Dolfi Müller kann damit leben. Auch wenn es kein schönes Gefühl ist, vom Thron gestossen zu werden, auf dem man längere Zeit sass. «Die Silbermedaille ist doch auch gut», sagt Müller, Stadtpräsident von Zug, «jetzt hat wohl so eine Art Federer-Effekt gespielt.»

Nach den Spitzenrängen 2009 und 2010 muss Zug im jüngsten BILANZ-Städte-Ranking die Krone an Zürich abgeben. Dazu geführt hat einerseits, dass in einer verfeinerten Methodik «weiche» Kriterien wie Erholung und Kultur stärker gewertet werden als harte Daten wie beispielsweise die Steuerattraktivität. Doch der Sieg von Zürich ist nicht nur der neuen Methodik geschuldet. Denn im Schweizer City Beauty Contest konnte die Bankenmetropole gegen Zug zwei Matchbälle spielen, die den Ausschlag gegeben haben: Zürich zeigt sich beim Bevölkerungswachstum dynamischer und im Bereich Soziales ausgeglichener als Zug.

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Zum Thema Wachstum gibt sich der Zuger Stadtpräsident gelassen: «Zu viel Schnelligkeit im Wandel kann die Bevölkerung auch überfordern. Ein bisschen durchzuschnaufen, schadet nichts, man kann sich auch als ‹Slow City› gut fühlen.» Das Thema Soziales nimmt Müller ernster: «Da müssen wir ein Auge drauf behalten in Zug», sagt der sozialdemokratische Stadtpräsident, «etwa wenn es per Neueinzonungen möglich wird, preisgünstigen Wohnungsbau zu betreiben.»

Dass die Limmatstadt an der Spitze steht, kommt bei Stadtpräsidentin Corine Mauch selbstverständlich hervorragend an: «Das gute Abschneiden der Stadt Zürich freut mich sehr. Es zeigt, dass wir in der Stadt Zürich politisch auf dem richtigen Weg sind.»

Verbesserte Methodik

Corine Mauch sieht das City-Wohlfühlklima als mehrdimensionale Angelegenheit: «Eine einzigartige Lebensqualität entsteht dann, wenn in allen Bereichen hervorragende Rahmenbedingungen herrschen. Das kann die Stadtregierung nicht alleine leisten. Dazu müssen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft gemeinsam beitragen, denn Lebensqualität lässt sich nicht verordnen.»

Das alljährliche Städte-Ranking, das für BILANZ vom Beratungsunternehmen Wüest & Partner erhoben wird, bewertet dieses Jahr insgesamt 136 Schweizer Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern. Neu hinzugekommen sind Hinwil ZH und Brugg AG. Zu den wichtigsten Neuerungen in der Methodik (siehe «So wurde bewertet» unter 'Nebenartikel') gehört dieses Jahr, dass das Kriterium Tourismus ersatzlos gestrichen wurde. Mittels der Hochrechnung der Logiernächte pro tausend Einwohner, wie es in der Vergangenheit praktiziert wurde, kamen beispielsweise Flughafengemeinden ums Klotener Pistenkreuz durch ihre Airport-Bettenburgen auf hohe Werte – obwohl sie ansonsten touristisch wenige Glanzlichter setzen.

Der Wegfall des Parameters Tourismus hat dazu geführt, dass Städte wie Kloten ZH oder Opfikon ZH ihre Top-Ten-Klassierungen im Städte-Ranking verloren haben. Die Verbesserung der Methodik erschwert teilweise eine direkte Vergleichbarkeit mit den Vorjahresergebnissen. In den grossen Zügen aber können die Resultate von 2010 und 2011 durchaus verglichen werden.

Neu im Städte-Ranking der BILANZ hinzu kam der Faktor Einkaufsinfrastruktur. Wüest & Partner erfasst hier unter anderem die Anzahl Detailhandelsgeschäfte, Supermärkte und Warenhäuser pro tausend Einwohner oder die Anzahl Shoppingcenter, die sich in 20 Minuten erreichen lassen.

Rentnerparadies Küsnacht

Ein gutes Angebot an Einkaufsmöglichkeiten, ist man bei Wüest & Partner überzeugt, trägt mit zur Lebensqualität bei. Ganz besonders, wenn die Detailhändler in guter Reichweite liegen: «Ganz allgemein ist für uns die Erreichbarkeit ein viel wichtigerer Faktor geworden als bisher», sagt Isabelle Wrase, die sich an der Auswertung von Wüest & Partner beteiligte. «Mittels einer höheren Gewichtung relevanter Werte wie Kultur, Freizeit und Erholung gelangen wir zudem näher an die Bedürfnisse und Wünsche der Städter.»

Zum zweiten Mal nach 2010 hat Wüest & Partner für BILANZ auch ein sogenanntes Zielgruppen-Ranking erhoben. Für diese Auswertung wurden jeweils diejenigen Parameter gewichtet, die für einzelne Bevölkerungsschichten – Vermögende, Rentner, Familien und Singles – besonders wichtig sind. Bei der Zielgruppe der Vermögenden hat sich 2011 nichts geändert: Zug gewinnt diesen Beauty Contest auch dieses Mal. Durch den Wegfall des Kriteriums Tourismus hat sich aber in der Rentner-Hitliste ein Wechsel ergeben. Anstelle von Lugano oder Locarno sieht Wüest & Partner Küsnacht ZH für einen erholsamen Herbst des Lebens als am besten geeignet.

Den oftmals gehörten Vorwurf, dass grosse Städte im BILANZ-Ranking gegenüber mittelgrossen und kleinen Städten Vorteile hätten, lässt man bei Wüest & Partner nicht gelten. Eine grosse Anzahl von Variablen werde in ein Verhältnis pro tausend Einwohner gesetzt, was gleich lange Spiesse im Vergleich der Städte erlaube. Eine Methodik, die es auch ermöglicht, ein Ranking nach Stadttypen zu erfassen. In einer Unterteilung nach grossen Städten (über 50 000 Einwohner), mittelgrossen (20 000 bis 50 000), kleinen (15 000 bis 20 000) und sehr kleinen Städten (10 000 bis 15 000) würden sich dann die Champions der jeweiligen Gewichtsklassen messen. Bei den kleinen Städten liege dann Aarau vor Baden AG und Kloten ZH, bei den sehr kleinen Städten Wallisellen ZH vor Cham ZG und Meilen ZH.

Ça roule!

Neben Zürich und Zug, welche die Spitzenplätze getauscht haben, zeigt sich im BILANZ-Städte-Ranking aber auch eine ganze Region als Siegerin: die Romandie. Städte wie Genf (von Rang 39 auf 10), Lausanne (von 41 auf 14) oder Freiburg (von 51 auf 21) haben viel Boden gutgemacht und sind im vorderen Mittelfeld angekommen. Alle drei Städte profitieren davon, dass die Steuerattraktivität etwas tiefer bewertet wird; zudem spielen sie beim neuen Kriterium Einkaufsinfrastruktur alle in den Top 20 mit.

Der Lausanner Stadtpräsident Daniel Brélaz sieht sich auf dem richtigen Weg – auch was die Einwohnerzahl betrifft, die in den letzten zehn Jahren um über 10 000 auf 135 000 angewachsen ist. «Zum Trend zurück in die Stadt haben grosse Investitionen in den Ausbau der Einkaufsmöglichkeiten und die automatische Metro beigetragen.» Brélaz erwartet bis ins Jahr 2025 einen Anstieg der Stadtbevölkerung auf 155 000 Einwohner. Geht es nach den Plänen von Denis Décosterd, dem Verantwortlichen für die Stadtentwicklung, sollte Lausanne im Städte-Ranking gar noch mehr Potenzial haben: «Wir wollen die Stadt auf vier Ebenen vermarkten – Stadt des Sports, Stadt der Bildung, Kulturstadt und Stadt der Nachhaltigkeit.» Am nötigen Selbstbewusstsein fehlt es nicht: «Früher galten wir als eher verschlafene Stadt. Heute haben wir das Image einer dynamischen, offenen City», sagt Décosterd.

Aufsteiger Emmen

Neben Genf, Lausanne und Freiburg haben sich weitere Städte aus der Westschweiz nach vorne schieben können. Zugelegt haben Carouge GE (von Rang 32 auf 17), Neuenburg (von 60 auf 27), Biel hat sogar einen Riesensatz von Platz 80 auf 36 gemacht.

Doch wo es Gewinner gibt, muss es auch Verlierer geben. Stark gelitten im Ranking haben die Baselbieter Gemeinden Liestal und Pratteln, die 41 beziehungsweise 46 Plätze eingebüsst haben. Beide Gemeinden haben gemäss Wüest & Partner im Ranking bei Steuerattraktivität und Krankenkassenprämien verloren und weisen bei der Kaufkraft nur mittelmässige Werte auf.

Den grössten Sprung nach oben schaffte im aktuellen Städte-Ranking eine unscheinbare Agglomerationssiedlung. Die Luzerner Gemeinde Emmen mit 28 000 Einwohnern «war ja diesbezüglich bisher eher ein Kellerkind», kommentiert Gemeindepräsident Thomas Willi. Jetzt nicht mehr. 2011 ist Emmen um 51 Ränge aufgestiegen, aus der Anonymität von Platz 117 ins gute Mittelfeld auf Position 66. Emmen punktet vor allem beim neuen Kriterium Einkaufsinfrastruktur (17. Rang). Ansprechend schnitt Emmen auch im Bereich Erholung ab – auch wenn die Stadt von aussen vielfach als zersiedelter Industriestandort ohne historisches Zentrum und obendrein mit kantonal überdurchschnittlichem Ausländeranteil (30 Prozent) wahrgenommen wird. «Emmen ist nicht so schlecht, wie es oft gemacht wird», sagt Willi.

Jetzt hat er dafür die Bestätigung. Und wird mit geschwellter Brust künftig wohl noch öfter Besucher mitnehmen in den neunten Stock des Gemeindehauses: «Von dort aus zeigt sich Emmen wie eine grosse Gartenstadt!» Und von dort aus sieht man auch die jüngste Errungenschaft der Stadt: die Ende 2010 eröffnete erste synthetische Eissport-Arena der Schweiz, die ganzjährig auf Schlittschuhen befahrbar ist – was sich für Emmen im Ranking sogleich positiv in der Kategorie Kultur und Freizeit niederschlug.

Einen sehr viel kleineren Sprung als Emmen und die Metropolen der Romandie machte Le Locle NE. Und doch hat der Gewinn von nur einem Rang symbolische Kraft. Denn die Kleinstadt im Neuenburger Jura war seit 2009 stets auf dem letzten Platz klassiert. Oder deklassiert.

Abschied von der roten Laterne

Diesmal ist Le Locle – auch aufgrund des neuen Kriteriums der Stadt-Besonderheiten – um einen Platz aufgestiegen und hat die rote Laterne an Val-de-Travers NE weitergegeben. Geholfen hat Le Locle, dass die Stadt zusammen mit La Chaux-de-Fonds NE wegen ihrer von der Uhrenindustrie geprägten Stadtlandschaft zum Unseco-Welterbe erklärt worden ist. Was zur Verbesserung der Lebensqualität beitrage, erklärt Gemeindepräsident Denis de la Reussille: «Das gibt unseren Einwohnern die Sicherheit, dass ihre Region dauerhaft etwas wert ist und sich nicht willkürlich verändern kann.»

Zwar versichert de la Reussille, dass ihn die Platzierung im Städte-Ranking nicht gross kümmere. Und doch ist sie ein Kult-Thema in Le Locle, wo Stadtrat Cédric Dupraz letztes Jahr per Blog für T-Shirts warb. Aufschrift: «An die Ideologen der BILANZ: Le Locle va bien. Le Locle est fort. Le Locle vous emmerde (Le Locle geht es gut. Le Locle ist stark. Le Locle geht Ihnen auf den Wecker).

Jetzt, in der vorsommerlichen Ranking-Season, kann Le Locle die T-Shirts wieder hervorholen. Im guten Gefühl, sie nicht im Schlusslicht der Schweiz zu tragen.