Rochat? Da würde ich gern hingehen, aber der ist zu teuer.» Den Satz hört man oft, wenn man über kulinarische Genüsse spricht. Mit einer durchschnittlichen Rechnung von 350 Franken pro Person schlägt ein Besuch beim ehemaligen Küchenchef von Fredy Girardet in der Tat schwer aufs Portemonnaie. Wenn man sich die Sache jedoch genauer ansieht, erzielt eine Pizzeria mit ihrer «Quattro Stagione» zu 20 Franken eine höhere Marge als Philippe Rochat mit seinem grossen Menü für 260 Franken. Geflunker? Nein, nur eine realistische Kalkulation.
Philippe Rochat spricht nicht gerne über Geld. Seine Leidenschaft ist das Kochen. Wenn er in seinem Element ist, in der Küche also, läuft er zu grosser Form auf. Ununterbrochen überwacht er die Arbeit der 20 Köche, die in dem grossen Raum beschäftigt sind, überprüft jeden Teller, bevor er serviert wird. Wenn er Lieferanten empfängt, achtet er fanatisch auf Details. Um die Sauberkeit der Tischwäsche sicherzustellen, beschäftigt er eigens zwei Wäscherinnen. Er wirkt kräftig und spricht mit lauter Stimme, die in der ganzen Küche vernehmbar ist. Rochat ist auf dem Höhepunkt seiner Kunst. «Philippe Rochat ist im Augenblick der beste Koch», sagt Jean-Claude Ribaut, Gastronomiekritiker von «Le Monde».
Trotz seinem sicheren Auftreten ist der Besitzer des Restaurants im Hôtel de Ville in Crissier immer unruhig. «Man muss stets das beste Handwerk liefern», sagt er, «wir beginnen mit jedem Service bei null.» Und das gilt sowohl gastronomisch als auch finanziell: «Da das Restaurant wenig finanzielle Reserven hat, haben wir keine Manövriermasse.» Denn auch in Crissier macht sich die Krise bemerkbar. «Ich beklage mich nicht, ich bin in einem sehr schönen Beruf, und die Kunden sind uns treu geblieben. Aber unser Einzugsgebiet ist klein, und seit Beginn der Neunzigerjahre ist der Rückgang sehr real.» Mit seinen 80 Gedecken pro Tag (bei einem möglichen Maximum von 120) schlägt sich Philippe Rochat im Vergleich zu manchen Berufskollegen noch sehr gut. «Der Mai war sogar der beste Monat seit sechs Jahren.» Aber nichts ist jemals sicher: Anfang Juni hinterliess der G-8-Gipfel seine Spuren. «Durch Annulationen und Nichterscheinen gab es sogar einen Tag, an dem ich nur 20 Gedecke verkaufen konnte. Da habe ich wohl einen Umsatz von 100 000 Franken verloren.»
Manchmal trauert Rochat der Epoche unter Fredy Girardet nach. «Da hatte ich nur meine Küche und musste mich nicht um die Probleme des Restaurants kümmern.» 1997 musste der Chef de Cuisine zum Unternehmer werden. Er beschäftigt 42 Personen und erzielt einen Jahresumsatz von – Philippe Rochat denkt einen Moment nach und schweigt dann. «Ich habe den Umsatz nie bekannt gegeben, aber man kann ihn leicht ausrechnen.»
Dass sein Salär 9000 Franken brutto pro Monat beträgt, gibt er indessen gern bekannt. Was für ein Elend für einen Chef dieses Ranges! Bei einem Arbeitstag von 15 Stunden an fünf Tagen in der Woche verdient er weniger als 25 Franken pro Arbeitsstunde. Alain Ducasse (siehe BILANZ 9/2003), ein anderer Star des Metiers, hat im vergangenen Jahr acht Millionen Franken kassiert, schätzt das Magazin «Forbes».
Der Unterschied rührt daher, dass Philippe Rochat auf seiner Unabhängigkeit besteht und auf seiner Rolle als Selbstständiger in einer Welt, in der viele der Grands Chefs Angestellte sind und ihr Restaurant einer grossen Gruppe gehört. Ausserdem weigert sich Rochat – noch –, sein Monatssalär aufzubessern, indem er seinen Namen einem Multi der Nahrungsmittelindustrie zur Verfügung stellt (Nestlé honorierte die Dienste eines anderen Stars der Branche, Michel Guérard, mit 150 000 Franken pro Jahr) oder indem er sich als Berater anbietet. «Wenn ich die Qualität aufrechterhalten will, muss ich in meinem Restaurant sein.» Die Folge dieser Entscheidung: kein Zusatzeinkommen für den Chef. Gewiss, wenn er sich einmal zurückzieht, wird er sein Geschäft für mehrere Millionen Franken verkaufen können. «Vorausgesetzt, ich habe dann einen Nachfolger gefunden», fügt er gleich bei.
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Doch das ist Zukunftsmusik. Gehen wir also zu Tisch. Auf der Karte besteht das grosse Menü aus fünf Gängen plus Käse und Dessert. Dazu kommt noch manche Beilage – 16 Sorten Brot, die während des Essens auf niedlichen Tellern gereicht werden und von denen jeder Gast im Durchschnitt vier Stück konsumiert, die Amuse-Bouches, die Sorbets. Das Ganze kostet 260 Franken. Von dieser Summe gehen für die Zutaten im Durchschnitt 100 Franken weg und beinahe 150 Franken für die Personalkosten. Denn 20 Personen sind in der Küche und 13 Personen im Service tätig, pro Tisch mit vier Gästen also ein Serviceangestellter und zwei Köche. In einer Pizzeria braucht es einen Koch und einen Serviceangestellten für 15 Gedecke.
Da bleibt nicht viel übrig für die Gemeinkosten – darunter allein 2500 Franken im Monat für zu Bruch gegangenes Geschirr – und für die 7,3 Prozent Mehrwertsteuer. «Um meine Kosten wirklich zu decken, müsste ich für das Menü 320 Franken verlangen. Aber dann hätte ich keine Gäste mehr», fasst Rochat zusammen.
Wahrscheinlich legt er bei jedem Menü drauf, was bedeutet, dass er aus seiner eigenen Tasche einen Beitrag zahlt, wenn Sie bei ihm essen. Das kompensiert er mit den Getränken und dem Wein. Wie alle seine Kollegen berechnet er den Verkaufspreis der Weine als ein Vielfaches des Einkaufspreises. Bei den günstigeren Weinen beträgt dieser Multiplikationsfaktor 3,5 und bei den teureren 2. «Man müsste genau das Gegenteil tun», ereifert sich Rochat, «die Weine günstiger anbieten und das Essen sehr viel teurer, weil für den Teller sehr viel mehr Arbeit und Talent benötigt wird als dafür, guten Wein auszuwählen und im Keller zu lagern.»
Der Chef ärgert sich auch über die Rohstoffpreise. «Die Leute, die zu mir kommen, wollen Scampi essen und keine Crevetten. Gute Scampi kosten aber zehn Franken das Stück.» Noch schwieriger ist der Umgang mit den grossen saisonalen Preisschwankungen, die man unmöglich auf die Menüpreise umwälzen kann. «Der Preis für schwarze Trüffeln ist letztes Jahr in wenigen Wochen um 40 Prozent angestiegen, von 700 auf 1000 Franken das Kilo», erklärt Rochats Sous-Chef Benoît Viollier, «aber man kann doch nicht einfach weniger Trüffeln in ein Gericht geben, nur weil der teurer geworden ist.»
Auch für einfachere Produkte als Trüffel werden aus Qualitätsgründen Preise bezahlt, die jeder normalen Hausfrau kalte Schauer über den Rücken jagen würden, auch wenn Rochat zu Grosshandelspreisen einkauft. Ein Kilo Kartoffeln der Sorte Roseval kostet acht Franken, ein Kilo Vanille 500 Franken. Mit allen anderen Produkten ist es ähnlich, vom Olivenöl für 32 Franken pro Liter über den Kaviar für 2500 Franken das Kilo (die 15 Gramm, die in der Vichyssoise de pommes de terre verarbeitet werden, sind allein fast 40 Franken wert) bis zu den weissen Trüffeln, die im Jahre 2000 mit 6500 Franken pro Kilo ihren Höchstpreis erreichten. «Selbst wenn mich das teuer zu stehen kommt, weigere ich mich, bei der Qualität der Produkte Abstriche zu machen», resigniert Philippe Rochat.
Da gäbe es nur eine Lösung, um die Marge zu verbessern: die Zahl der Gänge pro Menü reduzieren. Doch auch das will Philippe Rochat nicht. Nach Paris auszuwandern, wie das etliche Kollegen schon getan haben, weil dort die potenzielle Kundschaft zahlreicher ist, ist für Rochat ebenfalls keine Alternative. «Ich hänge an meiner Heimat, der Romandie», lächelt er, «auch wenn das Restaurant keinen Gewinn abwirft, so läuft es doch immerhin. Und das genügt mir.»
Der Schweizer Spitzenkoch ist keine Ausnahme. Das Wirtschaftsmagazin «Capital» errechnete kürzlich, dass auch die französischen Drei-Sterne-Tempel nur miserable Margen erwirtschaften.
Philippe Rochat würde gerne 20 Gedecke mehr pro Tag servieren. «45 am Mittag und 50 am Abend, das wäre ideal. Finanziell bekäme man dann wieder ein bisschen Luft.» Unglücklicherweise macht ihm da die hartnäckige Wirtschaftsflaute einen Strich durch die Rechnung. Ein kleiner Trost: In diesen schlechten Zeiten erlauben sich manche deprimierten Geniesser etwas häufiger den kleinen Luxus eines grossen gastronomischen Menüs. Ein Luxus, der durchaus vernünftig ist, wenn man Folgendes bedenkt: Die Marge in einer Pizzeria liegt nahe bei 30 Prozent, bei Rochat ist sie null. Da ist die Kalkulation schnell gemacht. Natürlich ist die Rechnung höher, aber man bekommt wirklich etwas für sein Geld. Ganz zu schweigen vom Allerwichtigsten: vom Vergnügen.
BILANZ dankt Andreas Schürmann (Restaurant Schürmann’s, Riehen BS) für die Unterstützung beim Übersetzen der Speisekarte.
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