Die erste Pflicht des Kapitals ist nicht, mehr Geld zu schaffen – sondern zu bewirken, dass sich das Geld der Verbesserung des Lebens widmet.» Es scheint, als würden sich die Menschen dieses Zitat des Autobauers Henry Ford nirgendwo mehr zu Herzen nehmen als am rechten Zürichseeufer. Ein Hauch mediterraner Lebenslust atmet ein, wer die Seestrasse entlang Richtung Rapperswil fährt. Vorbei an Orangen- und Feigenbäumen, Weinbergen, den gepflegten, herrschaftlichen Villen mit perfekt modellierten englischen Rasen, meist in Hanglage, den Blick auf das satte Blau des Zürichsees gerichtet.

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Weit weg von industriellen Widerwärtigkeiten passiert man bereits kurz nach dem Verlassen Zürichs das Ortsschild von Küsnacht. Im Dorfzentrum herrscht wenig Hektik. Verständlich, sind doch die meisten damit beschäftigt, in der Big City Geld zu scheffeln, während im Privatdomizil nur Putzfrau und Gärtner ihrem Tagwerk nachgehen. Küsnacht, einst die grösste Rebbaugemeinde des Kantons, ist heute ein vor Luxus strotzender Vorort Zürichs, wenn auch ein etwas verschlafener. «Viele Persönlichkeiten geben sich hier die Ehre und verhalten sich auffallend ruhig», schreibt der Direktor des Ortsmuseums auf der Website. Prominente sind also gern gesehen, allerdings nur, wenn sie die Voraussetzungen erfüllen und sich diskret verhalten. Von denen indes wimmelt es hier. Rock-Oma Tina Turner lebt zurückgezogen in einer feudalen Villa direkt am See, die Verleger Hans Heinrich Coninx und Michael Ringier residieren an ruhiger, erhöhter Lage, der Autounternehmer Walter Frey bevorzugt mit seiner Familie die Nähe zum Wald, und auch Klaus J. Jacobs ist in Küsnacht anzutreffen, wenn er nicht gerade auf seiner Pferderanch in England gastiert.

Doch warum etablierte sich ausgerechnet in der Zürcher Vorortsgemeinde ein derart elitäres Rudelwohnen ungeahnten Ausmasses? Weil es keine attraktivere Stadt zum Wohnen gibt. Zu diesem Ergebnis kommt der mit Abstand grösste kommunale Vergleichstest der Schweiz, den BILANZ erstmals gemeinsam mit dem Immobilienbüro IAZI (Informations- und Ausbildungszentrum für Immobilien) durchgeführt hat.

122 Städte traten darin in 50 Einzeldisziplinen gegeneinander an. Diese wurden gewichtet und in den neun Hauptbereichen Zentralität, Reichtum, Steuerbelastung, Sozialstruktur, Dynamik, öffentlicher Verkehr, Erholungswert, Fremdenverkehr und übrige Faktoren zusammengefasst (siehe «So wurde gewertet» auf Seite 41).

Küsnacht punktet in allen Disziplinen, die das Wohnen attraktiv und einfach machen: nahe an der nächstgelegenen Metropole, eine fast überquellende Gemeindekasse, lachhaft niedrige Steuern, ausgezeichnete Sozialstrukturen. Nicht zur Überraschung von Ursula Gut, Gemeindepräsidentin und neu gewählte Regierungsrätin des Kantons Zürich: «Dieses Ergebnis ist erfreulich, aber ich habe damit gerechnet.» Ebenfalls beste Noten bekamen Zollikon, Genf, Meilen, Zürich, Thônex, Thalwil, Stäfa, Binningen und Zug. Die rote Laterne geht an Le Locle im Kanton Neuenburg. Gleich sechs der Top-Ten-Städte sind im Kanton Zürich zu finden. Donato Scognamiglio von IAZI über dieses Phänomen: «Zürich ist einerseits nach Zug der steuergünstigste Kanton, zudem ist das Reineinkommen der Bevölkerung in vielen Zürcher Gemeinden schweizweit am höchsten.»

Niedrige Steuern sind somit ein wichtiges Kriterium für die Attraktivität einer Gemeinde, doch reichen sie allein noch nicht aus, um eine mittelprächtig attraktive Gemeinde glänzen zu lassen. Zum Beispiel Freienbach im Kanton Schwyz. Jedes Jahr ziehen rund 1100 «Steueroptimierer» in die Zürichseegemeinde. Hat sich doch mittlerweile herumgesprochen, dass Freienbach nicht nur das Steuereldorado, sondern auch noch die reichste Gemeinde der Schweiz ist. Viele übersehen jedoch ob der Freude, im Steuerparadies zu leben, dass Freienbach wenig zentral gelegen ist, die Verbindungen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unzureichend sind und selbst der Erholungswert nur mittelmässig ist. So kommt es, dass Freienbach trotz Steuerbonus nur auf Platz 14 der Gesamtwertung liegt.

An der Spitze zu finden sind hingegen die Metropolen Genf und Zürich mit den Plätzen 3 und 5. Basel rangiert mit Platz 26 im oberen Mittelfeld, die Landeshauptstadt Bern auf Platz 39. Erfreulich abgeschnitten haben auch kleinere Städte, die sich in einzelnen Kategorien behaupten konnten. So ist die Zürcher Gemeinde Bülach die Stadt mit der höchsten Dynamik. Ein erstaunlicher Bauboom findet gegenwärtig dort statt, sowohl im Büro-, Industrie- und Gewerbebereich als auch im Privatwohnungsbau. Dieser wirtschaftliche Aufschwung ist vor allem in Zeiten der Geburtenkrise wichtig, zieht er doch Zuwanderer an, was der drohenden Überalterung entgegenwirkt.

Auch anhand der Übernachtungszahlen kann die Attraktivität einer Gemeinde gemessen werden. Erwartungsgemäss zieht Davos, die exklusive Skiregion in den Bündner Bergen, die meisten Touristen an. Zermatt und St. Moritz wurden dagegen nicht bewertet: Eingang in das Rating finden nur Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern. An zweiter Stelle rangiert die Zürcher Unterländer Gemeinde Opfikon. Diese besticht weniger durch Chic und Eleganz, verwertet dafür ihre Nähe zum Flughafen optimal und lockt zahlreiche Stop-over-Touristen in die heimischen Betten.

Geht es um die Region Genf, kann diese in erster Linie mit ihren attraktiven Gemeinden rund um den Lac Léman punkten. «Die Luft ist rein, die Umgebung herrlich, und man kann hier ein unauffälliges Leben führen», so erklärte schon der Chansonnier Charles Aznavour einst, weshalb er seine neue Wahlheimat am Genfersee gefunden hat. Diese Meinung teilen auch zahlreiche andere Prominente, die in Genf und Umgebung vorwiegend dem Müssiggang nachgehen wie beispielsweise die Schauspieler Isabelle Adjani, Sophia Loren und Alain Delon, der Ex-Formel-1-Rennfahrer Jean Alesi, der Uhrenhersteller Yves Piaget oder die Sängerin Nana Mouskouri. Sie haben Quartiere wie die Rive gauche, Cologny oder Collonge-Bellerive mittlerweile zu den teuersten der Welt werden lassen. Sie und selbstverständlich die 20 Milliardäre, die hier stationiert sind. Mittlerweile weist Genf mit einer Einwohnerzahl von 470 000 (inklusive Agglomeration) vermutlich weltweit die höchste Milliardärsdichte aus.

Doch Genf ist auch eine Stadt der Widersprüche. Grundsätzlich hat man nicht das Gefühl, in einer typischen Schweizer Stadt zu sein. Genf ist durch und durch kosmopolitisch – «très international» – und will an diesem Habitus nicht rütteln. WTO, Uno, WEF und 200 andere internationale Organisationen haben hier ihren Standort. Wenig in das Bild der überaus internationalen Stadt passt hingegen ein im Jahr 2002 gewählter kommunistischer Bürgermeister, der ausschliesslich Französisch spricht. Vizebürgermeister Patrice Mugny parliert zwar fliessend Deutsch, weigert sich jedoch, dieses anzuwenden.

Immerhin, was den Erholungsfaktor angeht, ist die Calvin-Stadt nicht zu toppen. Mit seinen unzähligen Parks hat Genf die grösste «grüne Lunge» der Schweiz. Und die Genfer Regierung ist spendabel, wenn es um die Erhaltung der Parks mit insgesamt 360 Hektaren Grünfläche geht. Genf ist somit die Wohlfühlstadt Nummer eins der Schweiz. Ganz zur Verwunderung von Zürichs Stadtpräsident Elmar Ledergerber, der Genf zwar in der gleichen Liga gelten lässt, aber gerade in diesem Punkt nicht gewettet hätte, dass seine Stadt gegen Genf verliert. «In Zürich gibt es zwar keine feudalen Parks, dafür haben wir ein Naherholungsgebiet mit Bergen ganz in der Nähe», kontert Ledergerber.

Überhaupt fällt es ihm schwer zu glauben, dass Genf trotz seiner hohen Verschuldung und den vielen Arbeitslosen vor Zürich rangiert. In der Tat hat das linke Bollwerk in Genf einiges an Arbeit vor sich, ist doch die Arbeitslosenquote mit 6,8 Prozent mehr als doppelt so hoch wie in Zürich. Zudem ist die Chance fast grösser, einen Sechser im Lotto zu kassieren, als bei einem Leerwohnungsstand von 0,19 Prozent ein Dach über dem Kopf zu ergattern.

Prinzipiell kann der Zürcher SP-Stadtpräsident mit dem fünften Platz seiner Stadt leben, wie er konstatiert, ohne sich den Seitenhieb zu verkneifen, dass Küsnacht auf Platz 1 ja sowieso zu Zürich zähle und der fünfte Platz im statistischen Streuwert liege, der sich schnell ändern kann. Und er will noch einmal festgehalten haben: «Wir haben einige Aufgaben zu erledigen, doch prinzipiell ist die Stadt Zürich in allen erdenklichen Punkten ganz vorzüglich positioniert.»

Per se kann die Limmat-Stadt vor allem durch ihre gute geografische Einbettung punkten sowie dank dem ausgezeichneten öffentlichen Verkehrsnetz. Jeder zweite Erwerbstätige verwendet mittlerweile ein öffentliches Verkehrsmittel – wofür jeder Autofahrer dankt, der schon einmal im Zürich-Stau gestanden ist. Allein jeder sechste Arbeitsplatz in der Schweiz ist im Grossraum Zürich lokalisiert.

Ganz anders präsentiert sich Bern. Der Stadt – vornehmlich Verwaltungs- und Beamten-City – mangelt es an Dynamik, die hohen Steuern drücken auf die Einkommen, und die Infrastruktureinrichtungen sind verbesserungsbedürftig. So belegt Bern insgesamt nur den 39. Platz. Ganz zum Erstaunen von Stadtpräsident Alexander Tschäppät. Er wollte die Platzierung seiner Stadt erst kommentieren, nachdem er die Plätze von Zürich, Basel und Genf erfahren hatte. «Bern ist eine kompakte Stadt mit hoher Lebensqualität, kurzen Wegen, grünen Lungen. Eine Steueroase für Reiche wie die Gemeinden am Zürichsee können und wollen wir nicht sein», so Tschäppät. Und er meint auch gleich, Bern dürfe mit Genf, Zürich und Basel gar nicht verglichen werden. «Wir sind eine Stadt in einem Kanton mit 400 Gemeinden, Basel und Genf hingegen sind Stadtstaaten.»

Barbara Schneider, Regierungspräsidentin der Stadt Basel, findet Städtevergleiche auch ausserhalb des eigenen Kantons wichtig. Sie lieferten Hinweise dafür, wo die Verwaltungen in Zukunft Verbesserungen vornehmen müssten. «Ich habe kein Konkurrenzgefühl gegenüber meinen Kollegen in Zürich oder Genf, auch wenn ich von der Innensicht her Basel auf einen anderen Rang gestuft hätte.» Punkten kann Basel vor allem durch seine vielen kulturellen Einrichtungen, die trinationale geografische Lage, die Wirtschaftskraft und die guten öffentlichen Verkehrsmittel. Besonders die Basler Messen, die Uhren- und Schmuckmesse sowie die Kunstmesse «Art Basel», haben grosse internationale Ausstrahlung. Dennoch gilt es für die rote Regierung in Basel, in den nächsten Jahren einige «Baustellen» zu beseitigen. «Die Steuerlast wird auf immer weniger Leute verteilt», bedauert Schneider. «Gleichzeitig muss die Stadt für Bildungs-, Kultur- und Verkehrseinrichtungen aufkommen, die auch vom Umland benutzt werden und abgegolten werden sollten.» So kommt es, dass die Stadt am Rheinknie mit rekordhohen Steuern aufwartet (Rang 109).

Das nächste BILANZ-Städte-Rating wird zeigen, ob und wo Verbesserungen eingeleitet worden sind.