise eine Defizitdeckung des Kantons. Zudem müssen wir mit den Überschüssen aus dem privaten Segment die allgemeinen Abteilungen quersubventionieren.

Die Privatkliniken hätten diese Sockelbeiträge auch gerne. Warum?

Dünneisen: Weil wir sonst ungleich lange Spiesse haben im Wettbewerb mit den öffentlichen Spitälern.

Umgekehrt wollen Sie nicht in die Spitalplanung der Kantone eingebunden werden. Wollen Sie damit nicht den Fünfer und das Weggli?

Dünneisen: Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat vor einigen Jahren entschieden, dass für zusatzversicherte Patienten Sockelbeiträge bezahlt werden müssen, was den Teil der Grundversicherung angeht. Dann ist es doch unverständlich, dass diese Beiträge nur an die öffentlichen Spitäler bezahlt werden.

Altmann: Ich bin auch der Auffassung, dass hier der Wettbewerb verzerrt wird. Fraglich ist für mich allerdings, ob es für die privaten Kliniken nicht letztlich ein grösserer Nachteil ist, wenn ihnen der Kanton mehr dreinredet. Denn sobald die öffentliche Hand Beiträge an die Privaten zahlt, will sie auch mitbestimmen.

Damit sprechen Sie die Spitalplanung an.

Altmann: Genau. Die Spitalplanung kann für die Privatkliniken ein Risiko darstellen. Wenn der Staat an alle Spitäler Sockelbeiträge zahlen muss, kann er die Zahlung umgehen, indem er einzelne Private einfach von der Liste streicht. Dies könnte sich als existenzielles Problem für die Privatkliniken erweisen.

Sie haben vorhin von einem Wettbewerb gesprochen zwischen den Spitälern, Herr Dünneisen. Wer ist denn Ihre Konkurrenz als Privatspital?

Dünneisen: Der Wettbewerb spielt eigentlich nur unter den Privaten. Unsere direkte Konkurrenz in Zürich sind die Hirslanden-Kliniken, die Pyramide am See und die St. Raphael-Klinik.

Die öffentlichen Spitäler zählen Sie nicht zur Konkurrenz?

Dünneisen: Teilweise doch. Und dies vor allem deshalb, weil die privaten Abteilungen in den öffentlichen Spitälern immer mehr vergoldet werden notabene mit Steuergeldern. Zudem werden sogar in den allgemeinen Abteilungen Zweierzimmer gebaut wie etwa im Triemli. Die ungleich langen Spiesse existieren auch bei den Tarmed-Tarifen, etwa bei der ambulanten Behandlung. Während die öffentlichen Spitäler einen Taxpunktwert von 93 Rp. haben, müssen wir Private mit 91 Rp. auskommen.

Warum ist das so?

Altmann: Der Grund dieses Ungleichgewichts liegt in der unterschiedlichen Kostenentwicklung in den Spitälern.

Wird damit der Wettbewerb nicht verfälscht?

Altmann: Ja, das ist so. Auch ich wünschte mir mehr Wettbewerb zwischen den Spitälern, vor allem bei den Preisen. Diese werden zu stark vom Staat reguliert. Ein Wettbewerb funktioniert nur, wenn wir für eine bestimmte Leistung unterschiedliche Preise bieten können. Dann spielt auch die Qualität eine andere Rolle als heute.

Wie könnte ein sinnvolles Wettbewerbsmodell für die Schweizer Spitäler aussehen?

Altmann: Sinnvoll ist sicher die Einführung von Fallpauschalen, weil damit die Transparenz höher wird und echte Vergleiche zwischen den Kliniken möglich werden. Nicht sinnvoll ist die Beibehaltung der Spitalplanung. Der Bund sollte die Planungshoheit der Kantone einschränken auf jene Bedingungen, welche die Gesundheitsversorgung sicherstellen. Zu diesen Bedingungen zählt beispielsweise die Anzahl Betten pro Kanton.

Warum reisst der Bund die ganze Spitalplanung nicht an sich?

Altmann: Wir haben unlängst darüber abgestimmt, dass es nicht mehr 26, sondern nur noch ein Bildungssystem gibt. Warum sollte dies im Gesundheitswesen nicht auch möglich sein? Für mich würde das Sinn machen.

Dünneisen: Auch ich würde eine nationale Lösung gegenüber den heutigen 26 Gesundheitssystemen bevorzugen. Das würde vieles vereinfachen und vergleichbar machen.

Das schweizerische Spitalwesen gilt international eher als träge und teuer. Wäre eine nationale Lösung effizienter?

Dünneisen: Ja, ganz klar. Ein System mit vergleichbaren und transparenten Fallpauschalen würde den Wettbewerb beleben und die Qualität steigern. Allerdings würde es auch zu einer Bereinigung der Spitallandschaft Schweiz führen. Verschiedene Kliniken, die entweder zu klein sind oder keinen guten Standort haben, müssten wohl schliessen, so wie wir das in Deutschland beobachten können.

In Deutschland gibt es eine Homepage (www.kliniksterben.de), auf der ein ganzer Spitalfriedhof aufgeführt ist mit Betrieben, die in den letzten Jahren schliessen mussten. Ist in der Schweiz eine ähnliche Entwicklung zu erwarten?

Dünneisen: Es wird zweifellos auch in der Schweiz zu Schliessungen kommen allerdings weniger bei den privaten als vielmehr bei den öffentlichen Kliniken. Wir Privaten müssen schon heute ohne Subventionen Gewinne erwirtschaften, sonst müssen wir über kurz oder lang schliessen. Härter dürfte es vor allem für die öffentlichen Spitäler werden.

Ist also das Balgrist gefährdet?

Altmann: Da müssen wir differenzieren. Wenn wir bei uns den Aufwand für Forschung, Lehre, Ausbildung und Notfalldienste abziehen, dann sieht die Rechnung ganz anders aus. Die Flurbereinigung wird sowohl bei den öffentlichen wie bei den privaten Spitälern stattfinden. Die Überkapazität beträgt heute schätzungsweise 10 bis 15%.

Dünneisen: Ich behaupte, dass es nach wie vor eine Reihe öffentlicher Spitäler gibt, die effizienter arbeiten könnten. Eine durchschnittliche Aufenthaltsdauer bei uns auf der Chirurgie beträgt drei bis vier Tage. In einem öffentlichen Spital liegt der Patient zwei bis drei Tage länger. Der Grund liegt darin, dass die öffentlichen Spitäler sonst nicht auf den geforderten Auslastungsgrad der Betten in Höhe von 85% kommen.

Altmann: Diese Aussage stimmt nur bedingt. Die Aufenthaltsdauer in einem Spital hängt wesentlich von der Schwere eines Eingriffs ab. Da lässt sich selbst Chirurgie mit Chirurgie zwischen zwei Spitälern nicht vergleichen. Die schwierigen Fälle landen meist in den öffentlichen Kliniken, weshalb die Patienten auch länger hospitalisiert bleiben. Im Übrigen gilt der von Herrn Dünneisen erwähnte Anreiz genauso für private wie für öffentliche Kliniken. Insofern besteht also gar kein Unterschied.

Ein Unterschied besteht im Angebot. Eine Privatklinik kann die lukrativen Gebiete abdecken und auf anderes verzichten.

Dünneisen: Ich kann mir nicht leisten, in einer Privatklinik unrentable Leistungen anzubieten. So haben wir zum Beispiel vor zwei Jahren beschlossen, die Augenheilkunde zu streichen. Mit dem neuen Ärztetarif Tarmed kann ein Spital Staroperationen nicht mehr kostendeckend anbieten. Im Bethanien hatten wir zuvor in dieser Abteilung fast nur Staroperationen.

Damit schieben Sie einfach ein defizitäres Geschäft an die öffentlichen Kliniken ab.

Dünneisen: Wir müssen so handeln, sonst können wir nicht überleben.

Ein öffentliches Spital muss sich das leisten können.

Altmann: Wir haben einen Auftrag. Der steht im Vordergrund. Probleme haben wir zum Beispiel bei Leistungen, die niemand zahlt. Die Medikamentenkosten bei einer Operation an einem Bluter kosten alleine rasch einmal 100000 Fr. Dafür kommt niemand auf.

Gefährdet der zunehmende Wettbewerb nicht die Qualität in den Spitälern? Anders gefragt: Steigt das Risiko für die Patientinnen und Patienten?

Altmann: Im gegenwärtigen System fehlen die Qualitätskriterien für einen Vergleich der Leistungen völlig. Es ist für alle Leistungserbringer eine grosse Herausforderung, solche messbaren Kriterien zu definieren.

Haben kleine Privatkliniken überhaupt eine Zukunftschance?

Altmann: Die Grösse hängt von der Strategie ab. Es gibt kleine Nischenplayer, die erfolgreich sind. Eine Klinik mit chirurgischer Abteilung, die nur 40 Betten hat, liegt sicher an der kritischen Grenze.

Dünneisen: Eine erfolgreiche Strategie für eine Privatklinik kann zum Beispiel darin bestehen, den ausländischen Markt zu bearbeiten. Wir im Bethanien fokussieren uns im Moment auf Russland und auf die Ukraine. Die Nachfrage im Ausland ist da, ohne Zweifel. Unser Ziel ist es, in diesem Jahr den Anteil ausländischer Patienten von 5 auf 10% zu verdoppeln.

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Steckbrief

Name: Altmann Serge

Alter: 39

Wohnort: Bertschikon bei Gossau ZH

Familie: Zwei Mädchen (4 und 6 Jahre)

Funktion: Spitaldirektor der Uniklinik Balgrist, Zürich

Karriere

- 1996 Promotion zum Dr.nat.sci. an der ETH Zürich

- 1997-2001Berater bei McKinsey

- 2001-2006 Direktor Klinik St.Raphael, Küsnacht

- Seit Mai 2006 Spitaldirektor Uniklinik Balgrist, Zürich

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Steckbrief

Name: Dünneisen Hans-Joachim

Alter: 57

Wohnort: Sagogn GR

Familie: Verheiratet

Funktion: Direktor Privatklinik Bethanien, Zürich

Karriere:

- HWV Akad Zürich, nationales und internationales DL-Marketing, Uni Bern

- 1979-1983 Leitung Einkauf Kantonsspital Baden-Dättwil

- 1983-1997 Direktor Regionalspital Surselva, Ilanz GR

- Seit 1997 Direktor Privatklinik Bethanien, Zürich