Die Angst vor einer Stagflation wächst weltweit – auch in der Schweiz: Gemeint ist damit das Giftgemisch einer hohen Teuerung und einer in die Rezession abstürzenden Wirtschaft. Grund für die Befürchtungen sind historische Parallelen zu den 70er Jahren.

Als eine wichtige Ursache der damaligen Stagflation gilt der drastische Anstieg des Ölpreises. Nach dem Embargo des Kartells der Erdöl exportierenden Länder (Opec) im Jahre 1973 versechsfachte sich der Ölpreis real, also inflationsbereinigt, bis zum Ende des Jahrzehnts. Seit November 2001 bis heute hat er sich wiederum versechsfacht.

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1974 hat die Inflation Rekordwerte von beinahe 12% erreicht (siehe Grafik). 1975 brach die Industrieproduktion um 12,6% ein, das Bruttoinlandprodukt (BIP) schrumpfte um beinahe 7%.

Drohen heute wieder ähnliche Verhältnisse? Für die Schweiz wird entscheidend sein, wie gut es der Nationalbank (SNB) gelingt, die Inflation in Schach zu halten.

Höhere Löhne heizen Teuerung an

Normalerweise steigt die Inflation in einer Boomphase, weil die Nachfrage übermässig stark wächst und die Kapazitäten ausgereizt werden. Im Fall der Stagflation entsteht die Teuerung dagegen durch höhere Kosten – verursacht etwa durch höhere Ölpreise.

Diese allein führen noch nicht zur Stagflation. Entscheidend ist, wie Bevölkerung und Unternehmen auf die höheren Kosten reagieren. Verlangen die Beschäftigten dafür höhere Löhne und geben die Unternehmen die dadurch gestiegenen Kosten an die Konsumenten in Form höherer Preise weiter, steigt die Teuerung weiter an.

Ob es dazu kommt, hängt davon ab, wie gut Beschäftigte höhere Löhne durchsetzen können und ob es den Unternehmen gelingt, die höheren Kosten an ihre Kunden weiterzugeben. Am wichtigsten aber ist die Geldpolitik der Nationalbank. Alle diese Entscheidungsfaktoren geben aktuell zumindest Grund zur Sorge: Die Gewerkschaften haben bereits Lohnansprüche geltend gemacht, und auch andere Lobbygruppen fordern eine Entschädigung für die hohen Ölpreise. In anderen europäischen Staaten legen sie dafür bereits den Verkehr lahm. Die Unternehmen sind insgesamt ebenfalls in der Lage, die höheren Kosten auf die Konsumenten abzuwälzen: «Die gute Gewinnsituation weist darauf hin, dass der Wettbewerbsdruck dafür nicht zu gross ist», sagt Klaus Wellershoff, Chefökonom der UBS. Eine Lohn-Preis-Spirale hält er durchaus für möglich, wenn diese auch nicht zu Extremwerten wie in den 70er Jahren führen würde.

Von der Nationalbank hängt es schliesslich ab, welche Erwartungen zur Inflation sich in der Bevölkerung durchsetzen. Glaubt man ihr, dass sie die Inflation im Jahresdurchschnitt weiterhin unter 2% zu halten vermag, kann eine Lohn-Preis-Spirale vermieden werden.

Bisher war die SNB überzeugt, die erwartete Abschwächung der Wirtschaft und die mit ihr verbundene schwächere Gesamtnachfrage werde automatisch den Preisauftrieb dämpfen, wodurch sich keine Aktivität aufdrängen würde. Die ständig weiter steigenden Teuerungsdaten der letzten Monate lassen diesen einfachen Ausweg zunehmend unwahrscheinlich erscheinen. Auch die Entwicklung der sogenannten Kernteuerung und jene der langfristigen Zinsen weisen auf steigende Inflationserwartungen hin (siehe Kasten).

Damit ist heute alles vorhanden, was es für das Giftgebräu einer Stagflation braucht: Die Nationalbank könnte sich gezwungen sehen, die wachsende und sich selbst verstärkende Inflation durch eine äusserst restriktive Geldpolitik – höhere Leitzinsen und damit ein geringeres Geldmengenwachstum – wieder auf den Zielwert von unter 2% hinunterzudrücken. Jetzt, wo die wirtschaftliche Dynamik ohnehin nachlässt, könnte das in eine Rezession münden.

Dennoch drohen kaum Zustände wie in den 70er Jahren. Viele Voraussetzungen sind besser und die Nationalbank hat seither viel dazugelernt. Noch 1974 hat ihr damaliger Präsident Fritz Leutwiler eingeräumt: «Ich habe keine Ahnung, wie man Geldpolitik unter flexiblen Wechselkursen macht.»

Tatsächlich hatte die SNB, wie die meisten westlichen Zentralbanken, bis 1973 nur die Aufgabe, den Kurs des Schweizer Frankens gegenüber dem Dollar stabil zu halten. Dieser wiederum war im sogenannten System von Bretton Woods ans Gold gebunden.

Die USA scherten sich allerdings immer weniger um diese Bindung und druckten zur Finanzierung des Vietnamkriegs nach Belieben Dollar. Die dadurch ausgelöste Inflation verbreitete sich wegen der an den Dollar gebunden Währungen weltweit. Das war der wichtigste Grund für den dramatischen Anstieg der Inflation in der Schweiz – die sich, wie immer verzögert, vor allem 1974 zeigte – und für das Ende der Dollarbindung und des damit verbundenen Systems von Bretton Woods im Jahr 1973.

Von da an musste die SNB, darin noch ungeübt, eine unabhängige Geldpolitik verfolgen und in erster Linie die hohe Inflation bekämpfen, die nun auch noch durch den Ölpreisschock angeheizt wurde. Die radikale Drosselung der Geldmenge um mehr als 10% war es schliesslich, die sowohl die Inflation vorerst zum Verschwinden brachte, aber auch die Wirtschaft drastisch einbrechen liess.