Für Manfred Manser, Chef der grössten Schweizer Krankenkasse Helsana, ist klar: In der Schweiz gibt es noch zu viele Spitäler. «Betriebswirtschaftlich und versorgungstechnisch sind 50 Spitäler genug», sagt Manser (siehe auch «Handelszeitung Nr. 35 vom 29. August 2007). «Wären sie klug verteilt, hätte kein Einwohner länger als 30 Minuten bis zum nächsten Spital.» Realpolitisch machbar wäre laut Manser allerdings eine Reduktion auf 100 Spitäler. Auch Fritz Britt, Direktor des Krankenversichererverbandes Santésuisse, sieht das Szenario von 100 Spitälern für die Schweiz als realistisch an. Aktuell gibt es in der Schweiz 250 Spitäler.
20 Prozent tiefere Kosten
Selbst der Spitalverband H+ rechnet indirekt mit Schliessungen: «Das neue Spitalfinanzierungsmodell Swiss DRG wird zeigen, ob die Spitäler ihre Angebote ändern oder schliessen müssen», sagt Präsident Charles Favre. Der Zürcher Gesundheitsökonom Willy Oggier pflichtet bei, dass diese angedachten Fallpreispauschalen einen «gewissen Druck zur Konsolidierung» generieren könnten. «Aber nur, wenn die dort auszuhandelnden Preise beispielsweise 20% unter den heutigen Fallkosten zu liegen kämen», präzisiert er.
Unabhängig von der anzustrebenden Spitälerzahl ist für Oggier klar, dass der Trend hin zu grösseren Gesundheitszentren geht. «Im Zuge des demografischen Wandels wird zum Beispiel die Zahl der Patienten zunehmen, die gleichzeitig an mehreren Krankheiten leiden. Und solche Fälle kann man in der Regel in einem grossen Spital, das viele unterschiedliche Fachkräfte vereint, besser behandeln», sagt er.
Hinzu kommt: In der Regel sinken sowohl bei kleinen als auch komplexen Operationen die Fehlerquoten, wenn diese vom betroffenen Operationsteam regelmässig durchgeführt werden. «Deshalb kann auch unter diesem Aspekt eine Mindestgrösse für ein Spital von Vorteil sein», ergänzt Gesundheitsökonom Oggier.
Einige Kantonsregierungen haben dies schon realisiert. Im Kanton Zürich wurden in den letzten Jahren zehn Spitäler geschlossen. In Solothurn wird daran gearbeitet, dass die kantonalen Krankenhäuser gewisse Dienstleistungen gemeinsam anbieten. Und der Kanton Bern deckt seit Anfang Jahr keine Spitaldefizite mehr und arbeitet an einem gemeinsamen Spitalplan mit dem Kanton Jura. Kleinere Spitäler sollen in nur tagsüber geöffnete Tageskliniken umgewandelt werden.
Kommunikation entscheidet
Werde ein Spital geschlossen, müsse dieser Entscheid von der gesamten Kantonsregierung getragen werden, warnt Willy Oggier. «Besondere Sorgfalt muss diesbezüglich in den Randregionen herrschen. Denn in der Stadt sind die Ausweichmöglichkeiten für Patienten in der Regel grösser als auf dem Land», sagt er. Als Alternative zu einem nicht mehr vorhandenen Spital müssten dort Sanitäter sowie Transportfahrzeuge und Helikopter stationiert werden.
Bedeutende Arbeitgeber
Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie des Forschungsinstituts BAK Basel Economics beschäftigt das Spitalwesen in der Schweiz 177100 Personen, was 4% der Erwerbstätigen entspricht. Die Branche generiert jährlich eine Wertschöpfung von fast 10 Mrd Fr. Weitere 3,8 Mrd Fr. an Wertschöpfung werden durch Aufträge an Lieferanten generiert. So geben die Spitäler pro Jahr 300 Mio Fr. für Lebensmittel und 500 Mio Fr. für Reparatur- und Unterhaltsarbeiten aus; indirekt werden so weitere 32000 Personen beschäftigt.
Angesichts dieser Zahlen wird klar, weshalb bei drohenden Spitalschliessungen der grösste Protest nicht immer von den betroffenen Patienten, sondern oftmals von den jeweiligen regionalen Gewerbetreibenden kommt.
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Kassen sind sich nicht einig
Neben der grössten Schweizer Krankenkasse Helsana sprechen sich auch der Krankenversicherer Visana und der Branchenverband Santésuisse für die Schliessung von Spitälern aus.
Doch nicht alle Kassen befürworten diesen Schritt. So sagt Swica-Chef Hans-Ueli Regius: «Effizienzgewinne sind vor allem in der Organisation der Spitalbetriebe zu erzielen.» Regius denkt dabei etwa an «schlankere Strukturen», «mehr Kompetenz für die Ausführenden» oder «richtige finanzielle Anreize». Und: «Weil die neue Spitalfinanzierung zuerst vom Parlament beschlossen werden muss und eine Einführung mehrere Jahre beanspruchen wird, gehen wir realpolitisch nicht davon aus, dass sich die Anzahl Spitäler in den nächsten Jahren wesentlich reduzieren wird», meint er.
Skeptisch ist auch Beat Ochsner, CEO der ÖKK. «Entscheidend ist weniger die Anzahl der Spitäler, sondern vielmehr deren Spezialisierung.» Aus dieser ergebe sich automatisch eine Rollenteilung mit höherer Wirtschaftlichkeit: «Herzoperationen gehören in eine Spezialklinik, während Blinddarmentfernungen im Regionalspital weiterhin kostengünstiger erbracht werden», sagt er.
Nicht zu der für die Schweiz notwendigen Zahl der Spitäler äussern wollten sich die CSS und die Groupe Mutuel, die Nummer zwei und drei der Krankenkassenbranche. Auch Thomas Zeltner, Chef des Bundesamtes für Gesundheit, gibt dazu keine Stellungnahme ab – diese Frage werde auf der «politischen Ebene» thematisiert, lässt er via BAG-Sprecher Daniel Dauwalder ausrichten.